Die Einführung der Telematikinfrastruktur ist ein wenig wie ein absurdes Theaterstück. Die Protagonisten reden nicht wirklich miteinander, sondern aneinander vorbei. Gemeinplätze blühen. Und am Ende kommt einer nicht, oder?
Protagonist eins ist die Wirtschaft, die die TI-Lösungsmodule anbietet. Sie ist schon aus unternehmerischen Überlegungen sehr daran interessiert, möglichst schnell möglichst viel zu verkaufen. Der Marktzutritt erfolgt allerdings erst nach der erfolgreichen Durchquerung des Zulassungslabyrinths. Das kann dauern. Protagonist zwei wird in diesem Stück am besten durch die Gematik repräsentiert. Es ist eine doppelgesichtige Rolle: Auf der einen Seite sind da die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer. Sie übernehmen exakt 50 Prozent der Rolle. Diese Hälfte meldet sich gerne, oft und gerne laut zu Wort. Ihr Credo verkündet sie auf jedem zweiten Deutschen Ärztetag und stellt sich gegen die Einführung der TI. Laut Forsa-Umfrage lehnt derzeit jeder vierte Arzt die TI-Anbindung ab. Die zweite Hälfte dieser Figur übernimmt der GKV-SV. Sie ist naturgemäß für die TI-Anbindung der Arztpraxen. Aus einfachen Gründen. Sie kann Arbeit an die Ärzte auslagern. Das spart Zeit. Sie kann Doppelbehandlungen ausschließen. Das spart Geld. Und die Digitalisierung macht Gesundheit transparenter. Das kann gut für die Gesundheit der Versicherten sein. Und es kann gut für die Versicherungen sein. Wenn wundert es – diese zerrissene Gematik kommt nur schwerlich einen Zulassungsschritt voran.
Und täglich grüßt …
Im TI-Anbindungsjahr 2018 beginnt der Herbst, und da ist der sanktionsdräuende Jahreswechsel auch nicht mehr fern. Jetzt heißt es also mindestens auf Zeit zu spielen. Das Zauberwort lautet „Fristverlängerung“. Die KBV hat es wieder zuerst ausgesprochen und stürzt sich begeistert auf eine Bundetags-e-Petition von Frau Dr. Petra Reis-Berkowicz. Sie ist eine im Google-Index mit fünf Sternen bewertete Hausärztin und Vorsitzende der Vertreterversammlung (VV) der KBV. „Wir – die Vorstände der KBV und der KVen – nehmen es nicht hin, dass die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten für etwas bestraft werden sollen, das sie gar nicht zu verantworten haben“, lässt sich Dr. Thomas Kriedel, Mitglied des Vorstands der KBV, zitieren und fordert seine Heilberuflerschaft zur Unterstützung der Petition auf. Dr. Karl-Georg Pochhammer, der für die TI zuständige Vorstand der KZBV, legt noch eins drauf und fordert direkt „eine Verlängerung dieser sinnlosen Frist um mindestens ein Jahr“. Heißt wohl Sanktnimmerleinstag?
Ein wenig ergibt sich der Eindruck, man nähme Herrn Spahn nicht ganz ernst, nach dem Motto, die Verzögerungstaktik der vergangenen zehn Jahre wird irgendwie schon weiter funktionieren. Andere werten das von Jens Spahn geplante Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) als Schuss vor den Bug der Selbstverwaltung. Der Präsident des Berufsverbands Deutscher Internisten, Dr. Hans-Friedrich Spies, sieht die ärztliche Selbstverwaltung schon als ausführende Behörde des Gesundheitsministeriums, mit dem Unterschied, dass sie von ihren eigen Mitgliedern finanziert werde.
TI – dein Name sei Fristverlängerung
Aber vielleicht haben die Standesvertretungen in Fragen der TI-Fristen auch wieder einmal Glück. Die beiden Konnektoren von Rise und Secunet, die noch eine Zulassung von der Gematik erhoffen, sind noch nicht am Markt. Rise erwartet die Zulassung „im Laufe des Oktobers 2018“. Es wird gemunkelt, dass die Zulassungen erst im Dezember erteilt werden. Rund 30.000 Praxen sind derzeit an die TI angeschlossen. Allesamt Kunden der CompuGroup Medical. Seit September arbeitet nun auch die Telekom ihre – nach eigenen Angaben – 20.000 Interessenten ab. Und so wie es aussieht, wird die Arvato nun gemeinsam mit der Telekom die Abwicklung des ZIS-Deals mit den Zahnärzten der KZVWL übernehmen. Glück gehabt. Ein ganzes Quartal bleibt nun noch Zeit. Das ist nicht viel.
Petition 83509
„Mit der Petition wird gefordert, dass das Bundesministerium für Gesundheit die gesetzliche Frist nach Paragraf 291 Absatz 2b Satz 14 SGB V für die verpflichtende Anbindung von Praxen an die Telematikinfrastruktur verlängert und niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten nicht schuldlos ab dem 1. Januar 2019 mit einem Honorarabzug sanktioniert werden.
Begründung: Laut E-Health-Gesetz sollen alle niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten ihre Praxen bis zum Ende des Jahres 2018 an die TI anschließen. Die bestehenden Rahmenbedingungen sind allerdings so problematisch, dass sich die meisten Praxen gar nicht innerhalb dieser Frist anbinden können.“ Neben dem CGM- Konnektor ist Stand heute auch der von der Telekom am Markt.
Weiter heißt es in der Petition: „Nur Praxen, die auch ein mit dem bisher zugelassenen Konnektor kompatibles Praxisverwaltungssystem (PVS) im Einsatz haben, können sich bedenkenlos an die TI anbinden. Für Praxen, die ein PVS eines anderen Anbieters nutzen, ist eine Anbindung unter den aktuellen Rahmenbedingungen – sowohl in finanzieller als auch in technischer Hinsicht – mit eindeutigen Risiken verbunden. Das zeigen bisherige Erfahrungsberichte.“ Dieses Argument sticht natürlich, die Schlussfolgerung von Reis-Berkowicz aber nur bedingt: „Die gesetzlich vorgesehene Einführungsfrist muss daher verlängert werden! Eine solche Fristverlängerung aus Marktgründen wurde bereits in der Vergangenheit durchgeführt. Da sich an den Marktbedingungen nichts Grundsätzliches geändert hat, muss eine erneute Verlängerung erfolgen.“ (Anmerkung der Redaktion: Stand 28. September 2018 haben etwa 9.800 Personen die Petition unterzeichnet.)
Lösungsvorschlag – Wechsel auf TI-Bestelldatum
Richtig, an den Marktbedingungen hat sich nicht viel getan, aber der junge Gesundheitspolitiker der CDU, Tino Sorge, hat die gewohnten Pfade verlassen und out of the box gedacht. Sein Vorschlag lautet, „künftig sollte der Zeitpunkt der Bestellung für die Fristeinhaltung ausschlaggebend sein, und nicht erst der Moment der Inbetriebnahme“, so Sorge. Das hätte den charmanten Effekt, den Jahresturnus halten zu können und zugleich den politischen Druck auf die Ärzteschaft aufrechterhalten zu können. Ansonsten könnte das TI-Schauspiel ausgehen wie Becketts Warten auf Godot:
„Well? Shall we go?“ „Yes, let’s go.“ They do not move.