Zahnheilkunde und nicht zuletzt restaurative Teilgebiete wie die Implantologie sind zum großen Teil Erfahrungsmedizin. So liefert zurzeit nur eine Leitlinie evidenzbasierte Empfehlungen, wie einzelne Defektsituationen versorgt werden sollten [1]. Für den zahnlosen Oberkiefer werden darin primär die Implantatzahl und der Verbindungsmodus (festsitzend, herausnehmbar) definiert. Zu offenen Fragen wie geeignetem Abutment-Design, Art der prothetischen Verankerung auf Implantat- oder Abutmentniveau oder auch Material und hygienische Gestaltung der Suprakonstruktion wird in einem aktuellen Konsensus-Report entsprechender Forschungsbedarf gesehen [2]. Bezüglich der Frage, welche Implantat-Typen indiziert sind, verweist der Bericht nur auf bessere Erfolgsraten für mikroraue gegenüber glatt-maschinierten Oberflächen [2].
Auf einen Blick
- Die Evidenz für indikationsbezogene Produktdesigns, Materialien und Methoden bleibt begrenzt.
- Transgingival und verdeckt einheilende Implantate zeigen vergleichbare Erfolgsquoten und Gewebestabilität.
- Die Indikation für Knochen- oder Weichgewebsniveau-Implantate hängt unter anderem von Kieferposition und Verbindungstyp ab.
- Ultrakurze, schmale und Zygoma-Implantate erweitern die Möglichkeiten bei unzureichendem Knochenangebot.
- Neue Implantatsysteme und Abutment-Designs variieren das transgingivale Prinzip.
- Platform-Switching mit Knochenniveau-Implantaten erscheint primär im Oberkiefer vorteilhaft.
- Für Hybrid-Abutment-Kronen gibt es vielversprechende Ergebnisse nach drei Jahren.
- Eine hygienefreundliche Gestaltung der Prothetik und regelmäßige Nachsorge sind dringend erforderlich.
Welcher Implantat-Typ ist der beste?
Viel diskutiert wird zurzeit die für erfolgreiche Versorgungen erforderliche Implantatlänge. Während ein ITI-Konsens von 2018 für bis zu 6 mm lange Implantate noch ein erhöhtes Misserfolgsrisiko signalisierte, zeigen neue systematische Reviews und klinisch-prospektive Studien auch für Implantate von bis zu 4 mm „Kürze“ im Vergleich zu längeren Implantaten praktisch gleichwertige Ergebnisse [3-5]. Eine ebenfalls aktuelle Alternative bei stark reduziertem Knochenangebot im Oberkiefer sind Zygoma-Implantate, die in weiter entwickelten Versionen erhältlich sind [6, 7].
Einteilige Implantate, das sind Produkte mit fest verbundenem prothetischem Pfosten („Abutment“), zeigen eine gute biologische und prothetische Prognose [8, 9]. Auch hier gibt es aber zahlreiche offene Fragen, zum Beispiel in Bezug auf Knochenabbau und Periimplantitis, im Vergleich zu zweiteiligen mit separatem Abutment. Einteilige „wurzelanaloge“ Zirkonoxid-Implantate zum direkten Ersatz eines Zahnes können seit einiger Zeit auf der Basis von DVT-Aufnahmen im Laserdruckverfahren hergestellt werden (BioImplant). Der kritische Durchtrittsbereich ist damit zahnanalog und der orale Anteil lässt sich wie ein Zahn beschleifen. Einschränkungen gibt es bei den Indikationen, zum Beispiel im Fall von Knochendefekten nach Extraktion des natürlichen Zahns, zudem sind wenig klinische Daten verfügbar [10-12]. Das gilt auch für neuartige keilförmige Titan-Implantate, bei denen das Implantatlager in schmalen Alveolarkämmen piezochirurgisch präpariert wird (Rex PiezoImplant).
Dagegen wurden für schmale Implantate (Durchmesser 2,5-3,3 mm) in einer systematischen Übersicht gute Implantat-Überlebensraten gefunden [13]. Hier ist jedoch wegen der notwendigen Länge eine Restkieferhöhe von mindestens 10 Millimeter erforderlich (Vortrag PD Dr. Dr. Eik Schiegnitz, DGI-Kongress 2021). Bei All-on-x-Versorgungen mit Sofortbelastung haben auch schräg inserierte Implantate gute Erfolgsaussichten und werden daher in der oben genannten S3-Leitlinie empfohlen [1, 14]. Voraussetzung ist, dass Patienten eine adäquate Mundhygiene betreiben und regelmäßig zum Recall kommen.
