Die iMVZ-Kette Patient21 mit zahnmedizinischem Schwerpunkt wächst und wächst und wächst. Und jetzt hat sie in einer Finanzierungsrunde noch einmal 100 Millionen Euro hinzugewonnen. Aber die Renditeerwartung dieser Investition (Return on Investment – ROI) dürfte nicht gering sein. Doch hübsch der Reihenfolge nach.
iMVZ: Start-up Patient21 auf steilem Wachstumskurs
Patient21 wurde 2019 von Christopher Muhr, vormals Chief Customer Officer bei Europas größtem Gebrauchtwagenhändler Auto1, und Nicolas Hantzsch, ehemaliger Managing Director der veganen Supermarktkette Veganz, gegründet.
Das Geschäftsmodell: Patient21 kauft primär Zahnarztpraxen im städtischen Kontext. Sie werden auf eine eigene digitale Plattform des Unternehmens umgestellt, auf der alle Patientendaten gebündelt werden. Derzeit wird von Patient21 eine eigene Praxisverwaltungssoftware ausgerollt. „Von der Terminbuchung über die Befundung bis zur Aussteuerung der Therapie bündeln wir die gesamte Patientenreise“, sagte Muhr dem „Handelsblatt“. Durch die Vereinheitlichung und Prozessoptimierung soll die Effizienz der Praxen gesteigert werden. Sämtliche Patient21-Patientendaten sind – laut „Handelsblatt“ – in Amazons Cloud-Dienst AWS gespeichert. So kann jeder Patient21-Patient seine sämtlichen Daten von zu Hause einsehen. Inwiefern Patient21 die Daten intern noch einmal verschlüsselt, bleibt unklar. Mehrere Interview-Anfragen der dzw mit den Patient21-Vorständen Muhr und Hantzsch blieben leider unbeantwortet.
Zu den Investoren von Patient21 gehören nun neben den Bestandsinvestoren Target Global, Piton Capital und Pico Venture Partners jetzt auch Bertelsmann Investment, Artian und der israelische Risikokapitalgeber Pitango.
Der Kurs von Patient21 ist mit der neuen Finanzspritze weiterhin steil auf Wachstum gebürstet. Und der Hunger ist groß. Schon jetzt verzeichnet Patient21 53 vorwiegend zahnärztliche Praxen. Gegenüber dem „Handelsblatt“ kündigten Muhr und Hantzsch die Zielmarke von 100 Patient21-Praxen noch in diesem Jahr an. Damit würde Patient21 zum iMVZ-Marktführer im zahnärztlichen Bereich, noch vor Acura mit 87 Praxen, wie aus den Zahlen der KZBV hervorgeht. Mittelfristig halte sich Patient21 einen Börsengang offen.
Auch die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach, er werde den „Heuschrecken“ und ihrer „absoluten Profitgier“ einen gesetzlichen Riegel vorschieben, scheint bei Patient21 niemanden zu schrecken. Zum einen ist von einer gesetzlichen Neuregelung bislang noch nichts zu entdecken, und auch wenn ein Gesetz wirklich käme, dürfte für bestehende iMVZ Bestandschutz bestehen. Zum anderen ist Patient21 als SE – Europäische Gesellschaft (Societas Europaea) aufgestellt. So kann das Unternehmen in verschiedenen europäischen Ländern nach einheitlichen Rechtsprinzipien agieren. Und folgerichtig kündigte Muhr gegenüber dem Online-Nachrichtenportal „TechCrunch“ an, binnen der kommenden zwölf Monate in mindestens zwei weitere europäische Märkte zu expandieren.
iMVZ mit Storytelling
Zu den Gründungserzählungen von Patient21 gehört der Kampf gegen den Krebs und die damit verbundene Erfahrung mit einem Gesundheitssystem, das die Digitalisierung im Dornröschenschlaf verpasst hat. „Wir glauben an unsere Werte. Wir sorgen uns aufrichtig. Ihre Gesundheit ist unsere Berufung. Sie zu schützen und Ihr Wohlbefinden zu verbessern, hat für uns oberste Priorität“ heißt es bei „Über uns“ auf der Website von Patient21. Und weiter: „Wir glauben an Karma. Wir handeln mit Integrität und sind davon überzeugt, dass es sich immer lohnt, das Richtige zu tun – auch wenn es auf Kosten kurzfristiger Gewinne geht.“ Das hört sich gut an. Hier bin ich Patient, hier darf ich sein.
Die Geschichte klingt durchaus rund. Erfahrene und geschäftstüchtige Gründer, die im Leben auf ein Problem stoßen und eine Lösung zu diesem Problem entwickeln. So heißt es bei Patient21 über Christopher Muhr: „Basierend auf seinen eigenen Erfahrungen im erfolgreichen Kampf gegen den Krebs gründete er 2020 Patient21 mit dem Ziel, die ambulante Versorgung neu zu erfinden. Sein Fokus liegt auf dem Aufbau einer digitalen Plattform, die dabei hilft, Kliniken zu betreiben und zu vernetzen, damit value-based healthcare endlich gelebte Realität wird.“
Klingt zu schön, um wahr zu sein?
Laut Statistischem Bundesamt betragen die laufenden Gesundheitsausgaben für Arzt- und Zahnarztpraxen hierzulande im Jahr über 93 Milliarden Euro. Ein sicherer Markt.
Aufsichtsratsvorsitzender von Patient21 ist Shmuel Chafets. Er ist ein bekannter Einhornsammler und Investor von Target Global, dem Initialkapitalgeber von Patient21. Der Risikokapitalgeber Pitango, der Lead-Investor der jüngsten Finanzierungsrunde von Patient21, bewegt ein Fondsvermögen von 2,8 Milliarden US-Dollar. Vermutlich wollen diese Investoren nicht primär das deutsche Gesundheitssystem auf dem Weg ins Digitale unterstützen.
Die aktuelle Studie „Li, Aurora; Zöllner, Uwe; Peters, Michael (2023): Profite vor Patientenwohl – Private-Equity-Beteiligungen an Arztpraxen“ im Auftrag des finanzlobbykritischen Vereins „Finanzwende“ kommt zum wenig überraschenden Schluss: „Private-Equity-Firmen agieren offenbar im ambulanten Gesundheitssystem häufig kurzfristig und wirtschaftlich nicht nachhaltig für die Arztpraxen.“ Und auch nicht nachhaltig für das Gesundheitssystem: „Die Übernahme medizinischer Versorgungseinrichtungen (MVZ) durch Private-Equity-Gesellschaften (PEG) führt überwiegend zu höheren Kosten für Patienten und Kostenträger. Zu diesem Ergebnis kommt eine im ‚British Medical Journal‘ veröffentlichte Metastudie“, berichtet das „Ärzteblatt“.
Eine gute Geschichte bleibt eine gute Geschichte – im echten Leben zählen aber die Fakten: Bei Wagniskapital liegen die angestrebten, durchschnittlich zu erzielenden Renditen bei 15 bis 25 Prozent jährlich.