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Offener Streit in der Gematik

Mann draußen vor Gebäude

Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister 2018 bis 2021

Trotz Pleiten, Pech und Pannen in der Testphase zur Einführung des E-Rezepts in der Modellregion Berlin-Brandenburg hält das BMG, als Mehrheitseigner der Gematik, an dem Einführungsdatum 1. Januar 2022 fest. Jetzt soll noch schnell das nachgeholt werden, was man bislang versäumte: Eine bundesweite Testphase, um die Abrechnungsprozesse zu evaluieren. Doch steht die Gematik mit ihrer realitätsfernen Jubelprosa zum eigenen Agieren mittlerweile allein auf weiter Flur. 

Erhebliche Zweifel an Aussagekraft der E-Rezept-Tests

Fast schon etwas schmollig heißt es in einem Aufruf der Gematik zur Teilnahme an der Testphase: „Trotz des mehrfachen Angebots haben bisher nur vier Praxisverwaltungssysteme an der Testphase teilgenommen, obwohl der Marktanteil der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifizierten Praxisverwaltungssysteme bereits bei 94 Prozent liegt.“

Auch die Krankenkassen wollen offenbar nicht mehr so richtig mitspielen. Bislang beteiligen sich nach Angaben der Gematik lediglich die AOK Nordost und die IKK BB.

Etwas spät kommt die Gematik nun zu der Einsicht: „Im Endspurt vor der Einführung des E-Rezepts ist nun gemeinsames Miteinander gefragt. Denn: Ein Projekt dieser Größenordnung kann nur gemeinsam mit allen Beteiligten und Partnern gelingen.“

Tja, das kommt jetzt etwas spät. Das ständige Kommandieren aus dem BMG, Spahns penetrantes Erziehen eines ungehorsamen Gesundheitswesens befördert nun eben kein Gemeinschaftsgefühl. Und Spahns Macht als Eben-noch-Gesundheitsminister schwindet spürbar.

In einer konzertierten Aktion haben sich nun die düpierten Gematik-Minderheitsgesellschafter zusammengefunden und begehren offen gegen Spahns Gematik-Statthalter Dr. Markus Leyck Dieken auf. In einer gemeinsamen Erklärung sprechen die Kassenärztliche Bundes­vereinigung, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Bundesärztekammer (BÄK), die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutsche Apothekerverband (DAV) ihre „erheblichen Zweifel an der Aussagekraft der E-Rezept-Tests“ als „erfolgreich“ aus:

„So sollten für einen bundesweiten Rollout mindestens 1.000 eRezepte ausgestellt und erfolgreich abgerechnet werden – aktuell sind es lediglich 42.“ Und ein Krankenhaus sei noch überhaupt nicht beteiligt. „Täglich werden in Arzt- und Zahnarztpraxen etwa zwei Millionen Rezepte ausgestellt. Fehlerhaft übermittelte E-Rezepte sind nicht nur eine Belastung für Ärzte, Zahnärzte und Apotheken, sie stellen insbesondere eine Gefährdung der Patientensicherheit dar“, erklären die Minderheitseigner unisono. Der Vorschlag der Vertreter der Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Krankenhäuser sowie Kostenträger, die Länge der Testphase an die Erfüllung transparenter Qualitätskriterien zu knüpfen, fand bei der Gematik offenbar kein Wohlwollen.

Die positive Selbstdarstellung und das Macher-Image scheint der Gematik wichtiger als ein funktionierendes System. Also steht der 1. Januar 2022 als E-Rezept-Einführungstermin für diejenigen, die dazu technisch in der Lage sind, E-Rezepte zu erstellen beziehungsweise einzulösen, fest wie eine morsche Eiche. Die einsamen Rufer aus Ärzten, Zahnärzten, Apothekern und Krankenhäusern „appellieren aber dringend an den Gesetzgeber, die Anwendung des E-Rezeptes erst nach einer ausreichenden Testphase und erwiesener Praxistauglichkeit für den Regelbetrieb in den Praxen vorzusehen.“

Der Sinn, ein sinnvolles Projekt in sinnloser Fristenhörigkeit einzuführen, erschließt sich vermutlich erst einmal nur Spahns Machtzirkel. Eine Massenanwendung wie das Rezept ohne erfüllte Qualitätskriterien durchzupeitschen, erscheint grob fahrlässig.

Solange die Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Krankenhäuser von der Digitalisierung nur überzogen und nicht durch Vorteile überzeugt werden, wird es sicherlich um die Gematik immer einsamer.

Doch wird sich etwas unter der kommenden Bundesgesundheitsministerin oder -minister ändern? Das klingt im Koalitionsvertrag nicht danach. Hier setzt die Ampelkoalition auf „Beschleunigung“ in Sachen Telematikinfrastruktur.