Morgens den Rechner an, Tunnel auf und schon greifen Millionen Menschen auf die Daten ihrer Arbeit zu. Im deutschen Gesundheitswesen läuft es etwas anders. Hier gibt es die supersichere Telematikinfrastruktur. Sie funktioniert nicht so, wie wir es aus dem normalen Leben kennen. Wenn sie überhaupt funktioniert. Was nicht immer der Fall ist. Das hat viele Gründe. Der eine ist der Gesetzgeber, die anderen sind Industrie und Selbstverwaltung.
Die TI-Pauschale kommt irgendwo, irgendwie, irgendwann
Die TI ist politisch gewollt, also – so ist auch der politische Wille – werden ihre Kosten den „zwangsangeschlossenen“ Teilnehmern im Gesundheitswesen – bei Nicht-Anbindung drohen mittlerweile Honorarkürzungen in der Höhe von 2,5 Prozent der Abrechnungssumme – bislang pauschal abgegolten. Das geschieht auf Kosten der GKV-Versicherten. Hier ließe sich die Frage stellen, warum wird eine vom Gesetzgeber verpflichtend vorgegebene Infrastruktur nicht auch aus Steuermitteln finanziert? Aber das führt hier zu weit.
Wer zahlt die Rechnung?
Eine durchschnittliche Arztpraxis erhielt derzeit bislang einmalig pauschal 4.441,50 Euro für die technische Erstausstattung und 315,28 Euro im Quartal für die laufenden Betriebskosten. Das soll sich ab dem 1. Juli 2023 ändern, so will es das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz aus dem Hause Karl Lauterbachs. Und wie soll die Finanzierung dann laufen? „Das Nähere zur Höhe und zu den der Berechnung zugrunde zu legenden Komponenten und Diensten sowie zur Abrechnung der TI-Pauschale vereinbaren der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen bis zum 30. April 2023 in den Bundesmantelverträgen. Kommt eine Vereinbarung nicht oder nicht vollständig bis zum 30. April 2023 zustande, legt das Bundesministerium für Gesundheit den Vereinbarungsinhalt innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf der genannten Frist fest.“
Und so kam es, wie es kommen musste. Bereits am 6. April 2023 verkündeten KBV und KZBV unisono die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband für gescheitert. Worauf soll man sich in der jetzigen Situation auch einigen, wo die künftige technische Entwicklung der TI noch in den Sternen steht, ein oligopolartiger Markt der TI-Hardwarehersteller keinen Wettbewerb befördert und die PVS-Hersteller völlig unterschiedliche Angebots- und Kostenmodelle haben. So heißt es denn zu Recht in ihrer gemeinsamen Erklärung: „Generell zeigen sich die Vorstände von KBV und KZBV zudem zutiefst skeptisch, dass sich die Industrie bei ihrer Preisbildung an von der Selbstverwaltung vereinbarte Pauschalen hält.“ Das sieht die Bundesregierung freilich ganz anders.
In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD (BT-Drucksache 20/6266) heißt es zur TI-Pauschale: „Hierdurch wird für die Leistungserbringer ein Anreiz geschaffen, die Produkte beim wirtschaftlichsten Anbieter zu erwerben. Auf Seiten der Hersteller und Anbieter wiederum entsteht hierdurch ein Anreiz, im Wettbewerb zu bestehen. Dies wiederum schafft Innovationsanreize, die sowohl Effizienzgewinne als auch Produktoptimierungen befördern.“ Eine Lernkurve ist hier beim BMG nicht zu erkennen. Was schon beim Konnektor nicht geklappt hat, wird auch bei der Wiederholung derselben Mechanismen nicht klappen. Wo kein Markt ist, gibt es keine Wahl, keinen Wettbewerb. So kann es nicht besser werden.
Dann kommen teils aufwändige Prozesse mit der ePA und dem E-Rezept auf die Praxen zu. Wie sollen diese Unbekannten in eine Pauschale eingepreist werden? Die Digitalisierung ist auch nach der groß angekündigten Digitalisierungsstrategie von Bundesgesundheitsminister Lauterbach noch eine riesige Baustelle. Und wie man es von Baustellen kennt, sind die realen Kosten am Ende deutlich höher als die prognostizierten. So lassen sich auch keine realistischen TI-Pauschalen verhandeln.
Der Staat übernimmt (sich?)
Wieder einmal läuft es also gründlich schief in der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. „Aus heutiger Sicht sei es ‚vielleicht nicht eine super Idee‘ gewesen, Konnektoren auszugeben, zitiert der „änd“ den Chief Production Officer der gematik, Dr. Florian Hartge. Immerhin ein Fünkchen Selbstkritik. Woher Hartge dann den Optimismus nimmt, einen „Wandel zum Positiven“ zu sehen, bleibt sein Geheimnis. Mit der kommenden Verstaatlichung der Gematik werden sicherlich die Diskussionen einfacher, da der „Störfaktor“ Selbstverwaltung entfällt. Aber die Ergebnisse werden vermutlich noch weltfremder ausfallen, wenn der praxisnahe Sachverstand der Selbstverwaltung in den Diskussionen fehlt. Freude an der TI wird vermutlich nicht so bald unter den Vertrags(zahn)ärztinnen und Vertrags(zahn)ärzten aufkommen.
Völlig im Nebulösen bleiben auch die Gesamtkosten der Einführung der TI bislang. Der Nutzen ist derzeit immer noch genauso nebulös. Einzig das EBZ lässt sich als nutzbringende Anwendung innerhalb der TI bislang ausmachen. Und die hat nicht die gematik initiiert. Bleibt zu hoffen, dass Zeitdruck und Konzeptlosigkeit kombiniert mit Sanktionen für die Praxen nicht die Kernelemente der kommenden Digitalisierungsstrategie bleiben werden. Doch wie groß kann diese Hoffnung sein?