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Interview mit Dr. Peter Engel, Präsident der Bundeszahnärztekammer (1)

Dr. Peter Engel, Präsident der BZÄK, im Gespräch mit DZW-Chefredakteur Oliver Pick

Dr. Peter Engel, Präsident der BZÄK, im Gespräch mit DZW-Chefredakteur Oliver Pick

„Der eigentliche freiberufliche Gedanke geht verloren“

In der Sommerpause hatte die DZW Gelegenheit, Dr. Peter Engel, Präsident der Bundeszahnärztekammer, zu den aus seiner Sicht größten Herausforderungen zu befragen, vor der die Zahnärzteschaft und die Standespolitik derzeit stehen. Im Fokus des ersten Teils des Interviews: Investoren-MVZ.

Herr Dr. Engel, die Zahnärzteschaft steht aktuell vor großen Herausforderungen …


Dr. Peter Engel: Ja, die Zahnmedizin steht vor großen Aufgaben – und ist immer von mehreren Seiten unter Beschuss. Es gibt viele Stakeholder im Gesundheitswesen, die alle am gleichen Tischtuch zerren und ein Stückchen mehr für sich möchten. Neben den Herausforderungen des demografischen Wandels, der komplexere Aufgaben bei zukünftig knapperen Kassen zu lösen hat, stehen Themen wie Digitalisierung, Datenschutz, überbordende administrative Aufgaben, „Arztbashing“ und der ZFA-Nachwuchsmangel auf der To-do-Liste. Startups, die Zahnarztleistungen wahlweise versteigern, bewerten oder zum Do-it-yourself anbieten, machen deutlich, wie schwierig es ist, Anspruchsverhalten versus Bezahlbarkeit im Sozialsystem zu lösen und dabei das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Sie sehen, wir haben alle Hände voll zu tun.

Was ist aus Ihrer Sicht die dringendste Herausforderung?


Engel: Aktuell treiben uns die Folgen des Versorgungsstrukturgesetzes von 2015 in Form der arztgruppengleichen MVZ um. Diese sind damals ins Gesetz übernommen worden, vor allem um die ländliche Versorgung sicherzustellen. Dieser Plan ist allerdings so nicht aufgegangen. Stattdessen beobachten wir eine Konzentration von MVZ in lukrativen Ballungsräumen. Dort wird die Konkurrenz schärfer und der Wettbewerb zunehmend verzerrt, weil MVZ anders als BAGs und ÜBAGs unbegrenzt Zahnärzte anstellen können.


 … also ungleich verteilte Chancen?


Engel: Richtig. Deshalb positioniert sich der gesamte Berufsstand unter Federführung der KZBV gegen arztgruppengleiche MVZ. Vor allem, seitdem internationale Fremdinvestoren den deutschen Gesundheitsmarkt entdeckt haben, mit dem Hauptziel, dort Rendite zu machen. Milliardenschwere Player drängen in den Markt – wenn man denn überhaupt von einem „Markt“ sprechen möchte. Denn ich fürchte, dass damit der eigentliche freiberufliche Gedanke verloren geht und durch eine „gewerblich orientierte“ Zahnmedizin ersetzt wird. Das gilt übrigens auch für Zahnarztketten, die wir etwa aus Spanien, Frankreich sowie dem Vereinigten Königreich kennen.

Wie sieht die Gegenstrategie aus?


Engel: Generell gilt die Maxime, dass der gesamte Berufsstand den Gesetzgeber auffordert, arztgruppengleichen MVZ die gesetzliche Grundlage zu entziehen und Investoren den Weg in unser Gesundheitssystem zu verbauen. Nach Analysen der KZBV sucht das Großkapital den Weg in die zahnärztliche Versorgung vorrangig durch den Ankauf von Krankenhäusern. Um den Einfluss von Groß- und Finanzinvestoren auf die vertragszahnärztliche Versorgung wirkungsvoll einzudämmen, sind daher für die Gründungsberechtigung von Krankenhäusern räumlich-regionale sowie medizinisch-fachliche Bezüge zwingend erforderlich. Bei diesem Ansinnen unterstützen wir die KZBV ausdrücklich und haben entsprechende Vorschläge im Rahmen der Anhörung zum geplanten Termin­service- und Versorgungsgesetz (TSVG) gemeinsam unterbreitet und mit einer Stimme für deren Umsetzung geworben.
Ganz unabhängig von der MVZ-­Diskussion muss die Politik er­gänzend überlegen, wie sie unerwünschte Auswüchse bei der Gründung durch juristische Personen unterbinden kann, um den Einfluss von Finanzinvestoren auf die freiberufliche zahnärztliche Leistungserbringung auszuschließen. Denn machen wir uns nichts vor: Großkapital hat ausschließlich die Rendite im Blick und nicht das Wohl unserer Patienten und Angestellten. Bei anderen freien Berufen gibt es längst Regelungen, die die freie Leistungserbringung vor dem Einfluss von Fremdkapital schützen. Bei uns fehlen solche Regelungen noch, weil Zahnheilkundegesellschaften bis vor wenigen Jahren keine Rolle spielten. Die Entwicklung um das MVZ zeigt, dass es Zeit ist, auch hier nachzusteuern.

Wie realistisch ist die Zurücknahme der Regelung?


