Mit nur einem Tag Vorankündigng hatte die Deutsche Gesellschaft für Implantologie (DGI) zu einem Webinar geladen, bei dem Professor Dr. Zhuan Bian aus Wuhan über die Erfahrungen der chinesischen Kollegen berichtete. Laut DGI verfolgten trotz der Kurzfristigkeit mehr als 9000 Teilnehmer aus dem In- und Ausland am 25. März seine Ausführungen und zeigten damit auch den großen Informationsbedarf in der Zahnärzteschaft.
Eingeloggt hätten sich Interessenten aus den USA, aus der Schweiz, Österreich, Frankreich, Großbritannien und den Benelux-Staaten. Die Fragen prasselten schneller herein, als die Experten in der knappen Zeit abarbeiten konnten. „Wir werden aber noch unbeantwortet gebliebene Fragen in den nächsten Tagen aufgreifen und die Antworten auf unserer Website veröffentlichen“, verspricht die DGI.
In der anschließenden Diskussionsrunde per Video oder Telefon sprachen DGZMK-Präsident Prof. Roland Frankenberger (Marburg), Prof. Dr. Jürgen Becker (Düsseldorf), Dr. Wolfgang Kohnen, Krankenhaushygieniker der Universitätsmedizin Mainz, sowie Prof. Dr. Lutz Jatzwauk, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus (Dresden) zum Thema. Moderiert wurde sie von DGI-Schriftführer Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas (Mainz) und Prof. Dr. Frank Schwarz (Frankfurt/Main), Pastpräsident der DGI.
"Der schlechteste Mund-Nasen-Schutz ist besser als keiner"
"Wir sind mehr am Telefon als am Patienten", sagte etwa Frankenberger. So könne man vorab abklären, was vorliegt und ob eine Behandlung unbedingt notwendig sei. Denn alle waren sich einig, dass der Schutz von Patienten ebenso wie der der Behandler und Mitarbeiter oberste Priorität haben müsse. Deshalb ging es in der Diskussionsrunde auch um ganz praktische Tipps zum Thema Schutzausrüstung, etwa welche FFP-Maske für welche Behandlung sinnvoll ist und ob man sie sterilisieren könne. "Bei Dampfsterilisierung könnten kleine Löcher in die Maske kommen", warnte Dr. Wolfgang Kohnen. Und auf die Frage von Professor Bilal Al-Nawas was von selbstgenähten Masken zu halten sei, antwortete Professor Lutz Jatzwauk: "Wenn es nicht möglich ist, einen Zwei-Meter-Abstand einzuhalten, dann ist der schlechteste Mund-Nasen-Schutz besser als keiner."
Das Das Webinar steht seit Freitag, 27. März, auch als „Video on demand“ auf der Website der DGI-Fortbildung zur Verfügung. Es ist durch ein Passwort geschützt, das aber einfach angefordert werden kann.
Zusammenfassung der Aussagen von Professor Bian
Lesen Sie hier die Zusammenfassung der DGI des Webinars "Covid-19 & Zahnmedizin: Ein Update zum Stand der Wissenschaft" mit Professor Zhuan Bian:
Die Botschaft von Professor Zhuan Bian beim Webinar war eindeutig: „Aufgrund der besonderen Merkmale zahnärztlicher Verfahren, bei der eine große Anzahl von Tröpfchen und Aerosolen erzeugt werden können, sind die Standard-Schutzmaßnahmen der täglichen klinischen Arbeit nicht wirksam genug, um die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern, insbesondere wenn sich Patienten in der Inkubationszeit befinden oder nicht wissen dass sie infiziert sind.“ Es gibt Hinweise, dass die Viren auf Oberflächen sowie in Aerosolen überleben und infektiös bleiben können. Auch infizierte, aber asymptomatische Patienten können die Erreger weitergeben. „Diese Eigenschaften machen die Kontrolle der Epidemie zu einer großen Herausfor-derung“, betonte Zhuan Bian.
Im Januar 2020 hatte die Nationale Gesundheitskommission Chinas COVID-19 jener Kategorie der Infektionskrankheiten (Gruppe B) zugeordnet, die etwa SARS und das hochpathogene Vogelgrippe-Virus umfasst. Die Kommission riet darüber hinaus, dass alle Mitarbeiter des Gesundheitswesens Schutzmaßnahmen verwenden, die bei Infektionskrank-heiten der Gruppe A empfohlen werden, zu denen Krankheitserreger wie Cholera und Pest gehören. Ab diesem Zeitpunkt wurde, berichtete Professor Zhuan Bian, in den meisten Städten der Region zunächst nur noch eine zahnärztliche Notfallversorgung aufrechterhalten. Private Zahnarztpraxen in ganz China wurden geschlossen, jeweils abhängig von der epidemiologischen Situation. Inzwischen haben die privaten Praxen in China ihre Arbeit wieder aufgenommen – nur in Wuhan, dem Epizentrum der Epidemie, sind sie noch immer geschlossen.
