Die einen – unsere Politiker im Deutschen Bundestag – blamieren sich vor laufender Kamera, die anderen – Vertreter der zahnärztlichen Standespolitik – krempeln die Ärmel hoch und legen einen Pragmatismus an den Tag, von dem man sich in solchen Zeiten überall viel mehr wünscht.
Die einen gehen nach der emotionalen, harten und direkten Rede des Ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem Deutschen Bundestag zur Tagesordnung über und gratulieren Abgeordneten zum Geburtstag, die anderen machen es umgekehrt: Nach dem einzigen Tagesordnungspunkt geht man zu dem über, was mehr noch als Corona derzeit die Welt beherrscht, und nimmt sich des Themas „Krieg in der Ukraine – und was wir tun können“ mit einer Resolution an.
Zahnmedizinische Versorgung der zahllosen Geflüchteten
So geschen bei einer denkwürdigen außerordentlichen Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung am 9. März 2022. Und zwar nicht nur mit deutlich mehr als angebrachten Worten des Mitleids angesichts der humanitären Tragödie, sondern mit im Hintergrund bereits angestoßenen Vorbereitungen zur Sicherstellung der zahnmedizinischen Versorgung der zahllosen Menschen aus der Ukraine, die wegen des Krieges nach Deutschland geflohen sind.
Ja, es ist richtig und wichtig, in solchen Zeiten Zeichen der Solidarität zu senden und Teilnahme am Schicksal eines ganzen Volks zu bekunden. Es ist auch richtig, die beispiellose Aggression Russlands in aller Deutlichkeit zu verurteilen. Viel wichtiger aber ist es, direkt darauf Taten folgen zu lassen, wie am 9. März 2022 bei der VV geschehen.
Es ist selbstverständlich, dass die Zahnärzteschaft um finanzielle Unterstützung beispielsweise des Hilfswerks Deutscher Zahnärzte in Form von Spenden gebeten hat. Gar nicht selbstverständlich aber ist der unmittelbare Apell an die Zahnärzteschaft, auch im Privaten initiativ zu werden und Flüchtlinge aus der Ukraine zumindest übergangsweise aufzunehmen, soweit die Möglichkeit dazu besteht.
Piktogrammheft und Formulare auf Ukrainisch
Pragmatismus auch bei der Bundeszahnärztekammer. Hier wurden mit Unterstützung der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe das Piktogrammheft und Formulare um Ukrainisch ergänzt – eine sinnvolle und vorausschauende Initiative, um die zahnmedizinische Versorgung von Geflüchteten zu erleichtern. Denn deren Zahl wird weiter anwachsen, solange der Krieg in der Ukraine nicht beendet ist, vermutlich aber sogar darüber hinaus, wenn der Zerstörungskrieg in dieser Heftigkeit fortgesetzt wird. Und selbst wenn der Krieg in absehbarer Zeit beendet werden könnte, zeichnet sich doch schon jetzt ab, dass noch viel mehr an Solidarität, an direkter Hilfe notwendig werden wird, um zerstörten Lebensraum wieder aufzubauen.
Immerhin hat sich unsere Regierung ein Herz genommen und sich zu ihrer gesamteuropäischen Verantwortung bekannt, indem Hilfsleistungen an die
Ukraine drastisch erhöht und gleichzeitig Sanktionen gegen den Agressor Russland drastisch verschärft wurden. Es ist damit nicht bei der Lieferung von 5.000 Schutzhelmen als Sofortunterstützung geblieben.
Schnelle Bereitstellung von Unterkünften
Jenseits der Unterstützung in Form von Hilfsgütern und Hilfsgeldern muss ein Teil der Solidarität vor Ort in Deutschland geleistet werden, sei es durch die unbürokratische Aufnahme von Asylbewerbern, durch die schnelle Bereitstellung entsprechender Unterkünfte oder die unkomplizierte Eingliederung in unsere Arbeitswelt.
Auf jeden Fall muss auch die medizinische und zahnmedizinische Betreuung von Ukrainerinnen und Ukrainern dazu gehören. In diesem Punkt hat die Zahnärzteschaft eindruckvoll vorgelegt und pragmatische Hilfe angeboten. Jetzt ist es am Bundesgesundheitsministerium, die angebotene Hilfe genauso pragmatisch und im Idealfall ohne großen Bürokratismus umsetzbar zu machen.
In Zeiten wie diesen sollte sich die deutsche Bürokratie ruhig am Prinzip „weniger ist mehr“ orientieren. Das Prinzip „mehr ist mehr“ ist schon für Hilfe reserviert.