YouGov-Umfrage: Benachteiligung Alltag von Frauen im Gesundheitssystem
Viele Frauen berichten: Sie gehen mit Schmerzen zum Arzt oder zur Ärztin – und stoßen auf Zurückhaltung, mangelnde Empathie oder das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Was wie ein Einzelfall klingt, ist für viele Frauen Alltag im deutschen Gesundheitssystem. Denn Patientinnen haben das Gefühl, häufiger kämpfen zu müssen – um Diagnosen, um Behandlung und Gehör. Eine aktuelle, repräsentative YouGov-Umfrage im Auftrag des Healthtech-Unternehmens Doctolib zeigt: Frauen erleben systematische Benachteiligung – mit teils gravierenden gesundheitlichen Folgen.
Negative Erfahrung aufgrund des Geschlechts
Fast ein Drittel der Frauen (31 Prozent) berichtet von negativer Erfahrung aufgrund des Geschlechts – mehr als dreimal so viele wie Männer (10 Prozent). Besonders betroffen sind junge Frauen zwischen 18 und 34 Jahren: Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Beschwerden, verspätete Diagnosen und das Abtun von Schmerzen – fast alle abgefragten Problembereiche treffen auf sie in besonderem Maß zu.
Über ein Drittel der Frauen (39 Prozent) meidet Arztbesuche aus Angst, nicht ernst genommen zu werden – bei den Jüngeren (18 bsi 34 Jahren) ist es sogar jede Zweite. Zum Vergleich: Bei Männern ist es fast jeder Vierte (23 Prozent).
„Wenn Frauen immer wieder erleben, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen werden, dann ist das kein individuelles Versagen – sondern ein strukturelles Problem. Das Vertrauen in die Gesundheitsversorgung schwindet – und mit ihm die Bereitschaft, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen“, sagt Prof. Dr. Mandy Mangler, Chefärztin der Gynäkologie am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum Berlin.
Zum Vergleich: 2024 gaben bei einer ähnlichen Umfrage nur 17 Prozent der Frauen an, bei Krankheitssymptomen keinen Arzttermin zu buchen. Das bedeutet eine weitere Verschärfung des Problems.
Schmerzen werden seltener behandelt
Ein Drittel der Frauen (33 Prozent) ist überzeugt: Schmerzen von Patientinnen werden seltener ernst genommen – im Vergleich zu nur 16 Prozent bei Schmerzen von Patienten. 27 Prozent der Frauen sagen, weibliche Schmerzen würden auch seltener behandelt. Besonders junge Frauen sind betroffen: In der Altersgruppe 18 bis 34 Jahre stimmen 46 Prozent dieser Aussage zu.
Hinzu kommt: 44 Prozent der Frauen berichten, dass ihre Beschwerden als psychosomatisch eingestuft wurden – ein klassisches Muster medizinischer Unterschätzung von Symptomen. Nur 28 Prozent der Männer machten ähnliche Erfahrungen.
Herzinfarkte verlaufen bei Frauen oft anders – das ist medizinisch belegt. Viele Frauen sind sich dessen bewusst: 60 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Frauen bei einem Herzinfarkt häufig andere Symptome zeigen und deshalb schlechter behandelt werden. Bei Männern liegt dieser Wert mit 35 Prozent deutlich niedriger.
Die Zahlen zeigen: Frauen sind stärker für geschlechtsspezifische Unterschiede in der medizinischen Versorgung sensibilisiert – auch, weil sie häufiger Erfahrungen mit Fehldiagnosen oder abgewerteten Beschwerden gemacht haben. Das Risiko, Symptome nicht richtig zuzuordnen, kann im Ernstfall lebensgefährlich sein.
Endometriose, PCOS, Migräne – typische Frauenkrankheiten gelten als schwer zu diagnostizieren. Die Umfrage zeigt, dass dies auch mit mangelnder ärztlicher Wahrnehmung zu tun hat:
- 40 Prozent der Frauen sagen, solche Erkrankungen wurden bei ihnen oder anderen nicht ernst genommen
- 35 Prozent der Frauen sagen, sie wurden zu spät erkannt
- 34 Prozent der Frauen sagen, sie wurden falsch behandelt
Mehr als jede zweite Frau muss mehrere Ärzte aufsuchen, bevor sie eine korrekte Diagnose erhält (57 Prozent). Bei Männern liegt dieser Wert bei 45 Prozent. Bereits 2024 lag der Anteil bei 54 Prozent – die Situation hat sich verschlechtert.
Trotz der deutlichen Unterschiede in Erfahrung und Bedarf haben 45 Prozent der Befragten – Frauen wie Männer – nie eine geschlechterspezifische Gesundheitsaufklärung erhalten. Gleichzeitig sagen 61 Prozent, geschlechtersensible Medizin sei wichtig – bei Frauen sind es 67 Prozent, bei Männern 53 Prozent.
Die Umfrageergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Frauen fühlen sich im Gesundheitssystem nicht nur benachteiligt – sie machen diese Benachteiligung auch konkret durch. Das betrifft ihre körperliche und mentale Gesundheit sowie ihre Beziehung zur Gesundheitsversorgung – und letztlich ihre Sicherheit.
„Geschlechtsspezifische Medizin ist kein Luxus – sie ist essentiell für gerechte Versorgung”, betont Prof. Dr. Mandy Mangler. „Jetzt ist es an der Zeit, Strukturen zu hinterfragen und die Medizin neu zu denken – im Sinne aller Geschlechter”, ergänzt Mangler.
Über die Umfrage
Die ausgewerteten Daten beruhen auf einer Online-Umfrage der YouGov Deutschland GmbH im Auftrag von Doctolib. Die Befragung fand zwischen dem 13. und 15.05.2025 statt. Es nahmen 1.037 Personen teil. Die Ergebnisse wurden gewichtet und sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren.
Hinweis zur Geschlechtsverteilung: Die Umfrage berücksichtigt auch Personen, die sich nicht als Frau oder Mann identifizieren. Aufgrund der geringen Fallzahl konnten hieraus keine belastbaren Aussagen abgeleitet werden.
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