Die Zahnklinik der Universität von Wuhan versorgte im vergangenen Jahr 890.000 Patienten und verfügt über rund 1100 Mitarbeiter sowie 820 Studenten. „Seit dem Ausbruch der Epidemie wurden neun Kollegen mit COVID-19 diagnostiziert“, berichtete Zhuan Bian.Trotz steigender Infektions- und Erkrankungsraten in der Region gab es keine weiteren Infektionen bei Mitarbeitern der Klinik, obwohl das Team mehr als 700 Patienten im Zeitraum seit Januar behandelt hat – unter entsprechend, der jeweiligen Situation angepassten Sicherheitsvorkehrungen. Wie diese aussehen, präsentierte Zhuan Bian in einer Übersicht (siehe Abbildung).
„Auf der Grundlage unserer Erfahrung und einschlägiger Richtlinien und neuen Erkenntnissen der Forschung, sollten Zahnärzte strikte Schutzmaßnahmen ergreifen“, betonte der Experte. Es gelte ebenso Operationen und Eingriffe zu vermeiden oder zu minimieren, die Tröpfchen oder Aerosole erzeugen. Patienten wurden nach ihrem Befinden gefragt und mit Schutzmasken versorgt, Fieber gemessen sobald sie die Klinik betraten. In Regionen, in denen sich COVID-19 stark ausbreitete, wurden elektive Behandlungen verschoben.
Professor Zhuan Bian empfahl den Einsatz antimikrobieller Mundspülungen (in diesem Fall 1% H2O2) und riet, Verfahren, die bei Patienten Husten auslösen können, wenn möglich zu vermeiden oder sehr vorsichtig durchzuführen. Da die intraorale Röntgenuntersuchung die Speichelsekretion und den Husten stimuliert, sollte sie durch extraorale Röntgenaufnahmen ersetzt werden. Maßnahmen, bei denen Aerosole entstehen, sollten ebenfalls minimiert werden. Kofferdam und großvolumige Speichelsauger können helfen, Aerosole oder Spritzer zu minimieren.
Individuelle Risikoeinschätzung für die Praxis vornehmen
In der nachfolgenden Expertendiskussion betonte Professor Bilal Al-Nawas, dass angesichts der Dauer des Shutdowns und der Entwicklung der epidemiologischen Situation Zahnmedizin nicht nur auf die Notfallbehandlung beschränkbar sei. „Da sich die schwierigen Zustände sicherlich über die nächsten Wochen hinweg ziehen werden, geht es nicht nur um Schmerzbeseitigung. Es geht auch um die langfristige Substanzsicherung und eine sinnvolle Diagnostik, sowie die Aufrechterhaltung der Kaufunktion“, betonte Al-Nawas. Ebenso gelte es, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte mit ihrem Team eine individuelle Risikoeinschätzung für ihre Praxis vornehmen müssten. Sicherlich sei das Risiko der Übertragung von SARS-CoV2 von Bundesland zu Bundesland verschieden und hängt natürlich auch von der Praxisstruktur ab. Angesichts der hohen Zahl asymptomatischer, aber möglicherweise infizierter Kinder, könne das Risiko für eine Übertragung in einer entsprechend orientierten Praxis höher liegen, als zum Beispiel in einer kieferchirurgischen oder kieferorthopädischen Praxis. „Damit wird klar, dass ein allgemein gültiges Rezept für die Abläufe in der Zahnarztpraxis in die falsche Richtung führt“, so Professor Al-Nawas.
Bezüglich der Masken erklärte Dr. Wolfgang Kohnen, Krankenhaushygieniker der Universitätsmedizin Mainz, dass das ganze Team mit Mund-Nasenschutz, Brille und Handschuhen für den Normalfall ausreichend geschützt sei. Masken sollten gewechselt werden, wenn sie durchfeuchtet sind. Dies gelte auch für Schutzkleidung. Bei der Behandlung von COVID-19-Patienten mit Aerosolbildung muss der Schutz jedoch intensiver sein: Dann sind FFP2- oder FFP3-Masken und dichte Schutzbrillen erforderlich. Gleichwohl wurde in der Diskussion auch klar, dass die Einschätzung, ob ein Patient infiziert ist oder nicht, relativ schwierig ist – denn auch Infizierte, die keine Krankheitssymptome haben, können die Erreger weitergeben.
Einig waren sich die Experten, dass eine PZR derzeit besser mit Handgeräten durchgeführt werden sollte als mit Ultraschall oder Airflow. Prof. Dr. Jürgen Becker (Düsseldorf) ergänzte, dass durch die Begrenzung der zahnärztlichen Therapiemaßnahmen, den erhöhten Hygieneaufwand, und durch die langen Raumlüftungszeiten nach Behandlungen die Einnahmen sinken und die Ausgaben steigen. Dies müsse durch den Gesetzgeber kompensiert werden, z.B. analog zum GOZ-Zuschlag für das ambulante Operieren.
Wichtig sei die Bedeutung der Aufklärung von Patienten und vor allem des Personals, erklärten die Experten einmütig. In manchen Fällen seien die Teammitglieder verunsichert und zum Teil auch falsch informiert. „Darum kommt der Zahnärztin oder dem Zahnarzt neben der fürsorglichen auch eine zentrale kommunikative Rolle zu“, sagte Professor Al-Nawas. Auch die Patienten gelte es, entsprechend aufzuklären. „Wir müssen unsere defensivere Behandlung erläutern“, betonte DGZMK-Präsident Prof. Roland Frankenberger (Marburg). „Darum sind wir momentan mehr am Telefon als am Patienten.“