Achillesferse Durchtrittsprofil
Unabhängig vom Implantat-Typ und von der Art und Ausdehnung der Prothetik bleibt deren „transgingivales“ Design, also ihre Gestaltung im Bereich der Weichgewebe, die implantologische Achillesferse. Wie dieser Übergang als Schnittstelle zwischen Mundhöhle und periimplantärem Knochen idealerweise gestaltet werden sollte, war und ist Gegenstand wahrer Glaubenskriege. Diese werden mangels kontrollierter Vergleichsstudien zwischen Produktsystemen häufig auf dem Feld der Vermarktung geführt. Weitgehend offen und in bisherigen Studien zum Teil widersprüchlich ist zum Beispiel, ob die Implantatschulter besser auf Knochenniveau (Bone Level, epikrestal) oder auf Höhe des Weichgewebsrandes (Tissue Level) liegen sollte – oder auch jeweils kurz darunter.
Die Unklarheiten beruhen nach aktuellen Übersichten zum Beispiel auf fehlender Standardisierung bei Nachuntersuchungs-Dauer und Messung des Knochenrückgangs [15-17]. Vergessen wird bei produktbezogenen Aussagen häufig auch, dass sich das Implantatlager vor, nach oder zeitgleich mit Implantationen mit Knochen- und Weichgewebsaugmentationen aufbauen und qualitativ verbessern lässt [18, 19]. Häufig ist nur dann gewährleistet, dass das periimplantäre Gewebe ein ausreichendes Volumen und eine gute Qualität im Sinne von Durchblutung und Nährstoffversorgung aufweist. Die Bedeutung des verwendeten Implantatsystems, der Art der Verbindung und auch der Prothetik nimmt dann ab und es lassen sich in der Regel langzeitstabile Ergebnisse erreichen. Zahlreiche technische Entwicklungen, von denen viele aus der Praxis heraus entstanden sind, treiben, dessen ungeachtet, den Fortschritt in der Implantologie.
Studien haben für Implantate mit im krestalen Anteil geringerer Rauigkeit ein reduziertes Entzündungsrisiko gezeigt [20, 21]. Entsprechend wurde in den letzten Jahren eine ganze Reihe neuer Implantate mit entweder glatt-maschiniertem oder reduziert-mikrorauem krestalem (Bone-Level, Abb. 3) beziehungsweise transgingivalem Anteil (Tissue-Level, Abb. 4a, 5 und 6) auf den Markt gebracht. Die Höhe des maschinierten Schulterbereichs beträgt bei aktuellen Tissue-Level-Implantaten meist zwischen 1,8 und 2,8 Millimeter. Bei einigen Produkten ist sie variabel, so dass sich die Dicke des suprakrestalen Weichgewebes berücksichtigen lässt (zum Beispiel Straumann). Die Form des transgingivalen Anteils unterscheidet sich zwischen verschiedenen Tissue-Level-Implantaten sehr deutlich. So sind konische [22, 23], konkave [24] und divergierende [25] Designs erhältlich.
Zwar ist das günstigste transgingivale Design des prothetischen Durchtrittsprofils nach Studienlage ungeklärt, doch ist aufgrund klinischer Erfahrung ein naturanaloges Durchtrittsprofil vorteilhaft (PD Dr. Arndt Happe, DGI-Kongress 2021) [26, 27]. Weitere Studien zum Thema sind sicher angebracht.
Praxis-Tipp – Emergenzwinkel maximal 30 Grad
Damit die Restaurationen von Patienten und dem zahnärztlichen Team sauber gehalten werden können und um periimplantären Knochenabbau zu minimieren, sollte bei Bone-Level-Implantaten zudem ein Emergenzwinkel von über 30 Grad in Kombination mit einem konkaven Profil - nach Möglichkeit - vermieden werden [28-30]. Für Tissue-Level-Implantate scheint dies interessanterweise nicht zu gelten.
Abutmenthöhe mindestens 3 mm?
