Von den beiden Tagen, an denen die Vertreterversammlung (VV) der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) in Bonn tagte, wird vielen besonders der erste Tag, der 6. November, im Gedächtnis bleiben, denn zu Beginn der VV bestand bereits weitgehend Klarheit über den Ausgang der US-Wahlen. In seiner Rede ging Martin Hendges, Vorsitzender des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, nur kurz auf das vorläufige Ergebnis der Wahlen in den USA ein, um dann Parallelen zwischen dem katastrophalen Ende der ersten Fahrt der Titanic im April 1912 und dem sich abzeichnenden Ende der Ampelkoalition zu ziehen.
„Der Begriff der ‚Unsinkbarkeit‘, der damals wie heute mit der Titanic in Verbindung gebracht wird, spielt dabei eine große Rolle. Wenn wir nun an den Beginn der jetzigen Ampel-Regierung zurückdenken, dann bin ich mir sicher, dass sich die selbsternannte Fortschrittskoalition damals auch für ‚unsinkbar‘ gehalten hat. Aktuell dürfte die Einschätzung der Ampelparteien wohl eine andere sein, schenkt man den aktuellen Medienberichten Glauben, die das vorzeitige Ende dieser Koalition in Aussicht stellen“, so Hendges.
Und dieses Ende kam schneller als erwartet. Bereits am Abend desselben Tages dominierte die Nachricht der Entlassung von Bundesfinanzminister Lindner und damit das Ende der Ampelkoalition die Nachrichtenlage. Trotz zweier politischer Großbeben an einem Tag mit zwar unterschiedlichen, aber sicher weit reichenden Folgen blieb die VV fokussiert und konzentriert bei ihren Themen, wenn auch die Adressaten diverser diskutierter Anträge in „Regierungskoalition“ korrigiert wurden.
Die Themen der VV hatten es denn auch in sich. Deutliche Kritik wurde an den Unzulänglichkeiten der aktuellen Gesetzesvorhaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geübt und eine durchdachte und in sich schlüssige Gesundheitspolitik mit Augenmaß gefordert, die der Selbstverwaltung und dem Berufsstand die nötigen Handlungsspielräume ermöglicht.
Herbst der Reformen?
Der von Lauterbach angekündigte „Herbst der Reformen“ zur Verbesserung der Patientenversorgung scheitere nach Ansicht der Vertreterversammlung bereits an handwerklichen Mängeln der Gesetze – und nach dem Bruch der Koalition möglicherweise ohnehin an fehlenden Mehrheiten. Die VV wirft Minister Lauterbach vor, mit seinen Ansätzen lediglich Pro-forma-Lösungen zu schaffen, die Versorgungsrealität dabei jedoch zu ignorieren. Vor allem aber kritisieren die Vertreter der Vertragszahnärzteschaft, dass der Bundesgesundheitsminister mit seinen Gesetzen bewährte Strukturen im Gesundheitswesen nachhaltig zerstöre und immer stärker sowohl in die Arbeit der Praxen als auch in die der Selbstverwaltung eingreife.
„Die Pläne der Politik, die Herz-Kreislauf-Gesundheit in der Bevölkerung zu stärken, sind grundsätzlich begrüßenswert. Jedoch wird der Präventionsgedanke im vorliegenden Gesetzentwurf nicht konsequent zu Ende gedacht. Vorsorge kann nur dann erfolgreich funktionieren, wenn ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt wird, der auch die Mundgesundheit berücksichtigt. Wir fordern daher, dass die Leistungen für die neue, präventionsorientierte Parodontitistherapie im Rahmen des ‚Gesundes-Herz-Gesetz‘ als Früherkennungs- und Vorsorgeleistungen anerkannt und vollumfänglich vergütet werden. Nur dann können die Patientinnen und Patienten ein Versorgungsangebot in Anspruch nehmen, das ihnen zusteht und dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht“, stellte Martin Hendges, KZBV-Vorstandsvorsitzender, klar.
Zu iMVZ kein einziger Vorschlag
Dass die aktuellen Gesetzentwürfe ihrem Namen nicht gerecht werden, zeige sich auch an anderer Stelle, sagte Hendges. So liege im Gesetzgebungsverfahren zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz bis heute kein einziger Regulierungsvorschlag vor, um die Gefahren für die Patientenversorgung, die von investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) ausgehen, endlich wirksam einzudämmen. Die Vertreterversammlung appelliert nachdrücklich an die politischen Entscheidungsträger, die Vorschläge der KZBV zur Regulierung der iMVZ endlich aufzugreifen. Dazu sollte neben einer räumlichen zusätzlich eine fachliche iMVZ-Gründungsbeschränkung für Krankenhäuser gesetzlich verankert werden.
