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Zucker: Von Halbherzigkeit, Freiwilligkeit und fetten Mäusen

Der Kommentar von Chefredakteur Marc Oliver Pick

Es gibt Spezialisten, die wissen angesichts der Summenformel C12H22O11 sofort ge­nau, was gemeint ist, andere lassen sich selbst durch die Bezeichnung α-D-Gluco­pyranosyl-(1-2)-β-D-fructofuranosid nicht verwirren. Die meisten Menschen allerdings nennen es einfach Zucker. An sich ist Zucker ja was Feines, sei es in Form von Süßigkeiten oder leckeren Desserts etc. Zucker in dieser Form lassen sich sehr gut vermeiden – beim Nachtisch einfach mal nein sagen, die Tüte Gummibärchen mal nicht öffnen.

Versteckte Zucker

Kaum beziehungsweise deutlich schwerer vermeiden lassen sich Zucker, die vor allem in Fertiggerichten versteckt sind, sei es als Geschmacksverstärker oder Konservierungsmittel. Im Grunde gilt: Je inten­siver ein Lebensmittel verarbeitet ist, desto höher ist für gewöhnlich der Gehalt an Zucker. Überhaupt gibt es kaum einen Lebensmittelzusatzstoff, zu dem es mehr Missverständnisse und Fehleinschätzungen gibt als Zucker. Oder hätten Sie gewusst, dass viele Obstsäfte mehr Zucker enthalten als Limonade oder Cola?

Die ehemalige Bundesernährungsministerin Julia Klöckner wollte 2018 angesichts der vielen negativen Effekte des Zuckerkonsums mit der „Nationalen Reduktionsstrategie“ für Fertiglebensmittel insbesondere die Getränkeindustrie dazu bringen, den Zuckergehalt in den sogenannten Softdrinks bis 2025 sukzessive um 15 Prozent zu reduzieren – und zwar als freiwillige Selbstverpflichtung. Das Prinzip Freiwilligkeit kann man allerdings getrost als gescheitert betrachten, wurde doch der Ausgangszuckergehalt in Softdrinks von 5,3 Gramm je 100 Milliliter Getränk (2015) gerade mal um mickrige 0,1 Gramm auf 5,2 Gramm Zucker je 100 Milliliter (2021) reduziert. Anders ausgedrückt würde es bei diesem Tempo Jahrzehnte dauern, bis allein die Reduktion um 15 Prozent geschafft wäre. Da ist das britische Vor­gehen schon deutlich zielführender.

Von Karies ganz zu schweigen

Die WHO empfiehlt, den Zuckerkonsum auf 25 Gramm täglich zu reduzieren, das entspricht etwa sechs Teelöffeln Zucker. Das hört sich schon nach viel an? In den USA lag der durchschnittliche Zuckerkonsum 2018 noch bei 17 Teelöffeln täglich. Die Folgen: Fettleibigkeit, Herz-Kreislauferkrankungen durch hohe Blutzucker- und Blutfettwerte und als Folge Herzinfarkte, Schlaganfälle und Diabetes Typ 2 – von Karies ganz zu schweigen.

Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss einer übertrieben zuckerreichen Ernährung auch auf die Zusammensetzung der Darmflora, zumindest im Mäuseversuch. So führt ein Übermaß an Zucker im Mausmodell ungünstigerweise ausgerechnet zu einer Reduktion des immunstärkenden Teils des Mikrobioms. Im Ergebnis wurden die Mäuse nicht nur übergewichtig, sondern regelrecht krank. Ob sich dieses Ergebnis auf den Menschen übertragen lässt, ist noch unklar, es besteht noch einiger Forschungsbedarf.

Einführung einer Sonderabgabe gefordert

Klar ist jedoch, das Zucker ein Faktor auf dem Weg zur Dysbiose der Darmflora ist – mit allen negativen Konsequenzen. So gesehen sollte das Experiment der freiwilligen Zuckerreduktion mit der „Nationalen Reduktionsstrategie“ ad acta gelegt und über verbindliche gesetzliche Regelungen nachgedacht werden. Etwa durch die Einführung einer Sonderabgabe für Hersteller auf stark zuckerhaltige Softdrinks, eine For­derung der Deutschen Allianz nicht­über­tragbarer Krankheiten (DANK), der sich die Bundeszahnärztekammer anschließt. Nur so ließen sich zahlreiche Erkrankungen vermeiden, die das Gesundheitssystem zunehmend belasten.

Konsequent zu Ende gedacht könnte Zucker, der heute durchaus als suchterzeugend angesehen wird, ähnlich wie Alkohol oder Nikotin irgendwann be­steuert werden. Am Ende ist Zucker nichts anderes als ein klassisches dosisabhängiges Gift.