Legen Sie morgens zehn Äpfel in die Schale. Wie viele sind am Abend noch da? Probieren Sie es am zweiten Tag anders: Schneiden Sie morgens fünf Äpfel auf und nachmittags nochmals. Arrangieren Sie die Apfelstückchen appetitlich im Kreis. Wie viele Reststücke finden Sie mittags? Und am Abend? Testen Sie auch Gurken, Möhren, Paprika oder was Ihnen gefällt. Das Ergebnis ist in den meisten Praxen beeindruckend. Denn ein Apfel ist nicht ein Apfel. Ein kleingeschnittener Apfel wird gegessen, ein ganzer meistens nicht. Auch wenn er wunderschön rot ist und gut duftet.
Der tägliche Frischeteller
Die schlechte Nachricht: Menschen neigen zur Trägheit. Die gute: Das können wir nutzen und Menschen beeinflussen. Wir bieten Dinge und Aufgaben interessant an und hoffen, dass der Mensch das gewünschte Verhalten zeigt. Klar ist es einfacher, in eine Schublade mit Süßigkeiten zu greifen, wenn nichts anderes herumsteht, als sich auf den Weg zum Obsthändler zu machen, die erstandenen Früchte zu waschen und zu schneiden. Sorgt aber jemand anderes dafür und präsentiert aufgeschnittenes Obst und Gemüse, dann greifen wir auch hier zu. Einfach verfügbar muss es sein. Und lecker soll es aussehen. In verschiedenen Städten gibt es inzwischen schon einen Lieferservice für Firmen, die täglich den Frischeteller zur Verfügung stellen.
Ein Schubser namens Nudge
Nudge nennt sich dieser kleine unbemerkte „Schubser“, der eine Entscheidung von Menschen in eine gewünschte Richtung beeinflusst. Und dieser kleine Schubser ist deutlich wirksamer als Ermahnungen oder Ge- und Verbote.
Verbotsschilder begleiten uns den ganzen Tag: Den Rasen darf man nicht betreten, hier nicht parken, dort nicht rauchen, nichts auf dieser Fläche abstellen und die Toilette soll man sauber verlassen. Wir nehmen die vielen Anweisungen schon kaum noch wahr. Denn Verbote machen einfach keinen Spaß.
Nudge nutzt eher den spielerischen Sinn von Menschen und auch gerne ihre Bequemlichkeit. Ein Teller mit aufgeschnittenem Obst lockt dann sogar mehr als der Weg zum Bäcker. Und der Bedarf nach etwas Süßem wird durchaus befriedigt. Was in der Praxis funktioniert, hat sich auch in Schulkantinen bewährt. Steht hübsch aufbereitetes Obst und Gemüse bereit, greifen die meisten Kinder gerne zu.
Der Trick mit der Fliege …
Das leuchtet ein. Aber wie gelingt es nun, mit Nudge die Waschräume in Flughäfen sauberer zu bekommen? Darüber haben die Verantwortlichen am Flughafen Shipol in Amsterdam auch nachgedacht, denn die Sauberkeit der Herrentoilette wurde mehr und mehr zu einem Problem. So sehr, dass sich die Reinigungskräfte weigerten, den Ort zu betreten. Der Ökonom und Leiter der Flughafenerweiterung Aad Kieboom, hat hier eine interessante Idee umgesetzt. Anstatt Schilder aufzustellen, die dazu ermahnen, den Ort sauber zu verlassen, wurde der Spieltrieb von Männern angesprochen, um die Toiletten sauber zu halten. Kieboom fasst es ganz simpel: „Wenn ein Mann eine Fliege sieht, dann versucht er, sie zu treffen.“ Sein Team hat Untersuchungen dazu angestellt und festgestellt, dass 80 Prozent weniger daneben geht, wenn sich das Bild einer Fliege an günstiger Stelle im Urinal befindet. Und das gelingt wie von alleine. Und die Herren verlassen mit einem breiten Grinsen den stillen Ort.
Ausdrückliche Zustimmung versus ausdrücklicher Widerspruch
Diesen Mechanismus der Wahl, nicht der Pflicht wirkt. Beispiel Organspendeausweis: In Deutschland gibt es die sogenannte Entscheidungslösung. Jeder kann sich für oder gegen eine Organspende entscheiden und muss dies im Falle einer positiven Entscheidung schriftlich festhalten. Entsprechend niedrig ist die Anzahl der Menschen, die sich für eine Organspende entscheiden. Mit der Widerspruchslösung, die zum Beispiel in Frankreich gültig ist, ist jeder Bürger Organspender, es sei denn, er widerspricht aktiv. Frankreich kann seit Einführung der Widerspruchslösung mehr als doppelt so viele Organtransplantationen durchführen wie Deutschland, obwohl die Bevölkerungsdichte deutlich niedriger ist. Tendenz steigend.
Nudge funktioniert auch in Supermärkten. So bekommen Kunden die Produkte in Augenhöhe präsentiert, die verkauft werden sollen. Für ein günstigeres Produkt müssen wir uns oft bücken oder recken. Die Käuferentscheidung kann so durch die Regalpositionierung zu etwa 25 Prozent beeinflusst werden.
Nudge wirkt auch in der Zahnarztpraxis
Im Grunde genommen ist jedes Detail in Ihrer Praxis entscheidend, denn es beeinflusst das Verhalten Ihrer Mitarbeiterinnen genauso wie das Ihrer Patienten. Anordnung, Struktur, Schrankaufteilungen lenken unsere Aufmerksamkeit und ermöglichen uns einen schnelleren oder langsameren Zugriff. Materialien, die oft gebraucht und vom Arzt gerne eingesetzt werden, befinden sich in leicht zugänglichen Orten und möglichst auf Augenhöhe oder in oberen Schubfächern auf Hüfthöhe. Bücken und recken müssen sich die Mitarbeiterinnen dann nur für außergewöhnliche Einsätze. Und das Material, das demnächst abläuft, wird „bequem“ positioniert. Das erleichtert das Wirtschaften.
Sogar die Art und Weise der Gehaltsüberweisung steuert das Gefühl von finanzieller Liquidität. So wurde herausgefunden, dass Arbeitnehmer, die ihr Gehalt geteilt zwei Mal im Monat bekommen, das Gefühl haben, mehr zu verdienen und mehr Geld sparen, als bei einer monatlichen Gehaltsüberweisung, obwohl in Summe nicht mehr zur Verfügung steht.
Der tägliche Schubser fürs Gemeinschaftsgefühl
Auch den Teamgeist kann man durch einen kleinen Schubser aufpolieren. So müssen gemeinsame Aktionen nicht immer bis Ostern oder Weihnachten warten. Das Gemeinschaftsgefühl braucht täglich einen kleinen Schubs. Montags ein gemeinsames Mittagessen, Freitags ein Teammeeting. Zwischendurch kleine Stand-ups, Highlights intern „posten“ oder zum Beispiel eine WhatsApp Gruppe, die der Chef für kleine motivierende Nachrichten nutzt.
Nudge ist ein offenes Feld mit unzähligen Möglichkeiten. Wenn Sie aufmerksam durch Ihre Zahnarztpraxis gehen, finden Sie vermutlich viele Ideen für einen kleinen Schubser für Ihre Patienten wie für Ihre Mitarbeiter. Eine Fliege im WC und der Obstteller in der Teamküche sind dann erst der Anfang.