„Das E-Rezept ist endlich alltagstauglich“, so der Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach im Interview mit dem „RND“. Ab dem 1. Juli 2023 sollen Patienten dann mit ihrer Versichertenkarte ihre E-Rezepte in der Apotheke einlösen können.
Das E-Rezept kommt – besser: wird kommen
Bis Ende Juli sollen laut Lauterbach dann bereits 80 Prozent der Apotheken an das System angeschlossen sein. Und im „RND“-Interview weiter: „Wenn die Patienten ihre Versichertenkarte in den Apotheken in die Lesegeräte einstecken, liegt das E-Rezept dann bereits in der Datenbank vor. Es geht jetzt mit der Digitalisierung los!“
Jetzt geht’s los? Manchen einer und einem mögen jetzt Zweifel plagen. Wie oft ging es denn schon los und wenn ja, wie viele?
Zwei Jahre Verspätung
Wir erinnern uns: Der ständig Fristen setzende, telegene Jens Spahn, zu seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister, hatte per Gesetz den 1. Januar 2022 als Einführungstermin für das E-Rezept festgelegt. Zwingend natürlich. Und Lauterbach musste diesen Termin wieder einkassieren. Ungerne, aber sich der Realität des Faktischen beugend. Das ist auch nicht alltäglich heute.
Der Alltag des Standard-E-Rezepts heute ist ein Papierausdruck. Kein Kommentar. Digitales Deutschland.
Und nun? Beschleunigungsminister Lauterbach hat nun die Turbotaste gefunden: „Es geht jetzt mit der Digitalisierung los!“
In ganz Deutschland? Na, ja. Erste Zweifel ließen nicht lange auf sich warten, nachdem Lauterbach natürlich nicht mir den Beteiligten gesprochen hatte, sondern medial verlautbaren ließ, was wer wann wie umzusetzen hätte. Immerhin die Apotheken sind. zumindest in Puncto E-Rezept mitteloptimistisch. So sagte Anke Rüdinger, stellvertretende Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands: „Innerhalb des Monats Juli werden voraussichtlich alle Apotheken den eGK-Einlöseweg anbieten können. Fraglich ist allerdings, ob die Ärzte diese neue, digitale Verordnungsvariante dann auch nutzen werden.“ Dazu passt dann auch Topf-Deckelchen die Aussage von Dr. Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied der KBV: „Die Kommunikation seitens des Ministers ist unglücklich, da der Eindruck erweckt wird, ab 1. Juli könne bundesweit in allen Arztpraxen das E-Rezept ausgestellt werden.“ Die KBV geht nach wie vor davon aus, „dass eine Einführung stufenweise erfolgen soll, startend unter anderem in Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein.“ Vielleicht sollte Lauterbach auch weniger verlautbaren, als mit den Beteiligten sprechen. Vielleicht mag Markus Lanz ihn bei nächster Gelegenheit einmal fragen.
Aber zurück zum E-Rezept. Gibt es nun einen Gamechanger vom Papierausdruck zu einem digitalen Format? So sieht es nun ernsthaft aus. Bislang lief der digitale Weg des E-Rezepts über die E-Rezept-App der gematik. Die wurde aber bis heute keine 500.000-mal heruntergeladen – bei über 73.000.000 GKV-Versicherten. Nach einer Erfolgsgeschichte klingt das nicht. Von den 500.000.000 Rezepten, die jährlich ausgestellt werden, sind es laut TI-Dashboard der gematik in diesem Jahr bislang knapp 900.000 in Form eines E-Rezeptes. Wie immer sie dann eingelöst wurden.
Nun scheint man oder frau im BMG und in der gematik durchaus auch lernfähig. Das mit der App ist vielleicht nicht der richtige Weg. Hübsch gedacht, aber offenbar an der Realität vorbei. Also hat man sich eins, zwei, drei etwas anderes ausgedacht, das dieses Mal auch wirklich funktionieren kann: Die gute alte Gesundheitskarte – ein Stück Plastik als Eintrittstor ins Digitale. Digitalisierung in Deutschland.
Eine realitätsnahe Lösung
Wie soll das nun konkret funktioneren? Auch das erfahren wir aus den Medien. Das Ministerium erläuterte auf Anfrage des „Handelsblatt“: „Die E-Rezepte würden auf einem zentralen Server (E-Rezept-Fachdienst) in der geschützten Datenautobahn des Gesundheitswesens gespeichert. Beim Einstecken der Versichertenkarte werde die Apotheke autorisiert, E-Rezepte des jeweiligen Versicherten von dort abzurufen und einzulösen.“ Diese Lösung hat Realitätsbezug. Denn selbst jede und jeder smartphonelose Internetabstinenzlerin und -abstinenzler kommt nicht ohne seine Gesundheitskarte in die Praxis. Zusätzlich wird das E-Rezept auf keinem Überträgermedium mehr zwischengespeichert. Die eGK dient in der Apotheke lediglich als Identitätsnachweis. Der neue-E-Rezept-Prozess sollte gut und einfach funktionieren, sobald bundesweit die Infrastruktur dafür steht.
Aber unser Bundesgesundheitsminister ist Karl Lauterbach. Also wird medienwirksam angekündigt, was nachher wieder so doch keiner gesagt haben mag. Das kennen einige. „Heute sind wir erneut irritiert über die Äußerungen von Gesundheitsminister Prof. Lauterbach“, so KVWL-Vorstand Thomas Müller. „Die notwendigen technischen Voraussetzungen sind bundesweit noch nicht gegeben.“ Und Müller muss es wissen, gehört doch Westfalen-Lippe neben Schleswig-Holstein zur E-Rezept-Testregion. Lauterbach selbst habe den 1. Januar 2024 als bundesweiten Starttermin für das E-Rezept festgelegt und erwecke nun den Eindruck, es ginge bundesweit ab 1. Juli los.
Diese Nuancen sind Lauterbach zu kleinteilig. Hauptsache die Headline sitzt: „Es geht jetzt mit der Digitalisierung los!“