Die EuroPerio findet als Kongress der europäischen parodontologischen Fachgesellschaften alle drei Jahre statt. Traditionell wird ein breites Spektrum an parodontologischen Vorträgen mit wissenschaftlichem oder praktischem Schwerpunkt geboten. Hinzu kommen implantologisch orientierte Vorträge, mit Fokus auf Erhaltungstherapie und Therapie von Mukositis und Periimplantitis.
Mehr zur EuroPerio
Eine Vielfalt von Informationen zum Kongress enthalten die Homepage der European Federation of Periodontology und die Blog-Seite der EuroPerio 8.
Die Ergebnisse der letzten Konsensuskonferenz der EFP zu einer Reihe praxisrelevanter Themen können kostenfrei über die Seite des Journal of Clinical Periodontology geladen werden.
Risikopatienten identifizieren
Zunehmend wird deutlich, dass bestimmte Patientengruppen ein stark erhöhtes Parodontitisrisiko haben. So untersuchte Prof. William Giannobile (University of Michigan, USA) bei 25.000 Probanden das Parodontitisrisiko in Bezug auf die Merkmale Diabetes, Raucher und IL-1β-Genotyp [1]. Wie er in London erläuterte, lässt sich über keinen einzelnen dieser Faktoren das Risiko für Zahnverluste voraussagen. Dieses steigt aber signifikant, wenn zwei oder mehr Faktoren zutreffen. Vor Kurzem wurden auch Interaktionen zwischen Polymorphismen und dem männlichen Y-Chromosom als separater Risikofaktor identifiziert [2]. Zum Thema Diabetes und Parodontitis gibt es bereits therapeutische Leitlinien für Zahnärzte, Hausärzte und Internisten [3].
In der Nachsorge erlaubt es das „Berner Spinnennetz“ nach Lang und Tonetti, ein erhöhtes Risiko zuverlässig festzustellen (www.perio-tools.com) [4]. Die Methode beruht auf klinischen Indizes und einer Reihe weiterer Faktoren. Wie Prof. Nurcan Buduneli (Universität Izmir, Türkei) klarstellte, hilft sie aber ähnlich wie in der Kariesrisiko-Diagnostik nicht, das individuelle Risiko bei noch nicht Erkrankten vorauszusagen. Dies soll mit neuartigen Tests auf Kunststoff-Scheiben (Lab-on-a-disk) gelingen, bei denen Körperflüssigkeiten auf Kombinationen von bakteriellen, genetischen und entzündungsbezogenen Biomarkern untersucht werden.
Industrie für parodontale Gesundheit
Engagiert für die Parodontologie waren in London auch einige Hersteller und Anbieter dentaler Produkte. So trat die japanische Sunstar-Gruppe (GUM) bereits zum fünften Mal als Sponsor eines wertvollen Wissenschaftspreises auf. Ausgezeichnet wurden Studien zu genetischen und systemischen Zusammenhängen der Parodontitis.
Biofilm ist nicht der Feind
Der Biofilm (Plaque) ist unbestritten ein ätiologischer Faktor für Gingivitis, Parodontitis, Mukositis und Periimplantitis. Doch gilt heute eine pathogene Verschiebung in Zusammensetzung und Stoffwechsel der Bakterienflora als entscheidend [5]. Diese hängt wiederum stark mit der modernen Lebensweise und Ernährung zusammen [6]. Aber auch einzelne, hoch pathogene Unterarten verursachen nach Analyse mehrerer Referenten reproduzierbar Parodontitis, sodass spezifische Infektionen ebenfalls eine Rolle spielen könnten. Andererseits sind gesundheitsfördernde, sogenannte probiotische Bakterien therapeutisch einsetzbar [7]. Grundlegende Therapie bleibt aber die supra- und subgingivale Belagentfernung.
Parodontitis-Therapie senkt Gesundheitskosten
Ein neuer Quintessenz-Film demonstrierte in London eindrucksvoll, wie sich zum Beispiel Diabetes und Parodontitis über komplexe zelluläre Abläufe gegenseitig verstärken. Bakterien und Entzündungsbotenstoffe werden über die Blutgefäße in den ganzen Körper gestreut und verstärken dort das Krankheitsgeschehen. So überrascht es nicht, dass eine Parodontitisbehandlung umgekehrt wie ein Medikament wirkt. Durchschnittliche Pro-Kopf-Kosten für Diabetes-Erkrankte werden um 2.840 US-Dollar pro Jahr reduziert [8]. Eine höhere Zahl erfolgreicher Parodontitisbehandlungen sollte damit für Kostenerstatter hoch interessant sein.
