Wie keine andere Disziplin ist die MKG-Chirurgie für die Patienten ein Angstfach. Untersuchungen von Prof. Dr. Dr. Dirk Hermes haben ergeben, dass die Angstintensität, verglichen mit einigen anderen medizinischen Disziplinen, in der ambulanten MKG-Chirurgie am größten ist, größer noch als die Angst vor dem Zahnarzt.
„So, jetzt bitte nicht erschrecken“, diese Warnung hat wohl jeder Patient schon einmal gehört. Der meist gut gemeinte Satz, doch bitte nicht zu erschrecken, bewirkt das genaue Gegenteil. „Stellen Sie sich vor, man fordert Sie auf, auf keinen Fall an einen karierten Elefanten zu denken, was passiert? Ihr Denken fokussiert sich genau darauf und vor dem inneren Auge erscheint ein karierter Elefant. Wir verlangen da von unserem Gehirn Unmögliches, es ist nicht in der Lage, dem Befehl nachzukommen, es kann keine Negation. Deshalb ist es wichtig, positiv zu kommunizieren, nur so sind wir in der Lage, negativen Gedanken und Empfindungen keinen Raum zu gewähren“, erklärt Dr. Dr. Anette Strunz, DGI-Vorstandsmitglied und Fachärztin für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie mit den Schwerpunkten Implantologie, Parodontologie und Hypnose in Berlin.
Win-Win für Patienten und Behandler
„Immer wieder stelle ich fest, dass sich erstaunlicherweise die wenigsten Kolleginnen und Kollegen wirklich bewusst machen, wie sie mit ihren Patienten umgehen und wie ihre Botschaften bei demjenigen ankommen, der sich ihnen mehr oder minder ausliefert“, schildert Dr. Strunz die eigenen Erfahrungen am Beginn ihres Berufslebens. Sie beschließt damals, dass sie anders behandeln möchte und lässt sich fortbilden in Hypnose und im Neurolinguistischen Programmieren (NLP). Dabei merkt sie schnell, welche Kraft eine positive Kommunikation hat. „Wenn man positiv kommuniziert, dann trägt das wesentlich zum Angstabbau beim Patienten bei. Weniger Angst bedeutet mehr Entspannung, weniger Stresshormone und Adrenalin, und auch Herzrasen und Blutungen können gemindert werden. Der Patient hat letztlich weniger Schmerzen und in der Regel einen besseren Heilungsverlauf“, so die Medizinerin. Und auch für den Behandler sei der Eingriff leichter, weil ein entspannter Patient den Mund besser öffne als ein angespannter, der die ganze Zeit die Schultern hochzieht und abwehrt.
Eutrance statt Dystrance
Die Sprache gibt hier also das Denken vor. Denn mit dem Patienten im Behandlungsstuhl verhält es sich ähnlich wie mit einem auf einer Mauer balancierenden Kind, dem man sagt: Bleib schön oben! „Das Kind hat in diesem Fall mehr Ansporn, auf der Mauer zu bleiben, als wenn man ihm sagt: Fall nicht runter! Dann denkt es immer ans Fallen. Dabei wirkt die Kraft der Suggestion“, so Anette Strunz. Jeder Patient sei während der Behandlung besonders empfänglich für Suggestionen. Dabei falle dem Arzt als Autoritätsperson eine Schlüsselfunktion zu, die er positiv für den Patienten einsetzen könne, indem er auf ihn eingeht und möglichst viele positive Anker setzt. So könne der Patient in Eutrance statt in Dystrance versetzt werden. Auch nonverbale Suggestionsformen, wie Körpersprache, Seufzer und bedeutungsvolle Blicke spielten dabei eine große Rolle. In der Praxis von Dr. Strunz wird deshalb nie im Flüsterton kommuniziert, beziehungsweise unklare Kommunikationsmomente werden aufgelöst, um bei den Patienten keine Verunsicherung hervorzurufen.
