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Bei Karies zuerst genau hinsehen

Oralmedizin kompakt – Empfehlungen: ORCA und EFCD priorisieren konventionelle Methoden – Wert von NIRI noch unklar

Primäre kariöse Läsionen lassen sich am sichersten visuell-taktil erkennen und in ihrer Tiefenausdehnung bewerten. Bei Bedarf wird die Inspektion durch intraorales Röntgen ergänzt, wobei besonders für approximale Läsionen Bissflügelaufnahmen geeignet sind. Zum Nutzen von Nah-Infrarot-Imaging (NIRI)  und anderen nicht-ionisierenden Techniken gibt es keine Daten mit vergleichbarer Aussagekraft und entsprechender Nutzenbewertung. Der Stellenwert von DVT und Panoramaschichtaufnahmen für die Kariesdetektion wird in einem aktuellen Konsens-Papier der European Organization for Caries Research (ORCA) und der European Federation of Conservative Dentistry (EFCD) als europäische Dachorganisation wissenschaftlicher Fachgesellschaften im Bereich „Zahnerhaltung“ ebenfalls diskutiert [1].

Kurz und klar

  • Die visuell-taktile Untersuchung – möglichst mit Sehhilfen – ist die erste Maßnahme, um kariöse Veränderungen zu erkennen und bewerten.
  • In zweiter Linie ist intraorales Röntgen angezeigt, insbesondere bei Verdacht auf approximale Läsionen (Bissflügel).
  • In definierten Situationen können alternative Verfahren ohne ionisierende Strahlung genutzt werden.
  • Indikationen und Vor- und Nachteile aller Verfahren werden im Artikel praxisnah zusammengefasst.
  • Zwei weitere Papiere von ORCA und EFCD geben Empfehlungen zur Einschätzung von Kariesaktivität und -progression und zum individuellen Risiko. Alle drei Publikationen sind frei verfügbar.

Visuelle Untersuchung

Inspektion und taktile Untersuchung dienen einerseits dazu, die primäre Defektausdehnung (ohne Sekundärkaries) und damit das Fortschreiten des kariösen Prozesses auf einsehbaren Zahnflächen einzuschätzen. Folgende Schritte werden empfohlen:

  • Oberflächen reinigen und trocknen, bei der Untersuchung gute Beleuchtung sicherstellen
  • Vorhandensein und Größe kariöser Läsionen mit „strukturierten (visuellen) Klassifikationssystemen“ bewerten (in der Regel ICDAS-2 [2])
  • Zugleich Kariesaktivität und differentialdiagnostisch Hartsubstanzdefekte anderer Genese beurteilen

Verfügbare Studiendaten begründen diese Empfehlungen sowohl für Schmelz- als auch für Dentinoberflächen. Der Nutzen vergrößernder Sehhilfen für die Kariesdetektion ist dagegen nur schwach belegt.

Radiografie

Radiografie ist ein zusätzliches diagnostisches Verfahren, das die visuelle Untersuchung ergänzen kann. Es sollte nur nach Abwägung von Nutzen und Risiken und mit der angezeigten Sorgfalt aufgenommen werden.

  • Als Methode der Wahl speziell für approximale Karies, aber auch für okklusale Dentinkaries, gilt nach wie vor die intraorale Bissflügeltechnik mit speziellen Haltern.
  • Wenn intraorale Bissflügeltechnik zum Beispiel aufgrund mangelnder Kooperation nicht möglich ist, können extraorale Bissflügelaufnahmen mit geeigneten Panoramaschichtgeräten erfolgen.
  • Wegen unzureichender Auflösung sind konventionelle Panoramaschichtaufnahmen (PSA) und Digitale Volumentomografie für primäre Diagnostik nicht empfehlenswert.
  • Für andere Zwecke erstellte PSA-Aufnahmen sollten auch in Bezug auf Karies ausgewertet werden.

