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Umweltzone Zahn

Das EU-weite Dentalamalgamverbot zum 1. Januar 2025 kam für EU-Verhältnisse jetzt zügig, fiel aber auch nicht völlig überraschend vom Himmel. Die dzw hat nun Standespolitik und Wissenschaft nach den Konsequenzen des Verbots für die Zahnmedizin befragt.

Amalgamverbot: Standespolitik und Wissenschaft gefragt

Wie bewerten Sie dieses umfassende Dentalamalgamverbot und die dazu-gehörigen Ausnahmeregelungen?

KZBV: Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) kritisiert die EU-Entscheidung scharf. Ein allgemeines Verbot von Dentalamalgam sowie das Verbot für dessen Herstellung ab dem 1. Januar 2025 haben gravierende Auswirkungen auf die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland. Ein Wegfall von Dentalamalgam wird die Versorgung insbesondere von vulnerablen Patientengruppen deutlich erschweren.

Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der BZÄK: Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) beanstandete ein derart kurzfristiges Verbot, da das Material in bestimmten Situationen – die praktizierenden Zahnärztinnen und Zahnärzte kennen diese gut – große Vorteile hat. Die Befürchtungen hinsichtlich Amalgam sind unbegründet, das haben viele Studien gezeigt. Aber nun wird die Zahnärzteschaft damit umgehen, die BZÄK steht seit langem im intensiven Austausch mit der zahnmedizinischen Wissenschaft zu möglichen Ersatzmaterialien. Da der Einsatz von Amalgam nach Inkrafttreten der Regelung nur noch nach strenger Indikationsstellung möglich ist, wird sich der Verbrauch auch in Deutschland nochmals verringern. Die dann notwendige Begründung ist eine zusätzliche Bürokratielast. Da die rigorose Einschränkung der Verwendung von Amalgam in Europa auch mit einem Handelsverbot einhergeht, könnte die Beschaffung des Füllungswerkstoffs schwieriger werden.

Für die DGZMK beantwortete Prof. Dr. Sebastian Paris, Wissenschaftlicher Direktor des Centrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Abteilung für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin die Fragen.

Prof. Dr. Sebastian Paris: Die Deutsche Gesellschaft für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) sieht das vom EU-Parlament und Rat beschlossene Amalgamverbot ab dem 1. Januar 2025 aufgrund seiner Kurzfristigkeit mit Sorge. Zwar ist der Hintergrund, der Ausstieg aus der Quecksilberproduktion und -verarbeitung, aus Umweltschutzgründen durchaus nachvollziehbar und begrüßenswert. Dennoch wirft der kurzfristige Ausstieg aufgrund aktuell fehlender Regelungen zu alternativen Restaurationsmaterialien viele Fragen auf.

Dentale Amalgame sind nicht nur eine sehr weitverbreitete, langlebige und gut erforschte zahnärztliche Werkstoffgruppe mit Karies-hemmenden Eigenschaften. Aufgrund ihrer einfachen Anwendung und Fehlertoleranz können Amalgame schnell und zu vergleichsweise niedrigen Kosten verarbeitet werden und sind daher bis heute in Deutschland die Standard-Kassenleistung für Restaurationen im Seitenzahnbereich. Zwar ist die Verwendung von Amalgam in den letzten Jahrzehnten rückläufig, da viele Patienten zahnfarbene Restaurationen, zum Beispiel aus dentalen Komposit-Kunststoffen, bevorzugen. Die Verarbeitung letzterer ist jedoch deutlich aufwendiger, sodass die Patienten den zusätzlichen Aufwand in der Regel privat tragen müssen.
 

Welche zuzahlungsfreien Füllungsmaterialien wird es künftig für GKV-Versicherte geben?

KZBV: Entgegen der Behauptung der EU-Kommission stehen derzeit keine mit ausreichender Evidenz hinterlegten Alternativmaterialien für alle Versorgungsformen zur Verfügung. Um diese Wissenslücke zu schließen, sind weitere Forschungsaktivitäten unumgänglich, deren Ergebnisse erst in einigen Jahren vorliegen können. Hierzu steht die KZBV schon seit Längerem im engen Austausch mit der Wissenschaft, unter Berücksichtigung der Behandlungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird ein Material allein Amalgam nicht ersetzen können, sondern der Einsatz von Alternativmaterialien wird indikationsbezogen erfolgen müssen.

