Auf der Pressekonferenz Anfang Juni in London fasste Prof. Iain Chapple (Universität Birmingham, England) den Stand der Forschung zusammen: Schwere Parodontitis verschlechtert die Blutzuckerwerte bei Diabetes-Patienten, aber auch bei Gesunden, und zwischen Parodontitis und Diabeteskomplikationen gibt es eine Dosis-Wirkung-Beziehung. Eine erfolgreiche Parodontitis-Therapie wirkt umgekehrt wie ein zusätzliches Medikament gegen Diabetes [1, 2].
Hintergrund ist, dass einerseits ein erhöhter Blutzuckerspiegel entzündliche Vorgänge im Körper verstärkt, unter anderem im Parodont. Andererseits können entzündungsbezogene Botenstoffe (Zytokine) bei schwerer Parodontitis den Blutzuckerspiegel erhöhen – auch bei Patienten, die noch nicht unter Diabetes leiden. Dies geschieht, indem Zytokine an Insulinrezeptoren binden und damit die Glukose-Aufnahme hemmen. Ergebnis ist eine Hyperglykämie, die sich ihrerseits ungünstig auf die Prognose einer Parodontitis auswirkt. So wird die Wundheilung durch veränderte Proteine (AGEs = Advanced Glycation End Products) gehemmt und entzündliche Gewebezerstörung über spezielle Zellrezeptoren im Parodont gefördert.
Das Zusammenwirken von Diabetes und Parodontitis beleuchtet auch ein Übersichtsartikel von Prof. Peter Hahner (praxisHochschule Köln) [3]. Die beiden Erkrankungen haben demnach einiges gemeinsam. Mit bis zu 11 Millionen Diabetikern und 31 Millionen Menschen mit moderater oder schwerer Parodontitis gehören beide Erkrankungen zu den häufigsten in Deutschland. Beide haben eine hohe Dunkelziffer oder werden trotz vorliegender Diagnose nicht behandelt, bei der Parodontitis bekanntlich aufgrund mangelhafter Versorgungsbedingungen.
In enger Beziehung stehen beide Krankheiten auch durch ihre gegenseitige Verstärkung. Bereits im Jahr 1993 bezeichnete der Parodontologe Harald Löe Parodontitis als eine Komplikation länger bestehender Hyperglykämie [4]. Sie verläuft bei schlecht eingestelltem Diabetes schwerer, ein beginnender (Prä-) oder kontrollierter Diabetes ist dagegen kein Risikofaktor für Parodontitis [5].
Herz-Kreislauferkrankungen und Übergewicht
Ähnliche Verbindungen scheinen zwischen Parodontitis und kardiovaskulären Erkrankungen zu bestehen. Zytokine, aber auch parodontalpathogene Keime gelangen beim Zähneputzen oder Essen ins Blut und fördern auf diesem Weg Entzündungen und Ablagerungen in Blutgefäßen (Atherosklerose), unter anderem im Herzen. Erfolgreiche Parodontitisbehandlung verbessert daher die Therapie bei kardiovaskulären Erkrankungen, was bisher aber nur im Tierversuch gezeigt wurde.
Ein enger Zusammenhang scheint auch zum Körpermassen-Index (BMI) zu bestehen, also dem Verhältnis zwischen Körpergröße und -gewicht. So haben übergewichtige Menschen ein erhöhtes Risiko für Parodontitis [6, 7] und sprechen zugleich schlechter auf eine Parodontitis-Therapie an [7]. Der US-amerikanische Parodontologe Prof. Kenneth Kornman zitierte in London eine Studie, die bei Rhesusaffen unter einer kalorienreduzierten Diät signifikant weniger Gingivablutung nachwies [8]. Die klinische Evidenz für eine Verbindung von BMI und Parodontitis wird insgesamt noch als schwach eingestuft [9, 10].
Dagegen hat eine insgesamt gesunde Ernährung offenbar einen unmittelbaren Einfluss auf Diabetes und Parodontitis. Diabetologen fanden vor Kurzem heraus, dass die Einnahme von täglich 45 Gramm Vollkornbestandteilen das relative Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, gegenüber täglich nur 7,5 Gramm Vollkorn um 20 Prozent reduziert [11]. Die Beziehung ist linear, ab 50 Gramm wird aber kein Effekt mehr erzielt. Eine kontrollierte Studie zeigt, dass konzentriertes Fruchtpulver mit entsprechend erhöhten Nährstoffwerten Sondierungstiefen bei fehlernährten Patienten signifikant reduziert [12]. Auch die Wundheilung nach operativer Entfernung dritter Molaren wird durch Supplementierung verbessert, ein weiterer interessanter Hinweis auf die vielfältigen Einflüsse gesunder Ernährung [13].
