Zahnärztetag 2020: Einigkeit von BZÄK, DGZMK und KZBV bei ökonomischer und medizinischer Verortung der Zahn- Mund- und Kieferheilkunde
Der Deutsche Zahnärztetag 2020 fand am Freitag, 13. November, online statt: Mit je drei Vorträgen für Zahnmediziner und Fachpersonal in extrem verschlankter Form, dazu gab es am Samstag, 14. November, einen vergleichsweise umfangreichen „Zukunftskongress Beruf und Familie“.
In einem „politischen Talk“ machten die Präsidenten der drei großen zahnärztlichen Organisationen deutlich, dass orale und übrige Medizin nur zusammen Sinn machen. So verwies BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel auf die Trias von Medizin, Chirurgie und Pathologie, die die Kollegen zu „Fachärzten für Zahn-, Mund und Kieferkrankheiten“ mache. Die Sinnhaftigkeit medizinischer Studien-Inhalte habe sich in der Corona-Krise deutlich gezeigt.
„Nicht wichtiger machen als wir sind“
Schädlich für die Außendarstellung der Profession seien dagegen für Engel weiter bestehende Tendenzen in Richtung Dentalkosmetik und Mund-Wellness. Diese dienten als Vorlage für die Politik, die orale Medizin als nicht systemrelevant zu betrachten. Für Prof. Dr. Roland Frankenberger (DGZMK) sei es das Wichtigste, dass alle Mediziner auf Augenhöhe miteinander sprechen. Zum Beispiel seien Zahnmediziner und Internisten aus fachlichen Gründen eindeutig aufeinander angewiesen. Andererseits sollten sich Zahnmediziner „nicht wichtiger machen, als sie sind“.
Massive Probleme sieht Frankenberger ebenso bei den Kollegen aus der „großen“ Medizin: Diese, aber auch Politiker hätten häufig „keine Ahnung, was wir machen“. Als Beispiel nennt er den erbosten Anruf eines Hausarztes, den er um Abklärung des diabetischen Status eines Patienten gebeten hatte und der dies als unnötige Verunsicherung des Patienten bezeichnete.
Zum Hintergrund: Wechselseitige Überweisungen zwischen Zahn- und anderen Ärzten sind kassenrechtlich nicht gleichberechtigt geregelt. Auch im Ausland wird angesichts der Corona-Krise eine Neu-Ausrichtung der Zahnmedizin diskutiert, wobei offenbar weltweit ähnliche Abstimmungsprobleme bestehen.
Nein zum oralen Facharzt
Ein klares Nein formuliert Frankenberger dennoch zu Überlegungen, die Zahnmedizin als Facharzt-Disziplin zu positionieren, für die zunächst ein vollwertiges Medizin-Studium absolviert werden muss (Statement Prof. Dr. Dr. Ralf Radlanski). Dieses lange Zeit in Österreich praktizierte Modell sei zwar „fachlich logisch“. Als „Killer-Kriterien“ sieht Frankenberger aber einerseits das EU-Recht, das andere Regeln für das zahnmedizinische Studium vorgebe (Abb. 1). Weiterhin würde der „Nachwuchs mit dem Facharzt-Modell nicht abgeholt“. Die Zahnmedizin sei weniger attraktiv und könne mit anderen Disziplinen nicht konkurrieren. Dies sei schon heute bei der Personal- und Mittelzuweisung an deutschen Hochschulen sichtbar, die die Zahnmedizin klar benachteilige. Zudem seien die Kosten für das Facharzt-Modell zu hoch. Peter Engel ergänzt: „Es liegt meistens am Geld und an nichts anderem.“
Der im Sommer verabschiedete Masterplan Medizin 2020 könne laut Engel bestehende „Probleme sogar verschärfen“ und dazu führen, dass sich die Zahnmedizin schon in der Vorklinik weiter „von den übrigen medizinischen Disziplinen entfernt“. Frankenberger verweist darauf, dass der Masterplan erst in fünf Jahren umgesetzt sein soll. Entsprechend sei für die Weiterentwicklung der Zahnärztlichen Approbationsordnung (ZApprO) noch nicht „aller Tage Abend“. Der Nachwuchs sei die Zukunft und es müsse Ziel bleiben, beide Studienordnungen zusammenzubringen (Abb. 2). Eine wichtige zahnmedizinische Qualifikation bleibe das manuelle Geschick und die Patientenkurse müssten daher erhalten bleiben. Details zu den DGZMK-Überlegungen enthält ein aktuelles Positionspapier.
