Wie stark die Digitalisierung die Implantologie in den zurückliegenden Jahren beeinflusst hat, welche Chancen sie bietet, das beschäftigt auch PD Dr. Sönke Harder in seiner Praxis in München. Über seine eigenen Erfahrungen im Digitalisierungsprozess berichtete er auf dem Implantologentag 2021 in seinem Vortrag „Schwere Geburt oder Plug & Play? Wie die Digitalisierung unsere Implantologie verändert hat“.
Verlagerung ins Digitale verändert den Workflow
Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt und nicht zuletzt auch die (Zahn-)Medizin. Neben der erforderlichen technischen Aufrüstung – im Behandlungszimmer von Dr. Harder sind inzwischen vier dauerhafte Monitore und ein zweiter Rechner anzutreffen – sieht der Implantologe auch die Notwendigkeit von sehr viel mehr Teamwork mit dem Dentallabor und persönlicher Flexibilität aufseiten des Behandlers. Denn die Digitalisierung in der Implantologie bedeutet, dass ein großer Teil der Planungsarbeit in die digitale Welt verlagert wird: „Der Praxisalltag ist oft hektisch und nicht selten wartet das Dentallabor dann auf die Freigabe meiner Planungen. Dank des zweiten Rechners kann ich während der Stuhlwechselzeiten schnell in die digitale Welt wechseln, planen beziehungsweise freigeben und dann wieder zum Patienten auf dem Behandlungsstuhl zurückkehren.“
Auch auf Laborseite sieht es nicht viel anders aus. Die Gipsküche wird immer häufiger ersetzt durch eine wachsende Anzahl von 3-D-Druckern. Ebenso wächst die Bedeutung der Kommunikation zwischen Zahnarzt und Zahntechniker, denn während vor zehn Jahren die perfekte Bohrschablone vom Techniker geliefert wurde, muss beim digitalen Workflow der Zahnarzt die Implantatposition freigeben, bevor die Arbeit fortgeführt werden kann. „Das ist nicht nur Plug-and-Play, sondern es erfordert sehr viel Kaffee und gute Absprachen zur Prozesssteuerung.“ Anhand von zwei Frontzahnrestaurationen zeigt der Münchener Implantologe, wie sich die Arbeit von analog zu digital innerhalb von knapp 15 Jahren gewandelt hat.
Fall 1: Analoge Versorgung eines Fahrradunfalls
Im Jahr 2006 suchte ein junger Mann nach einem Fahrradunfall den Notdienst im Universitätsklinikum Kiel auf (Abb. 1).
Gemeinsam mit dem erfahrenen Oberarzt setzte Dr. Harder seine erste implantologische Versorgung um. Wegen nicht etablierter Sofortversorgungskonzepte wurde der Zahn an Position 1 sofort extrahiert, weil die Erhaltung unmöglich schien, während Zahn 2 als erhaltungswürdig eingestuft wurde. Versorgt mit einem simplen Provisorium (Tiefziehschiene) wurde der Patient heimgeschickt. In der Folge wurde dann für die erforderliche Frontzahnversorgung ein Wax-up gemacht, die Implantatposition analog geplant und mithilfe von Begrenzungsschablonen das Implantat gesetzt (Abb. 2).
So ist die Outline des Zahns gut sichtbar und die dreidimensionale Positionierung des Implantats kann sicher erreicht werden. Die optimale Umsetzung ist hier aber allein vom manuellen Geschick des Implantologen abhängig. „Ich fand es damals progressiv, dass die aufgenommene Implantatposition gleich ins Labor geschickt wurde und der Zahntechniker das implantatgetragene Provisorium bauen konnte (Abb. 3–5).
So heilte das Implantat ein und der Patient bekam dann bei der Freilegung schon einen Zahn auf dem Implantat, was die Behandlungszeit verkürzte und die Ausformung des Weichgewebes deutlich verbesserte“ (Abb. 6+7).
Es kamen dabei chirurgische Konzepte zum Einsatz, auf die man heute verzichten würde, wie zum Beispiel vertikale Entlastungsschnitte im Frontzahnbereich (Abb. 4), um Narbenbildungen zu vermeiden. In der Folge wurde dem Patienten ein drittes Provisorium eingesetzt, um ihm das längere Tragen einer Tiefziehschiene zu ersparen. An der Uniklinik Kiel, in der Abteilung für Prothetische Zahnmedizin unter der Leitung von Prof. Dr. M. Kern, war dies eine kleine Adhäsivbrücke, mit der der Patient vier Monate versorgt wurde. Bei der Freilegung wurde dann mit einer Rolllappentechnik das Gewebe zusätzlich verdickt und besser ausgeformt. Final wurde dann eine CAD/CAM-gefertigte Krone eingesetzt. Im Ergebnis zeigte sich 14 Jahre später im Recall immer noch ein schönes Ergebnis, auch wenn ein leichtes periimplantäres Knochenremodeling um das Implantat herum zu beobachten ist (Abb. 8). „Dennoch verfügt die Versorgung aus meiner Sicht über eine gute Prognose auch für die kommenden 14 Jahre.“
Fall 2: Implantation wegen interner Resorption
Ein junger Mann von Anfang 30 Jahren stellte sich in der Praxis vor, weil der Zahn 13 schon dreimal seine Kompositfüllung verloren hatte. Unerkannt war zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2020 die interne Resorption, die das Anhaften der Füllung verhinderte (Abb. 9+10).
Mit dem Patienten wurde eine Einzelzahnimplantation als Therapieoption besprochen, wobei aufgrund des jungen Alters des Patienten diese Versorgung möglichst lange Bestand haben sollte. Das digitale Vorgehen hat den Vorteil, dass anhand der DVT mögliche Stolpersteine vor Therapiebeginn sichtbar werden können. Im vorliegenden Fall lagen diese in der die Wurzel umgebenden Knochenstruktur, die ein starkes Jugum alveolare ausbildete (Abb. 11).
