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Kritik an WHO-Studie zur ­Corona-Übersterblichkeit

Die Unstatistik des Monats Mai ist eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Übersterblichkeit im Zusammenhang mit Covid-19. Laut dieser Studie gab es in Deutschland in den Jahren 2020 und 2021 knapp 200.000 Todesfälle mehr als ohne Pandemie zu erwarten gewesen wären. Bezogen auf die Bevölkerungsgröße kommt die WHO für viele europäische Nachbarn – wie Dänemark, Frankreich oder die Schweiz – auf deutlich niedrigere Werte, und selbst Länder wie Großbritannien oder Spanien liegen noch knapp unter dem deutschen Wert.

Ist Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern gut durch die Pandemie gekommen?

Diese Zahlen überraschen, ging man bisher doch allgemein davon aus, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern gut durch die Pandemie gekommen sei, heißt es in einer Pressemitteilung des RWI – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung. Berichte zur hohen Übersterblichkeit habe es zum Beispiel in der „FAZ”, der „Bild” und dem „Cicero” gegeben. „Sie weichen auch deutlich von denen des Statistischen Bundesamtes ab, das für 2020 und 2021 zusammen von einer Übersterblichkeit von gut 70.000 Fällen in Deutschland ausgeht. Die Statistiker Giacomo De Nicola, Göran Kauermann und Michael Höhle kommen in zwei aktuellen Studien sogar nur auf etwa 30.000 zusätzliche Todesfälle im gleichen Zeitraum.“

Mehrere Verfahren gängig

Grundsätzlich versteht man unter dem Begriff „Übersterblichkeit“ die Differenz zwischen den tatsächlich beobachteten Todesfällen und der Anzahl, die statistisch gesehen zu erwarten gewesen wäre. Wie viele Menschen tatsächlich sterben, wird in einem Land mit guter Bevölkerungsstatistik wie Deutschland recht genau erfasst, so die Presseinformation. Für die Berechnung der erwarteten Todesfälle gebe es aber mehrere gängige Verfahren, die jeweils zu einer etwas anderen Übersterblichkeit führen. So verwende das Statistische Bundesamt meist ganz einfach den Median im gleichen Zeitraum der letzten vier Jahre als Erwartung. De Nicola, Kauermann und Höhle hätten zusätzlich zu den reinen Sterbezahlen der Vergangenheit auch die Entwicklung der Altersverteilung berücksichtigt, denn in Deutschland komme es allein durch das Älterwerden der Bevölkerung jedes Jahr tendenziell zu mehr Todesfällen.

Kurzfristige Zufallsschwankungen

Die WHO wiederum benutzt laut Pressenotiz für ihre Studie ein relativ komplexes Verfahren, um aus den Sterbefällen der Jahre 2015 bis 2019 eine Erwartung für die Jahre 2020 und 2021 zu berechnen. Dieses Verfahren sei grundsätzlich sehr flexibel, habe aber einen erheblichen Nachteil: Es könne leicht von kurzfristigen Zufallsschwankungen beeinflusst werden. Genau das verursache bei den deutschen Daten ein Problem: 2018 habe es durch eine starke Grippewelle ungewöhnlich viele Todesfälle gegeben, 2019 sei der Wert hingegen eher niedrig gewesen. Das WHO-Verfahren lasse sich von dieser Schwankung irritieren und interpretiere sie fälschlich als Beginn eines deutlichen Abwärtstrends bei der Sterblichkeit. Dies führe dann zu der unplausiblen „Erwartung“, dass ohne Pandemie die Anzahl der Todesfälle in Deutschland in den Jahren 2020 und 2021 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen seien, was dann wiederum automatisch zu der hohen berichteten Übersterblichkeit geführt habe.

„Dieser Nachteil der WHO-Methode betrifft im Prinzip nicht nur Deutschland und muss auch nicht immer dazu führen, dass die Übersterblichkeit überschätzt wird. So scheinen zum Beispiel in der WHO-Studie die Zahlen für Schweden, das durch seine Pandemiepolitik stets besondere Aufmerksamkeit erfährt, für die Jahre 2020 und 2021 mit Blick auf den langfristigen Trend deutlich zu niedrig“, heißt es in der Pressemitteilung.

Fazit: „Die überraschenden Zahlen der WHO zur Übersterblichkeit sind zu einem großen Teil ein ungewollter Nebeneffekt einer eher ungewöhnlichen Berechnungsmethode und für Deutschland wahrscheinlich sehr deutlich zu hoch.“ Auch bei Verwendung plausiblerer Methoden solle die Übersterblichkeit zudem nicht als alleiniges Maß für einen Ländervergleich der Effektivität von Corona-Maßnahmen verwendet werden, da diese auch von vielen anderen Faktoren, wie zum Beispiel der jeweiligen Altersverteilung, beeinflusst werde.

Unstatistik des Monats

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Unstatistik-Schüller ist zudem Mitinitiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich für eine umfassende Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta ist unter www.data-literacy-charta.de abrufbar.

Titelfoto: ldprod - stock.adobe.com

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