Eine hohe Impfquote ist auch aus Sicht der Bundeszahnärztekammer dringend notwendig, um sowohl schwere Corona-Infektionen oder Todesfälle als auch LongCovid zu vermeiden. So sehen das auch die Medizinerinnen und Mediziner. So sehen das allerdings nicht die immer noch sehr zahlreichen Menschen in Deutschland, die sich bislang – aus unterschiedlichsten Gründen – nicht impfen lassen wollen oder können. Einen Impfzwang gibt es nach wie vor nicht, und dazu wird es hoffentlich auch nicht kommen.
Zwar hat der Bundestag am vergangenen Mittwoch die „epidemische Lage“ um weitere drei Monate verlängert, aber nicht unbedingt, um doch noch eine gesetzliche Impfpflicht zu verankern. Grund dürfte eher sein, das die jetzige Bundesregierung nach der im September anstehenden Bundestagswahl auch als geschäftsführende Regierung handlungsfähig bleibt.
Coronamaßnahmen sind vor den Wahlen ein Politikum
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht unterdessen von einer „Pandemie der Ungeimpften“, womit er eigentlich wohl in erster Linie die „Impfverweigerer“ meint, unfairerweise aber auch die nicht geimpften jüngeren Schülerinnen und Schüler einschließt. Auch wenn das Risiko ernsthafter Krankheitsverläufe bei jungen Menschen (noch) gering zu sein scheint, kommen sie doch als COVID-Multiplikatoren in Frage. Angesichts einer Inzidenz von mehr als 500 beispielsweise unter Bochumer Schulkindern wird die ungeimpfte Gruppe der Unter-Zwölfjährigen in der vierten Welle, die gerade an Fahrt aufnimmt, möglicherweise unfreiwillig noch eine entscheidende Rolle spielen.
Doch zurück zur Bundestagswahl Ende September. Gab es im vergangenen Jahr immer wieder Bedenken, Coronamaßnahmen könnten womöglich wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden, fragt man sich aktuell, ob nicht viele der Rücknahmen von Maßnahmen sowie Öffnungsbestrebungen und Anpassungen bislang wichtiger Indikatoren für die Einschätzung von Corona-Risiken weniger epidemiologische als vielmehr wahltaktische Gründe haben.
RKI sieht Übergang von pandemischer zu epidemischer Lage
Gleichzeitig stellt das RKI fest, dass sich Deutschland angesichts „steigender Impfquoten und dem Aufbau einer schützenden Grundimmunität“ an der Schwelle des Übergangs von einer pandemischen in eine epidemische Lage befindet. Folglich würden individuelle Maßnahmen gegenüber bevölkerungsbezogenen Maßnahmen zunehmend in den Vordergrund treten. Mit anderen Worten: Mehr als bisher sei jeder Einzelne aufgerufen – egal ob geimpft, genesen oder getestet – die Basismaßnahmen AHA+A+L weiterhin ernst zu nehmen.
An Letzteres wird sich allerdings immer seltener gehalten, weil sich Geimpfte oder Genesene sicher fühlen. Richtig ist, dass man als Geimpfter zwar ein kleineres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf hat (was auf Genesene nach einer überstandenen Infektion mit dem Wildtyp so nicht unbedingt zutrifft), eine Infektion aber trotz Symptomfreiheit an andere weitergeben kann. Es wird sich zeigen, ob die (wieder-)gewonnenen Freiheiten – siehe das 2G-Optionsmodell in Hamburg, das neben der 3G-Regel für das gesamte Bundesgebiet diskutiert wird – nicht dazu führen werden, dass AHA+A+L verfrüht zum Auslaufmodell wird.
Was den Impffortschritt in Deutschland angeht, scheint wie in anderen Bereichen auch das Pareto-Prinzip zu gelten: die letzten 20 Prozent erfordern 80 Prozent des Aufwands. Nur sind wir in Deutschland, bezogen auf die Durchimpfung, „erst“ bei knapp 60 Prozent, und die Impfkampagne wird wieder zäher. Es wird sich zeigen, ob und wie schnell vermehrte Impfangebote vor Ort wie Impfbusse und mobile Impfteams es schaffen werden, die Impfquote weiter zu steigern. Von der Idee einer Herdenimmunität jedenfalls hat sich das RKI mittlerweile verabschiedet.