Die Wirkung der Praxisräume und des gesamten Teams
Neben der verbalen und nonverbalen Sprache haben auch die Atmosphäre in der Praxis und die richtige Beratung Einfluss auf die Kommunikation. Es sei wichtig, dass sich die positive Stimmung auch in den Praxisräumen widerspiegelt. Für Dr. Strunz gehören dazu warme Farben und ein spezielles Lichtkonzept für ein wohnliches Ambiente, ebenso wie eine gute Behandlungsvorbereitung und das Ausblenden der Medizin für den Patienten. Instrumente wie Zangen etc. würden nie sichtbar herumliegen. Ebenso sei es wichtig, dass das gesamte Team an einem Strang ziehe. „Der Patient bezieht alles auf sich, was im Behandlungsraum geschieht, weil er im Mittelpunkt des Geschehens steht. Das muss man immer im Kopf haben und sich dementsprechend verhalten. Auch wenn im Hintergrund Stress herrsche, sollte niemand hektisch sein oder gar durch die Praxis rennen. Diese Stimmung wirkt sich unmittelbar auf die Patienten aus. Daher ist Mitarbeiterführung ein wesentlicher Bestandteil einer guten Kommunikationsstruktur und einer guten Behandlungsatmosphäre.“ Wichtig sei es auch, sich die nonverbalen Eindrücke in der Praxis bewusst zu machen und anzusprechen. Das könne alle Sinneskanäle betreffen: visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch oder auch gustatorisch. So wirkten zum Beispiel klassische Hintergrundmusik beruhigend und einfache Hilfsmittel, wie ein Ball in der Hand des Patienten während der Behandlung, stressmindernd. In der Praxis von Dr. Strunz sind keine Jodstreifen vorhanden, um den typischen „Zahnarztgeruch“ zu vermeiden. Stattdessen gibt es frische Blumen und Oberflächenbetäubungsgel mit Erdbeergeschmack.
Beratung im 120-Grad-Winkel
Eine erste Möglichkeit, Ängsten vorzubeugen, sind zugewandte Gespräche und eine gute Beratung. Oftmals nimmt sich der Arzt zu wenig Zeit für die Beratung oder es wird nicht allgemein verständlich beziehungsweise in der für den Patienten adäquaten Weise gesprochen. Das erste Gebot sei das aufmerksame Zuhören. „Wenn man persönliche Wünsche und Bedürfnisse erfährt, kann man die Patienten auf einer anderen Ebene ansprechen, was unbewusst positiv registriert wird und sehr viel besser und schneller überzeugt“, so die Implantologin. Sehr helfe die Frage: „Was ist Ihnen an Ihren Zähnen wichtig, was wünschen Sie sich?“ Dann kann bei der Erläuterung der Behandlung individuell das, was der Patient vorher genannt hat, wieder genutzt werden: „Ich würde Ihnen hier zwei Implantate empfehlen, damit Sie dann wieder sicher in Ihr Steak beißen können“.
Dr. Strunz empfiehlt, die Beratung nicht am Behandlungsstuhl durchzuführen. In ihrer Praxis hat sie sich dafür extra einen Tisch fertigen lassen, an dem sie im 120-Grad-Winkel zum Patienten sitzt und der den gemeinsamen Blick auf den Bildschirm und das Anschauungsmaterial ermöglicht. „Es gibt Patienten, denen ist die Situation unangenehm, vielleicht weil sie Mundgeruch haben oder Zähne fehlen, und für sie es eine Erleichterung, sich entscheiden zu können, ob sie einem in die Augen schauen oder lieber auf den Monitor.“ Wichtig sei auch bei der Beratung, dass das Team mitziehe: „Wenn ich den Patienten von der Notwendigkeit einer Implantation überzeugt habe und eine Mitarbeiterin stellt das dann außerhalb des Raumes wieder infrage, ist der Erfolg der ganzen Überzeugungsarbeit gefährdet.“
Dr. Strunz ist glücklich, dass sie die Praxis nach ihren Wünschen und Vorstellungen einrichten konnte. Und ihr Konzept kommt an, der Nachfrage nach Behandlungen kann sie kaum nachkommen. „Obwohl unsere Arbeit ja nicht leicht ist, macht sie meinem Team und mir großen Spaß. Und das Feedback der Patienten ist sehr positiv. Ich empfehle daher sehr, dass Zahnärzte Kurse zu richtiger Kommunikation und Beratung besuchen, denn im Studium kommt das nach wie vor zu kurz.“ Sie selbst gibt ihr Wissen inzwischen weiter. Bereits mehrfach hat sie ihr Konzept der positiven Kommunikation vorgestellt, zuletzt im Rahmen des Start-up Implantologie beim Dental Summer im Juni am Timmendorfer Strand. Und es freut sie, wenn auch Sie Ihren Patienten demnächst nicht mehr sagen: „Nicht erschrecken!“
Brigitte Dinkloh
Titelbild: Peter Adamik