Lokalisiertes oder ausgedehntes Absterben von Knochengewebe im maxillofazialen Bereich ist eine nicht häufige, dafür umso schwerwiegendere Erkrankung des Kiefers. Verursacher sind vor allem die Nebenwirkungen antiresorptiver und antiangiogenetischer Medikamente und/oder vorangegangener Bestrahlung maligner Tumoren im Kopf-Hals-Bereich, aber auch floride Infektionsherde oder Traumata. Die Mechanismen und biologischen Prozesse dieser Erkrankung sind multifaktoriell und bis heute nicht vollständig geklärt.
Mehrjährige Speicherung von Bisphosphonaten im Knochen
Die medikamentenassoziierte Kieferknochennekrose wurde erstmals 2003 für Bisphosphonate beschrieben. Diese werden in der Therapie der Osteoporose und osteolytischer Knochenmetastasen von Mamma- und Prostatakarzinomen sowie zur Behandlung maligner Knochenerkrankungen wie dem Multiplen Myelom eingesetzt. Zu den zugelassenen Wirkstoffen gehören Zolendronat, Ibandronat, Pamidronat, Etidronat und Alendronat.
Bisphosphonate sind Pyrophosphat-Analoga, die im Körper nicht hydrolisiert werden und den Knochenstoffwechsel durch hohe antiresorptive Wirksamkeit über die Hemmung von Osteoklasten beeinflussen. Allerdings binden sie an Hydroxylapatitit und werden in die Matrix der Knochen inkorporiert. Dort beträgt ihre Halbwertszeit mehrere Jahre, sodass auch nach Abschluss der Therapie die Gefahr von Nebenwirkungen in hohem Umfang weiterbesteht.
Allerdings variiert das Risiko einer Osteonekrose in Abhängigkeit vom Wirkstoff und der Art der Applikation. Hohes Risiko mit einem Gefährdungspotenzial von bis zu 18 Prozent besteht bei intravenös verabreichter Medikation und bei der Verwendung stickstoffhaltiger Amino-Bisphosphonate, während die meist bei postmenopausaler Osteoporose eingesetzten oralen Bisphosphonate und die N-freien Wirkstoffe in weniger als 0,1 Prozent zu Komplikationen führen.
Bisphosphonate sind allerdings nicht die einzigen für den Kieferknochen gefährlichen Medikamente. Deshalb haben die AAOMS (American Association of Oral and Maxillofacial Surgeons) den Begriff der ONJ (Osteonecrosis oft he jaw), der auf die Nekrosen in Zusammenhang mit Bisphosphonaten beschränkt war, auf MRONJ (medication-related Osteonecrosis of the jaw) erweitert. Diese Bezeichnung definiert das progressive Absterben von Kieferknochen bei Patienten unter einer Medikation, die das Risiko der Erkrankung erhöht, ohne gleichzeitige oder vorangegangene Strahlentherapie.
Gestörtes Remodelling begünstigt Osteonekrose
Neben den Bisphosphonaten kommen als Verursacher weitere antiresorptive Therapeutika wie Denosumab und viele weitere anti-angiogenetisch wirksame Medikamente infrage. Denosumab, ein monoklonaler Antikörper, der die Reifung von Osteoklasten hemmt, hat den Vorteil, nicht langfristig in die Knochensubstanz eingelagert zu werden. Seine Halbwertszeit in der Matrix des Kieferknochens beträgt nur 32 Tage. Danach sinkt die Wirkung rasch ab und der TRACP-5b-Spiegel (Tartrat-resistente saure Phospatase), der mit der Zahl der Osteoklasten korreliert, normalisiert sich. Zwar sollte die Behandlung von lytischen Knochenmetastasen ohne Pausen und Unterbrechungen durchgeführt werden, jedoch kann bei unvermeidbaren invasiven zahnärztlichen oder kieferchirurgischen Eingriffen die Medikation kurzfristig abgesetzt und damit die Nekrosegefahr minimiert werden. Nach Therapieende wird die Homöostase des Knochenmetabolismus wiederhergestellt und damit die Gefahr von Langzeitnebenwirkungen minimiert.