Nicht-ionisierende Verfahren

Der Einsatz von Techniken, die nicht auf Radiografie beruhen, ist laut Konsens-Papier insbesondere für Schwangere und Kinder und bei Risikopatienten wünschenswert, die in kürzeren Abständen untersucht werden müssen. Die meist optisch basierten Geräte detektieren primäre Karies nach aktuellem Stand weniger zuverlässig als visuelle Untersuchung oder intraorales Bissflügelröntgen. Die zunehmende Verfügbarkeit von Kombinationsgeräten, die Kariesdiagnostik (Fluoreszenz und Nahinfrarot-Illuminations-(NIRI-)Technik) und intraorale Fotografie kombinieren und intraorale Scannern (IOS) mit NIRI könnten diese Methoden zunehmend zur Routine werden lassen. Die Bewertung von NIRI ist aber laut Konsenspapier noch widersprüchlich und wird in einer systematischen Übersicht für Schmelzkaries als unzureichend bewertet.

Blick in die Mundhöhle mit kariösem Molar im UK

Primäre kariöse Läsionen lassen sich am sichersten visuell-taktil erkennen und in ihrer Tiefenausdehnung bewerten. 

Diskussion

Die vorgestellten Empfehlungen beziehen sich ausdrücklich auf alle Altersgruppen. Besonderheiten im Milchgebiss werden nicht diskutiert und müssen in anderen Publikationen nachgelesen werden. So können nach einer Übersicht des Erstautors Prof. Dr. Jan Kühnisch (München) aus dem Jahr 2014 bei erhöhtem Kariesrisiko und flächigen Kontaktbereichen auch im Milchgebiss Bissflügelaufnahmen angezeigt sein [3].

Zwei weitere von ORCA und EFCD erarbeitete Empfehlungsdokumente befassen sich mit den Themen Kariesaktivität und Indikationen für individuelle Maßnahmen. Während die Kariesaktivität ein zusätzlicher Befund auf Defektebene ist, sind zum Beispiel bisherige Karieserfahrung, Ernährung und Speichelfaktoren prognostisch relevante Faktoren, die das präventive oder invasive Vorgehen auf Patientenebene bestimmen (vgl. Grafik). Kariesdiagnostik und besonders Kariesrisikodiagnostik bleiben zentrale und komplexe oralmedizinische Aufgaben.

Dr. Jan H. Koch, Freising

Der Autor erklärt, dass er in Verbindung mit diesem Beitrag keine Interessenkonflikte hat.

Hinweis: Beiträge in der Rubrik OralMedizin kompakt können nicht die klinische Einschätzung des Lesers oder der Leserin ersetzen. Sie sollen lediglich – auf der Basis aktueller Literatur und/oder von Experten-Empfehlungen – die eigenverantwortliche Entscheidungsfindung unterstützen.

Dr. Jan H. Koch

Dr. med. dent. Jan H. Koch ist approbierter Zahnarzt mit mehreren Jahren Berufserfahrung in Praxis und Hochschule. Seit dem Jahr 2000 ist er als freier Fachjournalist und Berater tätig. Arbeitsschwerpunkte sind Falldarstellungen, Veranstaltungsberichte und Pressetexte, für Dentalindustrie, Medien und Verbände. Seit 2013 schreibt Dr. Koch als fester freier Mitarbeiter für die dzw und ihre Fachmagazine, unter anderem die Kolumne Oralmedizin kompakt.

Mitglied seit

7 Jahre 2 Monate

Literatur

[1] Kühnisch J, Aps JKM, Splieth C, et al. ORCA-EFCD consensus report on clinical recommendation for caries diagnosis. Paper I: caries lesion detection and depth assessment. Clinical Oral Investigations. 2024;28(4):227. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC10957694/pdf/784_2024_Article_5597.pdf 

[2] Ekstrand KR, Gimenez T, Ferreira FR, et al. The International Caries Detection and Assessment System - ICDAS: A Systematic Review. Caries Res. 2018;52(5):406-19. Epub 20180308. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29518788

[3] Kühnisch J. Kariesdetektion und -diagnostik. Eine aktuelle Standortbestimmung. Stomatologie. 2014;111:160-5.