Hygienekosten und MVZs
Das dominierende Thema im an die Vorträge von Freitag anschließenden „politischen Talk“ waren finanzielle Aspekte der Corona-Krise. Diese wurden vom Vorstands-Vorsitzenden der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer, ausführlich gewürdigt. Für die Zahnärzteschaft zentral seien Budget-Fragen im kommenden Jahr angesichts sinkender Fallzahlen, die Existenzsicherung wirtschaftlich bedrohter Praxen und die gestiegenen Hygienekosten. Diese müssten von den Krankenkassen gegenfinanziert werden.
Gemeinsam warnen Eßer und BZÄK-Präsident Engel erneut vor einer Vergewerblichung durch investorengesteuerte Versorgungszentren. Ländliche Regionen und auf Patientenseite kleine Kinder und alte Patienten würden in den Einrichtungen vernachlässigt. Eine weitere Kommerzialisierung der Zahnmedizin sei eine „Katastrophe“ (Eßer). In Bezug auf den zunehmenden Frauenanteil in der Zahnmedizin bemerkt Engel, dass fehlende Mitwirkung von Frauen in den Standesvertretungen zu einer abgekoppelten Entwicklung führen könne, die „fatal“ sei.
Prävention braucht Instruktion
Frankenberger betont in seinem Referat die präventive Ausrichtung der Zahnmedizin, die weiter verstärkt werden müsse. So reduziere eine gesunde Mundhöhle systemische Erkrankungsrisiken (zum Beispiel für Diabetes) und schütze bei COVID-19 vor schweren Krankheitsverläufen. Eine aktuelle Schwerpunktausgabe der Quintessenz Zahnmedizin thematisiert dazu passend „Orale Medizin und Immunkompetenz“ (Dezemberheft). Zahnmedizin sei zudem „Ernährungsmedizin“ (vgl. Quintessenz Zahnmedizin Nr. 5/2020).
Der Stellenwert der Prävention war auch das Thema des Eislinger Praktikers Dr. Klaus-Dieter Bastendorf. Das von Bastendorfs Lehrmeister Jan Lindhe gemeinsam mit Per Axelsson entwickelte Konzept lebenslanger Prophylaxe sei keine Wellness, sondern ein bewährtes klinisches Konzept (Abb. 3). Dieses mache nicht nur im Rahmen der parodontalen Erhaltungs-Therapie Sinn, sondern auch als alleinige Leistung als präventive PZR. Beides funktioniere aber nachhaltig nur mit Mundhygiene-Instruktion, die in deutschen Praxen viel zu selten erbracht werde. Als aktuelles Konzept empfiehlt Bastendorf die auf Anfärben basierende Guided Biofilm Therapy mit Airflowing und feinkörnigen Pulvern. Diese sei bei geeignetem Hygiene-Management einschließlich hochvolumiger Absaugung auch in Bezug auf aktuelle Infektionsrisiken als sicher zu bewerten.
„Es ist wichtig, dass man eine gewisse Grundkenntnis hat“
Im dritten Vortrag zeigt der Leipziger Prothetiker Prof. Dr. Sebastian Hahnel, warum Zahnärzte sich mit Multimorbidität und Polypharmazie auskennen sollten – wichtige Schnittstellen mit anderen medizinischen Fachgebieten. So sei das Demenzrisiko bei reduzierter Restbezahnung und fehlenden Prothesen erhöht. Neben geeigneten Konzepten seien nach Hahnels Literaturanalyse auch Speichelflussrate und Mundhygienefähigkeit wichtig. Nur jeder zweite alte Patient werde von niedergelassenen Zahnmedizinern erreicht, der Anteil aufsuchender Betreuung in den nächsten Jahren weiter steigen.
Das gilt ganz sicher auch für die Bedeutung einer interdisziplinären Vernetzung mit der übrigen Medizin. Neue und hoffentlich positive Entwicklungen in der Zahn- und Oralmedizin sind im Herbst kommenden Jahres hoffentlich wieder real in Frankfurt zu erfahren und in persönlichem fachlichem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen zu erleben.
Dr. Jan H. Koch, Freising