Studien zeigen zugleich, dass „prothetische Abutments“ (bei Bone-Level-Implantaten) – zur Minimierung des Knochenabbaus („Remodellierung“) nach der Implantation – zwei bis drei Millimeter hoch sein sollten [31-33]. Tissue Level-Implantate werden je nach Produkt und klinischer Situation zusätzlich mit Abutments versorgt. Abhängig von der vertikalen Positionierung liegt dann der Übergang von der Implantatschulter zur Restauration häufig subgingival (Abb. 4a und 4b). Alternativ kann der Übergang auch auf Knochenniveau platziert werden, wobei ein unregelmäßiger Knochenrand häufig keine exakte Orientierung erlaubt. Die Implantatschulter liegt dann im Bereich des Weichgewebsrandes oder, zum Beispiel bei Ganzkieferversorgungen, auch darüber (Abb. 5).
Da die in den Studien genannten Abutmenthöhen für Bone-Level-Implantate gelten, lassen sie sich nur bedingt auf Tissue-Level-Implantate übertragen [34]. Richtwerte zur idealen Höhe des transgingivalen Anteils hängen zudem im Analogschluss davon ab, ob die prothetische Versorgung auf Implantatschulter- oder Abutmentniveau erfolgt [35, 36]. Für ein neu eingeführtes Tissue-Level-Implantat wir ausdrücklich empfohlen, auf Abutments zu verzichten (Abb. 6).
Mit entscheidend für den zu erwartenden initialen Knochenabbau könnte die Dicke des suprakrestalen Weichgewebes sein, die sich zum Beispiel mit Bindegewebstransplantaten vergrößern lässt [37]. Eine aktuelle Literaturübersicht spricht jedoch bei subkrestal platzierten Bone-Level-Implantaten gegen eine Rolle der Bindegewebsdicke [32]. Insgesamt scheinen Weichgewebsaugmentationen, einschließlich Verbreiterung der keratinisierten Mukosa, die periimplantäre Gewebestabilität zu fördern [38-40]. Die untersuchten Zeiträume sind jedoch noch relativ kurz und es besteht eine gegenseitige Abhängigkeit vom darunter liegenden Knochenangebot [19, 40].
Ob besser Bone- oder Tissue-Level-Implantate verwendet werden sollten und wie der transgingivale Durchtrittsbereich zu gestalten ist, hängt wesentlich von der Position im Zahnbogen ab. So sind Tissue-Level-Implantate eher im posterioren Bereich indiziert, wo ein freiliegender Übergang von Abutment oder Implantatschulter zur Prothetik weniger bedeutsam ist. Im Frontzahnbereich ist eine tiefe Implantatposition sehr häufig schon aus ästhetischen Gründen notwendig und hat sich als erfolgreich erwiesen [16]. Als flexible Lösung zumindest für den Seitenzahnbereich präsentieren verschiedene Anbieter Bone-Level-Implantate, die sich mit konfektionierten Abutments in Tissue-Level-Implantate „umwandeln“ lassen. Da jedoch ebenfalls ein Spalt zwischen Implantat und Abutment vorhanden ist, handelt es sich hierbei nicht wirklich um Tissue-Level-Implantate.
Wiederum in Bezug auf marginalen Knochenabbau und Weichgewebsniveau scheinen – bei Bone-Level-Implantaten – Aufbau-Verbindungen mit horizontalem Versatz (Platform-Switching) Vorteile zu haben, zumindest im Frontzahnbereich, im Oberkiefer und im ersten Jahr nach der Versorgung [41-43]. Ob die sofortige definitive Eingliederung des Abutments („1 Abutment 1 Time“) die Gewebestabilität begünstigt, ist noch unklar [42, 44, 45]. Ob die Prothetik zementiert oder verschraubt wird, scheint den Knochenabbau nicht signifikant zu beeinflussen, doch geht der Trend zurzeit eindeutig in Richtung Verschraubung [46-48]. Mit neuen angulierbaren Abutments sind verschraubte Lösungen auch bei stärker divergierenden Implantatachsen möglich (Abb. 7) [49, 50].
