In der vergangenen Woche hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Kongress „Zukunft E-Health – Chancen für die digitale Gesundheitsversorgung“ eingeladen. Der alljährliche Jahresabschluss-Kongress wird traditionell von der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Fraktion organisiert und widmet sich einem wichtigen Zukunftsthema. Und die Betonung in der Festlegung des gesundheitspolitischen Themas lag eindeutig bei „Chancen“, wie der Verlauf des Kongresses zeigte. Im dritten Obergeschoss des Reichstagsgebäudes befindet sich die Fraktionsebene und hier fanden sich die führenden Gesundheitspolitiker der CDU/CSU und die geladenen Experten ein – dazu noch einige hundert Gäste aus Gesundheitswesen, Wirtschaft und Presse. Von Beginn der Veranstaltung an wurde Aufbruchstimmung signalisiert. Der gesundheitspolitische Geduldsfaden scheint auf konstruktive Weise gerissen. Das politische Fanal lautete „Kein Weiter so“.
„Die Fraktion betrachtet sich als Innovationslabor“, so Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in seinen Begrüßungsworten, und es sei schön, einen Bundesgesundheitsminister zu stellen, der sein Ministerium ebenfalls als Innovationslabor verstehe. Brinkhaus formulierte höflich, aber deutlich, dass der Blick der Digitalisierung nach vorne gerichtet ist. Die Aufgabe der Politik sei es, die Rahmenbedingungen zu setzen, „etwas Neues zu wagen“. Nicht vergessen: Es handelte sich um eine CDU/CSU-Veranstaltung, also von zwei konservativen Parteien. Aber an alten Strukturen klebte hier keiner. „Jens Spahn ist ein Innovator, einer, der nach vorne denkt“, kündigt Brinkhaus den Gesundheitsminister an.
Und so gab sich Spahn betont freundlich und in der Sache entschlossen. Trocken konstatiert er, dass im Gesundheitswesen noch rekordverdächtig viel gefaxt wird und dass auch einige Beteiligte im Denken noch in den Strukturen der 1980er-Jahre verhaftet seien – ebenso seien die Organisationsstrukturen des Gesundheitswesens im vordigitalen Zeitalter verhaftet. Mit der Digitalisierung werde sich der Arztberuf aber fundamental verändern. Vertrauen in Datenschutz und Datensicherheit wolle die Politik für alle Beteiligten schaffen. Mantraartig wiederholte Spahn sein Credo, die digitale Zukunft aktiv gestalten zu wollen, ansonsten würde man sie erleiden, denn kommen werde sie in jedem Fall. Es ist eine Art „müssen wollen“, die der Gesundheitsminister hier schmackhaft proklamiert. Die Telematikinfrastruktur ist gesetzt. Die Elektronische Patientenakte ist gesetzt – sie sei aber erst ein Anfang. Spahn sieht eine Zeitenwende im Gesundheitswesen, eine kommunikative „Revolution“. Positive Anwendungserfahrung via Smartphone werde, so Spahn, den konkreten Nutzen der Digitalisierung bei Patienten und Ärzten vermitteln und Vertrauen schaffen. Entschlossen zeigte sich Spahn auch bei der Nutzung der anfallenden Gesundheitsdaten mittels Künstlicher Intelligenz. Das hier verborgene Potenzial für Forschung und Versorgung solle sicher genutzt werden.
Den Kracher hob sich der Gesundheitsminister bis zum Ende seines Grußworts auf: „Die Struktur der Gematik kann nicht so bleiben, wie sie ist.“ Sie führe nicht immer zu sachgerechten Entscheidungen, so Spahn. Einzelne Spieler im System könnten ganze Entscheidungsprozesse blockieren. Die Gematik – Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte – existiert seit 2005. Die Gesellschafter der Gematik sind die Bundesärztekammer (BÄK), die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), der Deutsche Apothekerverband (DAV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-SV), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV). Dass eine so dissonante Zusammenstellung nicht zu schnellen Entscheidungsprozessen führen kann, liegt eigentlich auf der Hand. Wie neue Strukturen aussehen könnten, ließ der Minister aber im Unklaren. Der Fraktionsvize Dr. Georg Nüßlein (CSU) ging bei seiner Kritik an der Gematik sogar noch einen rhetorischen Schritt weiter: „Die Gematik ist für mich der Berliner Flughafen des Gesundheitswesens.“ Die Zeichen seitens der Politik stehen also auf Sturm.
Die ganze Veranstaltung war fein inszeniert. Die geladenen Start-ups, die in schneidigen drei Minuten die digitale Zukunft des Gesundheitswesens besangen, waren gut ausgewählt. Daniel Nathrath, CEO und CO-Founder von Ada Health, stellte seine App vor, die KI-gestützte Diagnosen erstellt. Ada gibt eine Ahnung davon, wie die Digitalisierung das Gesundheitswesen in seinen gesamten Strukturen verändern wird und schon verändert hat.
Auch die Besetzung der Panels war vielsagend. Von den Standesvertretern war lediglich Dr. Susanne Johna als Mitglied des Vorstands der Bundesärztekammer vertreten. Im Kanon der breiten Befürworterschaft der Digitalisierung im Gesundheitswesen stand sie mit ihren auch skeptischen Einwürfen relativ allein. Der Saal verströmte Aufbruchstimmung. Ein wenig war es, als hätte die CDU/CSU-Fraktion die jüngste internationale Vergleichsstudie der Bertelsmann Stiftung gelesen, wo Deutschland bei der Digitalisierung des Gesundheitswesen auf dem vorletzten Platz landete, und ihre Handlungsempfehlung ernst genommen: „Politische Führung ausbauen: Der digitale Wandel im Gesundheitswesen muss aktiv gestaltet werden. Die Politik muss dabei entschlossener handeln als in der Vergangenheit.“