Der Kommentar von Chefredakteur Marc Oliver Pick
Seit 28. April ist nach der Vorstellung des Spitzenpersonals von Friedrich Merz klar, wer das Bundesgesundheitsministerium führen wird: Mit Nina Warken steht künftig eine Frau an der Spitze des Ministeriums. Anders als ihr Vorgänger im Amt, Karl Lauterbach, bringt sie als Juristin zwar keinen medizinischen Hintergrund mit, wird von Parteikollegen aber als „durchsetzungsstark und entscheidungsfreudig“ charakterisiert. Unterstützt werden wird sie von Georg Kippels und Tino Sorge als Parlamentarische Staatssekretäre, die viel Erfahrung aus jahrelanger Tätigkeit im Gesundheitsausschuss mitbringen.
Weniger Fachwissen kann von Vorteil sein
Kein Mediziner an der Spitze des Gesundheitsministeriums und bis auf die Mitarbeit im Parlamentarischen Begleitgremium zur Covid-19-Pandemie keinerlei fachliche Expertise? Das muss kein Problem sein. Im Gegenteil kann weniger Fachwissen sogar von Vorteil sein, denn oft bringt erst ein frischer, unverstellter Blick auf die Herausforderungen eines Ressorts Bewegung in festgefahrene Prozesse oder nicht ganz zu Ende gedachte Vorhaben.
Für den komplexen Bereich Gesundheit mit vielen Playern braucht es neben Managementqualitäten vor allem politisches Geschick. Da kann es enorm helfen, zuhören und vermitteln zu können. Die neue Bundesgesundheitsministerin mag keine ausgewiesene Gesundheitsexpertin sein, aber Durchsetzungsstärke und Entscheidungsfreudigkeit bei einer insgesamt pragmatischen Grundhaltung sind mindestens ebenso wichtige Qualitäten. Wenn Nina Warken obendrein eine neue Kultur des Zuhörens etabliert, könnten in partnerschaftlicher Kooperation mit den Akteuren manche gesundheitspolitischen Weichenstellungen künftig besser in die Umsetzung gebracht werden.
An Aufgaben für die neue BMG-Hausherrin besteht kein Mangel
An Aufgaben für die neue BMG-Hausherrin besteht kein Mangel. Eine alternde Gesellschaft und ein Gesundheitssystems auf dem Weg in die Unbezahlbarkeit sind neben Krankenhausreform, Organisation der Pflege, Digitalisierung des Gesundheitswesens in Kombination mit echtem Bürokratieabbau (jetzt aber wirklich) und verbindlicher Verankerung von Präventionsstrategien ein gewaltiges Paket von Großbaustellen, die nicht länger auf die lange Bank geschoben oder nur halbherzig angegangen werden dürfen.
Hier ist echte Aktion gefragt, und zwar auf Augenhöhe und im Dialog mit den Protagonisten. Und es wird für das BMG kaum im Alleingang zu meistern sein, sondern braucht den Schulterschluss mit einer Reihe anderer Ressorts. Hier sind vor allem politische Erfahrung, Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei gleichzeitiger Durchsetzungsstärke wertvolle und wichtige Tugenden.
Der große Wurf ist noch keinem gelungen
Chefin im Bundesgesundheitsministerium zu sein ist sicher kein leichtes Amt. Bislang ist es noch keinem der Vorgänger von Nina Warken gelungen, einen echten großen Wurf zu landen und die Weichen für ein sicheres, bezahlbares und zukunftsfähiges Gesundheitssystem zu stellen. Zukunftsfähig in dem Sinne, dass nicht alles in Beton gegossen, sondern zumindest in Teilen anpassungsfähig an sich verändernde Herausforderungen gestaltet wird.
In der Vergangenheit hat es bereits viele im Grunde gute Ansätze gegeben, die aber zu oft in der (auch technischen) Umsetzungsphase scheiterten oder die als eigentlich gute Ideen im schließlich Gesetz gewordenen Ergebnis wegen zu vieler Zugeständnisse (und letztlich fehlendem Mut) kaum noch wiederzuerkennen waren.
Eile ist geboten, aber nicht zum Preis handwerklicher Fehler
Man darf gespannt sein, was nach Durchsicht der bereits in der Umsetzung befindlichen Projekte im BMG ganz nach oben priorisiert werden wird: Werden bestehende Konzepte überarbeitet und damit praxisreif gemacht sowie bestehende Baustellen abgeschlossen, bevor das große Ganze in Angriff genommen wird, oder werden wir erleben, dass gesundheitspolitisch vielleicht doch eine echte Zeitenwende eingeläutet wird? Ersteres wäre pragmatisch, letzteres dringend erforderlich. Eile ist geboten, aber nicht zum Preis handwerklicher Fehler.