Engel: Nach meiner Einschätzung wird sich die Politik sehr schwer damit tun, die 2015 eingeführte Regelung bereits jetzt zurückzunehmen. Dies würde einem Eingeständnis eines gesetzgeberischen Fehlers zu nahe kommen. Aber: Die Steuerungswirkung, die eigentlich beabsichtigt war, ist zwar nicht eingetroffen, MVZ per se gelten aber auch weiterhin als Lösungsansatz. Wir müssen daher davon ausgehen, dass die Politik eher dem Problem der Fremdinvestoren Aufmerksamkeit zollen wird. Dies haben zahllose Gespräche der zahnärztlichen Spitzenorganisationen in den vergangenen Wochen mit Ministerien, Bundeskanzleramt und Bundestag gezeigt. Ich hoffe, wir stoßen hier mit unseren Bedenken auf offene Ohren.


Investoren neigen dazu, Objekte nach einer gewissen Zeit wieder – mit Gewinn – zu verkaufen. Wo bleiben dann die Patienten?


Engel: Die Erfahrungen, die derzeit im Ausland gemacht werden, sind nicht sehr rühmlich. Ein Renditeobjekt wird nach drei bis sechs Jahren abgestoßen – was danach passiert, weiß niemand. Im Idealfall geht es mit dem nächsten Investor weiter, aber manchmal bleibt ein Objekt auch auf der Strecke – und damit die Patienten. In Frankreich musste nach der Insolvenz einer Zahnarztkette der Staat einspringen, um Patienten zu entschädigen, die nach der Versorgung mit Implantaten unter Behandlungsfehlern litten. In Spanien zeigen sich Qualitätseinbußen: Eine Erhebung der spanischen Zahnärztekammer zeigt, dass dort 50 Prozent der Patientenbeschwerden auf Zahnarztketten entfallen. Das sind Zustände, die wir nicht mit unseren ethischen und freiberuflichen Grundsätzen, die – unserem hippokratischen Eid sei Dank – hierzulande noch gelten, vereinbaren können. Aktuell beobachten wir ähnliche Entwicklungen im Vereinigten Königreich. Dort berichtet die „Times“, dass die größte Zahnarztkette alleine im Jahr 2017 einen Verlust von 3,3 Millionen Pfund eingefahren habe.

Wie frei können angestellte Zahnärzte in solchen MVZ agieren?


Engel: Dem Zahnarzt wird zum Beispiel die freie Therapieentscheidung genommen, die zu verwendenden Materialien werden ebenso vorgeschrieben wie bestimmte Behandlungen, denn nur die Rendite zählt. Das ist mit meiner Vorstellung einer selbstverantwortlichen Freiberuflichkeit nicht vereinbar. Gewerbliche und discountmedizinische Züge lehne ich ab, weil dadurch das hohe Gut des Vertrauens zwischen Zahnarzt und Patient kaum mehr zum Tragen kommt, sondern geschäftlichen Interessen untergeordnet wird.


Andererseits beobachten wir wachsende Angestelltenzahlen, vor allem bei Zahnärztinnen …


Engel: Von allen weiblichen Kollegen ist ungefähr ein Viertel angestellt tätig. Dazu muss man aber auch sehen, dass 63 Prozent der Kolleginnen unter 35 Jahre alt sind und schon dadurch, wie auch ihre jungen männlichen Kollegen, ganz andere Bedürfnisse haben, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeht. Insgesamt verändern sich die Ansprüche hin zu mehr Work-Life-Balance. Von den angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzten spielen viele mit dem Gedanken, über ihre Ausbildungsassistenz hinaus dauerhaft angestellt zu arbeiten. Wir brauchen Kooperationsformen, die es uns gestatten, auch diesen Kolleginnen und Kollegen eine Berufsgestaltung nach ihren Vorstellungen zu ermöglichen. Die freie Entscheidung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ja eigentlich eine Stärke der Selbstständigkeit und nicht des starren Angestelltenverhältnisses.  


Gäbe es rechnerisch genügend Praxen, um die wachsende Zahl von Zahnärzten anstellen zu können?


Engel: Die Frage stelle ich mir auch. Ich habe beim Zukunftskongress 2017 sehr gut zugehört, als dort Kolleginnen aus Mecklenburg-Vorpommern berichteten, wo Praxen in größeren Konglomerationen betrieben werden, um das Nebeneinander von Familie und Beruf sowie die Rückkehr in den Beruf etwa nach Mutterschutz – und Elternzeit – in Teilzeit zu ermöglichen. Diese Kooperationen werden als MVZ geführt, was wohl sehr gut funktioniert.
MVZ können also durchaus auch organisch gewachsene Strukturen sein, die ganz bewusst so angelegt werden, um einen bestimmten Versorgungsauftrag zu erfüllen, gleichzeitig aber auch Raum für den Wunsch nach einer Berufsausübung als angestellter Zahnarzt oder Zahnärztin bieten. Dabei drängt sich der Eindruck auf, dass das MVZ in seiner Bedeutung inzwischen deutlich überhöht dargestellt wird. Auch herkömmliche Praxisstrukturen bieten ausreichend Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und Beruf.

Im zweiten Teil des Interviews stehen die Themen Approbationsordnung und Verband der ZahnÄrztinnen im Fokus.