Dr. Heinz-Michael Günther ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Ergonomie in der Zahnheilkunde (AGEZ) und der European Society Dental Ergonomics (ESDE). Er weist auf die Bedeutung der Ergonomie hin. Sie sei eine wichtige Säule der Arbeitspraxis. Der Zahnarzt sollte sich ihr nicht verweigern.
Trotz einiger Fortschritte, die die Fachgesellschaften bereits erzielt haben, bestehe leider weiterhin wenig Interesse an dem Fach, das an deutschen Universitäten bis dato nicht verpflichtend ist. DZW-Redakteurin Nina Eckardt sprach mit Günther über die Zusammenhänge von Kommunikation, Patientenwohl und Ergonomie.
Wie hängen Patientenkommunikation und Ergonomie zusammen?
Dr. Heinz-Michael Günther: Oberflächlich betrachtet scheint es zunächst schwierig, einen Zusammenhang zu erkennen. Bei näherem Hinsehen lassen sich aber zwei wichtige Aspekte der Patientenkommunikation definieren, die zum ergonomischen Arbeiten beitragen. Das ist zum einen die Ablenkung und zum anderen die Entspannung. Ablenkung kann zum Beispiel durch Kunstwerke in der Praxis erfolgen. Das können Aquarelle oder schöne Landschaftsaufnahmen sein, auf die sich der Patient fokussieren kann. In meiner Praxis hatten wir eine Wand mit wechselnden Motiven unserer Fernreisen bebildert. Das weckte das Interesse der Patienten, und das Eis war gebrochen. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Entspannung. Diese wird durch eine gute Betreuung durch das Team gewährleistet. Wenn der Patient Vertrauen hat, ist er entspannter. Der Zahnarzt kann ergonomischer und zügiger arbeiten; das bedeutet bessere Ergebnisse, einen Zeitgewinn und finanzielle Vorteile.
Inwiefern tragen entspannte Patienten zum ergonomischen Arbeiten des Zahnarztes bei?
Günther: Das Zeitmanagement muss passen, und ein reibungsloses Arbeiten muss garantiert sein. Voraussetzung ist, dass die Arbeitsabläufe sinnvoll gestaltet werden. Ist der Patient entspannt und angstfrei, wirkt sich das auf die Haltung des Arztes aus, und es kommt zu weniger muskulären Dysbalancen. Auch Probleme mit der Hals- und Lendenwirbelsäule kommen bei Zahnärzten überdurchschnittlich oft vor. Der Zahnarzt muss die Behandlung seltener unterbrechen, wenn der Patient entspannt ist. Sich wohlfühlen in einer harmonischen Umgebung bringt positive Effekte für Patient und Team.
Wie hängen Stress und ergonomisches Arbeiten zusammen?
Günther: Stress belastet nicht nur den Patienten, sondern auch Team und Arzt. Es kommt dann häufiger vor, dass zum Beispiel Abdrücke oder Füllungen länger dauern oder sogar neu gemacht werden müssen. Das kostet Zeit. Mit Patienten, die entspannt und weniger gestresst sind, können wir besser arbeiten. Ein reibungsloses Arbeiten wird hierdurch erst möglich. Zum Beispiel durch Organisation (Checklisten) und Behandlungsplanung.
Welche Voraussetzungen muss der Zahnarzt schaffen, um mit Blick auf eine gelungene Kommunikation ergonomisch arbeiten zu können?
Günther: Wichtig ist ein freundliches Ambiente, in dem sich der Patient wohlfühlt. Ein schön gestalteter Eingangsbereich, Getränke, WLAN, auf die Patientenbedürfnisse angepasstes Informationsmaterial wie regionale Veranstaltungstipps, Dekoration – Ideen sind im Grunde genommen keine Grenzen gesetzt. Marketingmaßnahmen wie eine Corporate Identity sollten nicht außer Acht gelassen werden. Außerdem empfehle ich, den Patienten ein Anti-Angst-Training anzubieten. Damit haben wir in unserer Praxis sehr gute Erfahrungen gemacht. Viele Patienten waren dankbar und teils zu Tränen gerührt, endlich ihre Angst vorm Zahnarzt losgeworden zu sein. Und nicht zuletzt spielt das Team eine ganz entscheidende Rolle. Es sollte schwierigen Situationen gewachsen sein. Mitarbeiter sollten empathisch sein und den Durchblick haben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade langjährige Mitarbeiterinnen diese Kriterien erfüllen. Das Team kümmert sich letztlich von Anfang bis Ende der Behandlung mehr um die Patienten als der Arzt. Daher sollten die Mitarbeiterinnen die Klaviatur der Kommunikation beherrschen.
Welche Kommunikationsstrategien empfehlen Sie?
Günther: Sprechen ist Medizin! Den Anfang macht jedoch die nonverbale Kommunikation. Wie wirken der Eingangs- und Wartebereich? Sind die Toiletten sauber? Das sind alles wichtige Details. Die verbale Kommunikation ist Teamaufgabe, aber auch Aufgabe des Chefs. Wichtig ist eine persönliche Ansprache bei der Anmeldung sowie vor und nach der Behandlung. Die ZFA spielt eine wichtige Rolle, sie sollte dem Patienten nicht von der Seite weichen und ihn nicht allein im Behandlungsraum warten lassen. Das gesprochene Wort macht etwa 7 Prozent der Kommunikation aus. Körpersprache hingegen 55 Prozent! Daher ist es nicht verkehrt, andere einschätzen zu lassen, wie man auf die Außenwelt wirkt. Mir ist es zum Beispiel schon passiert, dass ich einem Patienten auf Fachchinesisch erklärt habe, was eine Teleskopprothese ist. Meine ZFA hat gemerkt, dass der Patient unsicher ist, und hat ihm ein Modell gezeigt. Hilfe von außen kann also manchmal nicht verkehrt sein. Weiterempfehlen kann ich auch den Recall nach operativen Eingriffen.
Welche praktischen Tipps geben Sie Ihren Kollegen mit?
Günther: Verlassen Sie sich auf Ihren gesunden Menschenverstand! Es gibt unzählige Coaches, die teilweise nichts Neues erzählen. Nicht jedes Training oder Coaching ist für jeden empfehlenswert. Beschäftigen Sie sich mit Marketing: Geben Sie den Patienten kleine Give-aways mit. Tun Sie alles zum Wohl des Patienten. Wichtig ist, die Praxis ganzheitlich zu führen und ein rundes Konzept zu haben. Wenn die Patienten gelassen und angstfrei in die Praxis kommen, kann man auch ergonomisch arbeiten.