Bei einem Verlust dieses bukkalen Bündelknochens hätte sich das Gingivaprofil beim Lachen im Eckzahnbereich stark verändert. Dank der digitalen Planung konnte im Vorfeld erwogen werden, wie die Knochenstruktur möglichst gut erhalten werden kann, damit der Eckzahn später nicht auf einem flachen Alveolarfortsatz steht, sondern sein schönes ausgeformtes Jugum alveolare erhält.
Digitale Planung und Data Merging
Das Nachdenken über die Implantatposition ist wichtig, da zum einen idealerweise eine Verschraubung statt der Zementierung erfolgen und zum anderen eine hohe Primärstabilität erreicht werden sollte, um wie in diesem Fall eine Sofortversorgung des Implantats zu ermöglichen. Die Bilder vom DVT wurden mit denen vom Scan gemergt, das heißt, mit möglichst geringen Abweichungen zusammengebracht (Abb. 12). Weiterhin wird die Planung um die Wax-up-Dateien ergänzt. Somit sind alle Informationen vorhanden, um jetzt die Bohrschablone (Guide) zu designen und in den 3-D-Druck zu geben (Abb. 13).
Das digitale Vorgehen hat den Vorteil, dass in die Implantatplanung virtuell ein Scankörper eingeblendet werden kann und das Labor somit ein präoperativ hergestelltes Provisorium erstellen konnte, gerade so, als wäre das Implantat bereits im Mund gescannt worden (Abb. 14). Dabei versucht Dr. Harder die Informationen über die Weichgewebegestaltung, das Emergenzprofil, bereits einzubauen, denn erfahrungsgemäß bereitet das hinterher im Frontzahnbereich die meisten Schwierigkeiten. Vonseiten der Techniker erfordert dies aber einen exakten Blick in die Daten, eine enorme Vorstellungskraft, die bei guten Zahntechnikern vorhanden ist. „Wir tun das alles für den optimalen Outcome. Es ist kein Selbstzweck, sondern es soll die Versorgungsqualität verbessern“, so Dr. Harder.
Bei der Extraktion lässt der Chirurg eine kleine Zahnscherbe nach bukkal stehen (Socket-Shield-Technik) (Abb. 15), in der Hoffnung, dass daraus Knochen wird und so zum Erhalt der bukkalen Kontur des Alveolarfortsatzes beiträgt. Mit Hilfe einer Führungsschablone wurde das Implantat gesetzt (Abb. 16).
Es wurde darauf geachtet, dass der Bohrer sehr sorgfältig geführt wird, um den Abrieb der Metallhülse und den Eintrag in den Knochen nahezu ausschließen zu können. Der entstandene Hohlraum zwischen der kleinen Knochenstruktur mit der Zahnplatte bukkal und der Implantatposition wurde mit einem Knochensubstrat geschlossen (Abb. 17).
Als Abdichtung nach koronal diente eine Fibrinmembran. Auch bei sorgfältigster Planung und bester Umsetzung kann es passieren, dass das Provisorium nicht passt. In diesem Fall hält Dr. Harder es für hilfreich, einen Zahntechniker mit Geschick an der Fräse zu haben, der den approximalen Kontakt sofort reduzieren kann.
Vier Monate postoperativ wurde erneut ein interoperativer Scan gemacht, um die Implantatposition zu erfassen (Abb. 18). Bei der Entnahme des Provisoriums kollabierte das Emergenzprofil sehr schnell, weshalb der Techniker das Profil in der Konstruktion wieder etwas öffnete, um genug Druck auf das periimplantäre Gewebe aufzubauen. Somit bestand die Möglichkeit, die Restauration passgenau einzuarbeiten. Dr. Harder war es besonders wichtig, die Struktur des Alveolarfortsatzes so gut wie möglich zu erhalten. „Wenn die digitale Technik das unterstützt, dann ist sie mir in der Praxis sehr willkommen.“
Der Patient zeigte sich mit dem Ergebnis sehr zufrieden, auch weil in einer Sitzung der alte Zahn raus und der neue gleich reinkam und das bei relativer Schmerzausschaltung (Abb. 19+20). Aus prothetischer Sicht hätte das Implantat für Dr. Harder etwas weniger prominent gestaltet sein dürfen, doch das sei ein marginales ästhetisches Problem.
Fazit
Beide Patienten waren mit ihrer Versorgung zufrieden. Wenn man das analoge und digitale Vorgehen miteinander vergleicht, hat der digitale Workflow zwei Vorteile. Erstens: Ein wesentlicher Punkt in der Patientenwahrnehmung ist die Anzahl der Behandlungstermine. Bei der digitalen Planung hat der Patient weniger Termine, allerdings muss der Behandler im Vorfeld mehr Zeit in Planung und Diagnostik investieren. Bestenfalls reduziert sich die Anzahl auf einen Behandlungstermin. Zweitens reduziert sich die Anzahl der Provisorien von drei auf eins beim digitalen Vorgehen. Hinsichtlich der Kosten und des Outcomes sind die beiden vorgestellten Fälle vergleichbar und als gleichwertig anzusehen. Das digitale Arbeiten bringt Vorteile, aber auch das analoge Vorgehen, wie in Fall 1 beschrieben, verdient in Dr. Harders Augen größten Respekt. „Denn auch analog können nach wie vor gute implantologische Leistungen mit schönen Ergebnissen erzielt werden“, erklärt der Implantologe, der sich selbst als Brückenbauer zwischen der analogen und digitalen Welt sieht.
Foto: Lightfield Studios - stock.adobe.com