Bei fachgerechtem Einsatz gehen von Dentalamalgam keine Gesundheitsgefahren aus. Auch eine Umweltgefährdung ist in Deutschland durch seit Jahrzehnten etablierte umfängliche Sicherungsmaßnahmen nahezu ausgeschlossen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Amalgam der älteste, besterforschte zahnärztliche Werkstoff ist und in den allermeisten Fällen problemlos vertragen wird. Die Aufnahme von Quecksilber entspricht in etwa der Größenordnung der Quecksilberbelastung durch Nahrung und ist – auch nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen – unbedenklich. Insofern ist es vollkommen unverständlich und fachlich falsch, dass die EU-Kommission das Amalgam-Verbot neben den Umweltaspekten auch mit gesundheitlichen Gefahren begründet.

Paris: Heute stehen in der Zahnmedizin eine Reihe von alternativen Füllungswerkstoffen zur Verfügung, die verschiedene Vor- und Nachteile haben und daher in unterschiedlichen Indikationen eingesetzt werden. Hierzu zählen neben den bereits erwähnten Komposit-Kunststoffen die (kunststoffmodifizierten) Glasionomerzemente, Kompomere oder selbstadhäsiven Komposit-Hybride. Während jede dieser Materialklassen spezifische Eigenschaften sowie Vor- und Nachteile aufweist, ist allen gemeinsam, dass keins dieser Materialen allein einen echten Amalgamersatz darstellt. Vielmehr muss je nach Indikation entschieden werden, welches Material jeweils am ehesten den individuellen Anforderungen entspricht.

Daher müssen zeitnah Regelungen geschaffen werden, welche Materialien in welchen Indikationen ab 2025 als Amalgam-Ersatz von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Hierbei sollte auch zukünftig die Wahlfreiheit für eine patientenorientierte und indikationsgerechte Verwendung der jeweils am besten geeigneten und vom Patienten gewünschten Materialien bestehen.

Wie gestaltet sich nun der weitere Prozess der notwendigen Neuregelung zu einer für Patientinnen und Patienten kostenfreien Alternative zu Dentalamalgam bis zum 1. Januar 2025?

KZBV: Aktuell lassen sich keine validen Aussagen über die konkreten Auswirkungen eines Amalgam-Verbots in Deutschland treffen. Die Sachlage ist noch vollkommen ungeklärt. Es werden auf allen Ebenen Gespräche geführt. Ungeklärt ist aktuell auch noch, wie der Leistungsanspruch der Versicherten ab 2025 ausgestaltet sein wird.

Selbstverständlich wird sich die KZBV auch unter den nun folgenden Rahmenbedingungen dafür einsetzen, die Patientenversorgung gemeinsam mit den Partnern der Selbstverwaltung und Wissenschaft sicherzustellen.

Zeit für Lösungsansätze

Der Start in die weitgehend Dentalamalgam-frei Ära in der EU zum 1. Januar 2025 könnte in Deutschland holprig werden. Nach Paragraf 28 Absatz 2 Satz 1 des SGB V haben gesetzlich Krankenversicherte grundsätzlich Anspruch auf eine zuzahlungsfreie Füllungstherapie. Seit zum 1. Juli 2018 Dentalamalgam EU-weit bei Kindern unter 15 Jahren, Schwangeren und Stillenden nur noch in Ausnahmefällen verwendet werden durfte, hatten sich KZBV und der GKV-Spitzenverband im zahnärztlichen Bewertungsausschuss darauf geeinigt, dass als Dentalamalgamersatz nun Kompositfüllungen im Seitenzahnbereich nach Bema abrechenbar sind. Die behandelnde Zahnärztin oder der behandelnde Zahnarzt kann demnach im Einzelfall entscheiden, welche Füllungsmaterialien für die individuelle Situation genutzt werden.

Ob dieses Vorgehen als Blaupause für alle Patienten dienen kann, bleibt fraglich. Nun werden im G-BA Alternativen zur Verwendung von Dentalamalgam beraten werden müssen – und diese Alternativen könnten komplexer sein als im Fall von Kindern, Schwangeren und Stillenden. Der GKV-SV wird die Kosten für die deutlich aufwendigeren Füllungsmaterialien übernehmen müssen. Für die Praxen wird sich der Zeitaufwand für relativ einfache Behandlungsfälle erhöhen.

Für ein Lamento an der EU-Entscheidung zum weitgehenden Verbot von Dentalamalgam ist jetzt nicht mehr die Zeit. Nun sollten sich die Entscheidungsträger darauf konzentrieren, zeitnah eine geeignete Alternative zur Verwendung von Dentalamalgam im Sinne von Patientinnen, Patienten und Zahnarztpraxen zu präsentieren.

Dann freut sich nicht nur die Umwelt.

Titelbild: Jixster – stock.adobe.com