Digitalisierung benötigt ausgereifte Technik und faire Finanzierung
Deutlich nachgebessert werden müsse auch bei den Digitalisierungsprojekten. Dr. Karl-Georg Pochhammer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZBV, betonte, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) seine Ansprüche zur Einführung der weiterentwickelten elektronischen Patientenakte (ePA für alle), deren bundesweiter Start für Februar 2025 geplant ist, an die Realität anpassen müsse. „Damit dieser Termin gehalten werden kann, soll die ‚ePA für alle‘ in nur vier Wochen in den TI-Modellregionen Hamburg und Franken getestet werden. Selbst im BMG kann niemand davon überzeugt sein, dass dieser Zeitplan aufgeht.“
Die Vertreterversammlung fordert deshalb eine Verschiebung des Einführungstermins und eine Testphase, in der die Qualität und nicht der Termin im Vordergrund stehe. „Die ‚ePA für alle‘ muss schnell und reibungslos in der Praxissoftware funktionieren. Das ist durch Funktionstests nachzuweisen. Erst dann kann sie ausgerollt werden“, sagt Pochhammer, der das BMG auch in Sachen Finanzierung in die Pflicht nahm: „Wer das Projekt andenkt und antreibt, der muss auch dafür sorgen, dass die Arbeit, die andere damit haben, anständig bezahlt wird. Die Kosten, die den Zahnarztpraxen in Bezug auf die ePA entstehen, müssen refinanziert werden.“
Abrechnungsverbot potenziell existenzgefährdend
Dass erbrachte Leistungen ab Januar nur abgerechnet werden dürfen, wenn die Praxen hierfür Praxisverwaltungssysteme (PVS) einsetzen, die erfolgreich ein Zertifizierungsverfahren durchlaufen haben, lehnt die Vertreterversammlung strikt ab. Dr. Ute Maier, stellvertretende KZBV-Vorstandsvorsitzende, machte deutlich: „Die Verfahren zur Zertifizierung, Beauftragung, Akkreditierung sowie eine Verfahrensordnung sind derzeit noch reine Theorie und zugelassene Aktensysteme für eine marktreife Programmierung und Erprobung stehen den PVS-Herstellern überhaupt nicht zur Verfügung.“
Zudem müssten Umsetzungsprozesse in den Praxen berücksichtigt werden, damit das zertifizierte PVS praxistauglich funktioniert; die Mitarbeitenden müssten entsprechend geschult werden. „Das als Sanktion für die Praxen vorgesehene Abrechnungsverbot bei Nichterfüllung der Zertifizierung ist potenziell existenzgefährdend und geeignet, die Gesundheitsversorgung weiter zu destabilisieren. Aus diesem Grund lehnen wir es eindeutig ab“, betonte Maier.
Barrieren abbauen mit positiven Anreizen
Gegenstand der standespolitischen Diskussion in Bonn war auch das Vorhaben des BMG hinsichtlich eines Aktionsplans für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen. Um diesen umzusetzen, müsse der Staat seiner Verantwortung sachgemäß und zielführend gerecht werden. Dies dürfe nicht zulasten der Zahnärzteschaft gehen, so Hendges.
Eine verbesserte Inklusion, Diversität und ein barrierearmer Zugang zum Gesundheitswesen werde grundsätzlich unterstützt, Verpflichtungen für alle Praxen oder gar Sanktionen seien aber strikt abzulehnen. Es gelte stattdessen, positive Anreize zu schaffen, mit denen die Praxisinhaber die Barrierearmut ihrer Praxen freiwillig verbessern, und sie dahin gehend mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen. „Verpflichtende, strenge Vorgaben für die Barrierearmut von Zahnarztpraxen bedrohen die Existenz vieler Praxen und erschweren die Übergabe an mögliche Nachfolger deutlich. Damit droht ein erheblicher Schaden für die Versorgung aller Versicherten, wenn gesetzliche Maßnahmen zur frühzeitigen Schließung von Praxisstandorten führen“, warnte Hendges.