Chirurgisches Protokoll und temporäre Versorgung
Unbeantwortet bleiben auch Fragen zu klinischen Protokollen. So wird seit Jahrzehnten diskutiert, ob Implantate besser transgingival (1-zeitige Chirurgie) oder geschlossen (2-zeitige Chirurgie) einheilen sollten. Ist kein größerer Knochendefekt und ausreichend gesundes Weichgewebe vorhanden – und damit die Indikation gegeben – scheint eine offene Einheilung keine Nachteile in Bezug auf Misserfolgsraten, Knochenverlust oder Entzündungsrisiko zu haben [51-53]. Auch eine randomisierte Studie mit Bone-Level-Implantaten zeigte im Frontzahnbereich keine signifikanten Unterschiede [54]. Für zweiteilige Tissue-Level-Implantate wurden in einer groß angelegten Studie gute Langzeitergebnisse mit geringer Inzidenz von Periimplantitis dokumentiert [55, 56].
Wenn Implantate transgingival einheilen, bewirken individualisierte Einheilkappen im Vergleich zu Standard-Bauteilen stabilere Geweben nach einem Jahr [57]. Sie können ebenso wie Abformpfosten (Abb. 8) und – in der Regel temporäre – Restaurationen zum Beispiel auf der Basis von intraoralen Scans hergestellt werden, die unmittelbar nach der Implantation („intraoperativ“) durchgeführt werden [58]. Ob sich sofort eingegliederte temporäre Versorgungen zum Beispiel nach Sofortimplantation günstig auf die Gewebestabilität auswirken, ist wie so Vieles andere ungeklärt [59, 60].
Praxis-Tipp – Material von Scan-Abutments
Bei digitaler Abformung zeigt nach einer In-vitro-Studie der Kunststoff PEEK die beste Scan-Genauigkeit [61].
Hybrid-Abutments und Abutmentkronen
Implantatversorgungen unter Verwendung von Titan-Klebebasen sind in den letzten Jahren zunehmend beliebter geworden. Für Hybrid-Abutments gibt es bisher wenig klinische Daten, retrospektiv zeigten insgesamt 336 Kronen (zementiert oder verschraubt) jedoch nach 5 Jahren viel versprechende Ergebnisse (Arbeitsgruppe Prof. Dr. Axel Zöllner, Universität Witten/Herdecke) [62]. Bei nicht idealer Implantat-Achse kann es nach dieser Untersuchung jedoch Probleme mit der Kontaktpunktgestaltung geben.
Ein neu publiziertes systematisches Review zeigt für verschraubte Hybrid-Abutment-Kronen nach drei Jahren ebenfalls gute prothetische Ergebnisse [63]. Biologische Komplikationen wie erhöhter entzündlicher Knochenau in Verbindung mit Hybrid-Abutments und Hybrid-Abutment-Kronen wurden nach Autorenkenntnis bisher nicht systematisch erfasst.
Fazit und Ausblick
Implantatversorgungen sollten die Gewebe langfristig stabil erhalten, bei optimaler Ästhetik und Funktion und einfacher persönlicher und professioneller Pflegemöglichkeit. Eine biologisch einwandfreie und entzündungssichere Schnittstelle zwischen Mundhöhle und Knochen scheint jedoch bei Implantaten noch weniger möglich zu sein als bei natürlichen Zähnen. Das gilt im Prinzip sowohl für ein- oder zweiteilige Implantate, als auch für solche mit Schulterposition auf Knochen- oder Weichgewebsniveau.
Notwendig sind daher eine sorgfältige Anamnese und Risiko-Einschätzung und – bei Entscheidung für Implantatversorgungen – eine sorgfältige chirurgische und prothetische Methodik. Da die Literatur bei vielen Fragen keine klaren Vorteile für bestimmte Bautypen, Produktsysteme und Methoden zeigt, ist die Auswahl im klinischen Alltag schwierig. Das gilt für die Schrauben selbst ebenso wie für den Übergang zur Suprastruktur. Es bleibt also weiterhin viel zu erforschen – idealerweise im intensiven Austausch mit der Praxis.
Dr. Jan H. Koch
Hinweis
Dieser Beitrag kann in keinem Fall klinische Einschätzung des Lesers oder der Leserin ersetzen. Er soll vielmehr – auf der Basis aktueller Literatur und/oder von Experten-Empfehlungen – die eigenverantwortliche Entscheidungsfindung unterstützen.
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