Doch es gibt auch ausreichend zahnmedizinische Argumente für eine gute parodontologische Betreuung. Laut Prof. Ian Needleman (Eastman Dental Institute, London) ist unbestritten, dass Menschen mit ausgeprägter Parodontitis stark unter dentalen Symptomen wie Blutungen, ästhetischen Problemen und Verlust der Kaufunktion leiden [9].
Umgekehrt führt eine erfolgreiche Therapie zu signifikant besserer Lebensqualität [10]. Michaela O’Neill, Dentalhygienikerin und Präsidentin des britischen Fachverbands, betonte, dass diese Botschaft an Patienten weitergegeben werden muss. Dabei hilft ein Film, der sehr einfühlsam die Patientenperspektive darstellt (leider nur auf Englisch).
Renaissance glatter Implantatoberflächen?
Ein relativ großes Thema waren in London periimplantäre Entzündungen. Bei diesen unterscheidet sich der Biofilm laut Dr. Annette Moter (Deutsches Herzzentrum Berlin) von der Parodontitis [11]. Zudem zeigen periimplantäre Defekte nach Ergebnissen der Gruppe um Prof. Tord Berglundh (Universität Göteborg, Schweden) klare histopathologische Unterschiede zu parodontalen [12].
In einer noch unpublizierten Studie war eine chirurgische Therapie bei glatten Implantatoberflächen mit 79 Prozent mehr als doppelt so erfolgreich wie bei rauen (34 Prozent). Berglundh rief die Industrie auf, die Forschung auf diesem Gebiet zu fördern. Bereits praktiziert wird dies von einer Arbeitsgruppe der Universität Gießen und des Deutschen Herzzentrums Berlin. Diese untersucht auf Anregung von Dentsply Implants die Struktur des Biofilms auf Implantaten. In einem Vortrag war interessanterweise ein Implantat des Herstellers zu sehen, das bis vor Kurzem als Versicherung gegen Periimplantitis angepriesen wurde.
In London wurde eine Reihe von Methoden für die periimplantäre Therapie und Erhaltungstherapie diskutiert, darunter unterschiedliche Lasermethoden (zum Beispiel von Morita) und die lokale Antibiose mit nachhaltiger Freisetzung des Wirkstoffs (zum Beispiel Heraeus Kulzer).
Fazit: Wie gewohnt bot die EuroPerio eine enorme Breite und Tiefe an Themen, dargeboten in multimedialer Form, aber auch eine einzigartige Plattform für fachlichen Austausch. Der Kongress wies zudem thematisch weit über die traditionelle Zahnmedizin hinaus. Die Parodontologie hat als Querschnittsfach offensichtlich das Zeug, die „Zahnheilkunde“ schrittweise als gleichrangige medizinische Disziplin zu etablieren.
Literatur
[1] Giannobile, W. V., et al.; J Dent Res 2013. 92 (8): 694-701.
[2] Freitag-Wolf, S., et al.; J Clin Periodontol 2014. 41 (12): 1115-1121.
[3] Chapple, I. L., et al.; J Periodontol 2013. 84 (4 Suppl): S106-112.
[4] Lang, N. P., et al.; Oral Health Prev Dent 2003. 1 (1): 7-16.
[5] Yost, S., et al.; Genome Med 2015. 7 (1): 27.
[6] Adler, C. J., et al.; Nat Genet 2013. 45 (4): 450-455, 455e451.
[7] Teughels, W., et al.; J Clin Periodontol 2013. 40 (11): 1025-1035.
[8] Jeffcoat, M. K., et al.; Am J Prev Med 2014. 47 (2): 166-174.
[9] Abrahamsson, K. H., et al.; Oral Health Prev Dent 2008. 6 (3): 209-216.
[10] Shanbhag, S., et al.; J Clin Periodontol 2012. 39 (8): 725-735.
[11] Drescher, J., et al.; Eur J Oral Sci 2010. 118 (5): 466-474.
[12] Carcuac, O., et al.; J Dent Res 2014. 93 (11): 1083-1088.