Nekrose durch Störung der Knochen-Homöostase
Die Mechanismen der Induktion einer Knochennekrose durch die genannten Wirkstoffe ist nicht vollständig geklärt. Die Aktivität der Osteoklasten wird über RANK/RANKL/OPG-Signalwege gesteuert. Bei RANK handelt es sich um einen Transmembranrezeptor, bei RANKL um das Protein, das als dessen Ligand fungiert. Über deren Interaktion wird die Bildung, Aktivität und Reifung der Osteoklasten gesteuert.
OPG (Osteoprotegerin) hingegen ist ein Eiweiß, welches durch Bindung an RANKL diesen inaktiviert und damit die Knochenresorption hemmt. Bei OPG Mangel kommt es zu Osteoporose und Knochenabbau. Krebsgewebe setzen Zytokine und Wachstumsfaktoren frei, die die Osteoblasten zu vermehrter Freisetzung von RANKL stimulieren und dadurch die Osteoklastenaktivität und den Knochenabbau anregen. Sowohl Bisphosphonate als auch Denosumab greifen in dieses Gleichgewicht ein und haben direkte hemmende Effekte auf die Osteoklasten. Diese sind aber ein wichtiger Faktor für die Knochenheilung und den Knochenumbau (Remodelling), der nun unterdrückt wird.
Bisphosphonat-Anreicherung an Extraktionsstellen
Allerdings findet dieser Prozess an allen Skelettknochen statt, von der Osteonekrose ist aber ausschließlich der Kieferknochen betroffen. Eine der möglichen Ursachen ist die im Tierversuch belegte starke Anreicherung von Bisphosphonaten an Zahnextraktionsstellen, die eine exponierte Schwachstelle sind. Zudem findet im Alveolarknochen bei vorbestehender chronischer Parodontitis eine verstärkte Knochenresorption statt. Die nur dünne Schleimhautdeckung in diesem Bereich und eine direkte Verbindung des parodontalen Ligaments mit der keimbelasteten Umgebung tun ein Übriges.
Angiogenesehemmer vermindern Blutversorgung im Kiefer
Angiogenese-Inhibitoren werden bei Malignomen und Knochenmetastasen zur Verhinderung der Neubildung von tumorversorgenden Blutgefäßen verabreicht. Zu den hier aktiven Substanzen gehören monoklonale VEGF-Antikörper (Antikörper gegen vascular endothelial growth factor) wie Bevacizumab, FGF (fibroblast growth factor) sowie Rezeptor-Tyrosinkinasehemmer wie Sunitimib. Letzterer wird zu Therapie gastrointestinaler Stromatumoren (GIST) eingesetzt.
Neben der erwünschten Wirkung an den Malignomen unterbinden sie leider auch am Kieferknochen eine ausreichende Zufuhr von Sauerstoff und Nährstoffen. Besonders die an sich schon schlecht blutversorgte Mandibula ist hier betroffen. Aber auch Bisphosphonate wie Zolendronat verhindern zusätzlich zu ihrer antiresorptiven Wirkung die Adhäsion, Migration und Proliferation von Endothelzellen.
Diese Mangeldurchblutung ist zwar ein entscheidender, aber keineswegs der einzige Faktor für die Genese und Progression der medikamenteninduzierten Kiefernekrose. Eine Gabe von Glukokortikoiden während der Therapie mit den vorab genannten Medikamenten schwächt das Immunsystem und hemmt Entzündungsreaktionen, dadurch können sich vermehrt potenziell pathogene Mikroorganismen ansiedeln und odontogene und parodontale Infektionen werden begünstigt. Gefahr besteht auch, wenn infizierte Zähne ohne antibiotische Abschirmung extrahiert werden. Die Keime werden in die Tiefe verlagert und haematogen gestreut. Untersuchungen an freiliegendem Knochengewebe zeigten dichte mikrobielle Besiedelung mit Beteiligung von Aktinomyzeten sowie komplexe Biofilme mit Bakterien, Pilzen und assoziierten Viren.
Das Zusammenspiel sämtlicher Faktoren macht den Kieferknochen besonders anfällig. Ähnlich verlaufende Prozesse bei der Osteoradionekrose, die Beurteilung der Krankheitsaktivität, mögliche Therapieansätze und interdisziplinäre Zusammenarbeit sind Themen des zweiten Teils dieses Artikels: Diagnose und Therapie radiogener Osteonekrosen
Titelbild: rawpixel.com auf Freepik