Rolle der zahnärztlichen Praxis
Im Übersichtsartikel von Prof. Hahner werden auch Möglichkeiten aufgezeigt, wie zahnärztliche Teams Diabetiker betreuen können [3]. Dazu gehört zunächst, die Zusammenhänge anschaulich zu erklären, einschließlich der positiven Wirkung einer Parodontalbehandlung (soweit erforderlich). Die parodontale Gesundheit von Diabetespatienten sollte unbedingt jährlich anhand des Parodontalen Screening Index (PSI) kontrolliert und Betroffene sollten besonders intensiv prophylaktisch betreut werden.
Schließlich ist zu empfehlen, Patienten mit hohen oder stark schwankenden Glukose- oder HbA1c-Werten vor größeren Eingriffen zum Internisten zu überweisen. Orientierende Schnelltests können auch in der Zahnarztpraxis durchgeführt, die Ergebnisse müssen aber beim Facharzt bestätigt werden.
Literatur
[1] Chapple IL, Genco R, Working group 2 of joint EFPAAPw. Diabetes and periodontal diseases: consensus report of the Joint EFP/AAP Workshop on Periodontitis and Systemic Diseases. J Clin Periodontol 2013;40 Suppl 14:S106-112.
[2] Chapple IL, Genco R, working group 2 of the joint EFPAAPw. Diabetes and periodontal diseases: consensus report of the Joint EFP/AAP Workshop on Periodontitis and Systemic Diseases. J Periodontol 2013;84:S106-112.
[3] Hahner P. Herausforderung für die Zahnarztpraxis - Diatetes mellitus und Parodontitis. Dental Tribune Perio Tribune 2015:17-18.
[4] Loe H. Periodontal disease. The sixth complication of diabetes mellitus. Diabetes care 1993;16:329-334.
[5] Kowall B, Holtfreter B, Volzke H, Schipf S, Mundt T, Rathmann W, et al. Pre-diabetes and well-controlled diabetes are not associated with periodontal disease: the SHIP Trend Study. J Clin Periodontol 2015;42:422-430.
[6] Suvan J, Petrie A, Nibali L, Darbar U, Rakmanee T, Donos N, et al. Association between Overweight/Obesity and Increased Risk of Periodontitis. J Clin Periodontol 2015.
[7] Keller A, Rohde JF, Raymond K, Heitmann BL. Association between periodontal disease and overweight and obesity: a systematic review. J Periodontol 2015;86:766-776.
[8] Branch-Mays GL, Dawson DR, Gunsolley JC, Reynolds MA, Ebersole JL, Novak KF, et al. The effects of a calorie-reduced diet on periodontal inflammation and disease in a non-human primate model. J Periodontol 2008;79:1184-1191.
[9] Nascimento GG, Leite FR, Do LG, Peres KG, Correa MB, Demarco FF, et al. Is weight gain associated with the incidence of periodontitis? A systematic review and meta-analysis. J Clin Periodontol 2015;42:495-505.
[10] Papageorgiou SN, Reichert C, Jager A, Deschner J. Effect of overweight/obesity on response to periodontal treatment: systematic review and a meta-analysis. J Clin Periodontol 2015;42:247-261.
[11] Chanson-Rolle A, Meynier A, Aubin F, Lappi J, Poutanen K, Vinoy S, et al. Systematic Review and Meta-Analysis of Human Studies to Support a Quantitative Recommendation for Whole Grain Intake in Relation to Type 2 Diabetes. PloS one 2015;10:e0131377.
[12] Chapple IL, Milward MR, Ling-Mountford N, Weston P, Carter K, Askey K, et al. Adjunctive daily supplementation with encapsulated fruit, vegetable and berry juice powder concentrates and clinical periodontal outcomes: a double-blind RCT. J Clin Periodontol 2012;39:62-72.
[13] Dietrich T, et al. Fruit and Vegetable Supplementation and Morbidity After Third Molar Surgery. IADR/AADR/CADR 93rd General Session, Boston, Mass., USA, Abstract 1637. Journal of dental research 2015;94 spec iss A.