Milchmolaren mit Dentinkaries lassen sich häufig nur schwierig mit Anästhesie, vollständiger Exkavation und konventioneller Füllung versorgen. Bis eine umfangreiche restaurative Therapie möglich ist, kann ein Zeitgewinn mit alternativen Methoden vor allem bei unkooperativen Kindern hilfreich sein.
Eine groß angelegte Studie aus England zeigt, dass ein Belassen kariös veränderten Dentins mit Überkronung oder Füllung erfolgreicher ist als vollständiges Exkavieren [1]. Aber auch ein rein präventives Protokoll hatte im Vergleich zu den beiden Restaurationsgruppen ein nur geringfügig höheres Misserfolgsrisiko.
An der randomisiert-kontrollierten Studie waren 72 nicht spezialisierte Praxen in England beteiligt [1]. Bei 1.144 Kindern wurde in drei parallelen Gruppen pro Kind mindestens ein Milchzahn mit Dentinkaries ausgewertet. Je nach Defektgröße wurde die selektive (pulpaferne) Exkavation mit einer Füllung oder Kinderkrone kombiniert. Das Risiko für Schmerzen oder Exazerbation (Schwellung, Abszess oder Fistelung) war nach durchschnittlich knapp drei Jahren (33,8 Monaten) in der Therapiegruppe mit selektiver Exkavation am geringsten. Gegenüber vollständiger Exkavation war sie um 2 Prozent reduziert.
Präventives Vorgehen auch erfolgreich
Interessanterweise war das Komplikationsrisiko auch in der rein präventiven im Vergleich zur konventionellen Gruppe nur um 4 Prozent erhöht [1]. Das präventive Protokoll bestand in Ernährungsberatung, täglich zweimaligem Putzen mit fluoridierter Zahncreme (plus Fluoridspülung bei Kindern über 7 Jahren), professioneller Fluoridlack-Applikation und Versiegelung bleibender Zähne. Diese Maßnahmen erfolgten zusätzlich auch in den anderen beiden Gruppen.
Gleiche Ergebnisse mit und ohne Füllung
Eine Studie der Abteilung für Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde der Universität Greifswald vergleicht in einem ähnlichem Studiendesign an approximal kariösen Milchmolaren die drei folgenden Methoden [2]:
1. Kompomer-Füllungen: konventionelle Exkavation und Restauration
2. Hall-Technik: keine Exkavation, Überkronung mit Stahlkronen
3. Kariesinaktivierung: Defektdarstellung ohne Exkavation und restaurative Versorgung, präventives Management
Die Kinder der dritten Gruppe erschienen alle drei Monate zum Recall, jeweils mit Ernährungshinweisen, Mundhygiene-Instruktion und Fluoridlack-Applikation (Duraphat). Um Zahnwanderungen zu vermeiden, wurden beim hochtourigen Abtragen nicht unterstützter Schmelzbereiche (Defektdarstellung) approximale Kontakte belassen. Im Ergebnis zeigte die Hall-Technik nach mindestens zwei Jahren (142 Kinder) die besten Ergebnisse. Die konventionelle und die Karies-Inaktivierungs-Gruppe waren jeweils ähnlich erfolgreich. Insgesamt traten 25 irreversible Probleme auf (Pulpitis, Vitalitätsverlust, Abszess oder unrestaurierbarer Zahn). Kariesinaktivierung (9 Probleme) war dabei erfolgreicher als die Kompomer-Gruppe (14).
Behandler und Eltern denken noch invasiv
Die Ergebnisse beider Studien zeigen, dass aktuelle Empfehlungen noch zu konservativ sein könnten. So lag die Zustimmung zu präventiver, nicht restaurativer Karieskontrolle im Konsensbericht der European Organisation for Caries Research (ORCA) und der European Federation of Conservative Dentistry (EFCD) nur bei 50 Prozent [3]. Diejenige zur Hall-Technik betrug je nach Indikation zwischen 71 und 75 Prozent. Die beiden oben diskutierten Studien waren allerdings für den Konsensbericht noch nicht verfügbar.
Die Greifswalder Arbeitsgruppe betont, dass es „die einzig richtige Kariesbehandlungsoption“ nicht gibt [2]. Bei Therapie-Entscheidungen sollte zum Beispiel das Kariesrisiko bedacht werden. Zudem können ohne Restauration schwerwiegende funktionelle und kieferorthopädische Probleme auftreten (Anmerkung des Autors dieser Analyse). Das gilt sowohl bei Approximalkaries mit Verlust des Kontaktpunkts als auch bei fehlender vertikaler Abstützung.
Bei der Beratung von Eltern ist schließlich zu beachten, dass diese eher „konservativ“ eingestellt sein könnten. Nach einer Studie aus dem Iran zahlen sie, vor allem bei geringerem Einkommen, lieber für eine Füllung als für eine Fissurenversiegelung [4]. In Deutschland ist das gebührentechnisch zumindest bei bleibenden Zähnen kein Thema. Präventive oder minimal-invasive Therapie ist aber auch hierzulande weder bei Zahnmedizinern noch bei Patienten ein Selbstgänger.
Dr. Jan H. Koch
Literatur
[1] Innes NP, Clarkson JE, Douglas GVA, Ryan V, Wilson N, Homer T, et al. Child Caries Management: A Randomized Controlled Trial in Dental Practice. Journal of Dental Research 2020;99:36-43.
[2] Santamaría RM, Schmoeckel J, Innes N, Alkilzy M, Machiulskiene V, Splieth CH. Kariesmanagementoptionen für Milchmolaren: Ergebnisse einer randomisierten klinischen 2-Jahresstudie. Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 2020;75:88-96.
[3] Santamaría RM, Abudrya MH, Gül G, Mourad MS, Gomez GF, Zandona AGF. How to Intervene in the Caries Process: Dentin Caries in Primary Teeth. Caries Research 2020;54:306-323.
[4] Saadatfar N, Jadidfard MP. Parents’ Preferences for Preventive and Curative Dental Services: A Comparison between Fissure Sealant and Composite Filling Using Willingness-To-Pay Method. International Journal of Paediatric Dentistry. Online 2021_02_06.
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