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Das Präventionsparadox

„Von der Kuration zur Prävention?“ oder „Von der Kuration zur Prävention!“ – diese Frage stellte Martin Till, Landesgeschäftsführer der Barmer Hessen, in einem Pressegespräch mit Stephan Allroggen, Vorsitzender des Vorstandes der KZV Hessen, und stellte regionale Besonderheiten aus dem Barmer-Zahnreport für Hessen vor, aber auch bundesweit Gültiges zur Versorgungslage und den Umgang mit statistischen Erhebungen war gerade in Zwischentönen von Allroggen hörbar.

Zahnreport: Statistik mit Interpretationsspielräumen

Folgt man den frisch vorgetragenen Zahlen aus dem Zahnreport, dann ist alles supi in Hessen – blühende Landschaften halt. Bei den untersuchten Altersgruppen von 20-, 40- und 60-Jährigen haben sich die Zeiträume, in denen keine invasive Zahntherapie nötig war, verlängert. Bei den 20-Jährigen im Zeitraum von 2012 bis 2020 um 3 Monate auf 4,37 Jahre, bei den 40-Jährigen um 4 Monate auf 2,24 Jahre und bei den 60-Jährigen um 2 Monate auf 1,89 Jahre. Da freute sich der hessische Barmer-Chef. Am Ende seines Vortrags beantwortete Till seine Eingangsfrage selbst: „Ich für meinen Teil würde an der jetzigen Stelle ein positives Fazit ziehen – eher mit Ausrufezeichen als mit Fragezeichen.

Ein Fragezeichen sei erlaubt

Ein positives Fazit zu ziehen, hat etwas Fröhliches und Optimistisches. Beides gute Eigenschaften. Aber sich Realität schöner zu reden, als sie ist?

Gucken wir auf andere Zahlen, die präsentiert wurden. Über 30 Prozent in Hessen nehmen gar keine vertragszahnärztlichen Leistungen in Anspruch – in Zahlen 0. Etwa jeder Dritte betritt gar keine Zahnarztpraxis – nicht nur in Hessen, das gilt bundesweit. Und nur knapp die Hälfte der anspruchsberechtigten Menschen in Hessen ließen eine Prophylaxebehandlung durchführen oder aus der anderen Perspektive: Mehr als die Hälfte nahm sie nicht in Anspruch. Da klang Allroggen mit seinem Urteil zum Zahnreport doch schon realitätsnäher: „Es sind sicherlich Erfolge darin verzeichnet, aber auch Handlungsbedarfe, wo die zahnärztliche Prävention noch ausgebaut werden sollte.“

Da hat er wohl recht. Und das gilt sicherlich nicht nur für Hessen.

Ein Bild, das auf hellblauen Fonds sechs Smiley-Zähne in einer Reihe zeigt und einen unglücklichen Smiley-Zahn der aus der Reihe nach unten fällt.

Gut 80 Prozent der Ausgaben für zahnärztliche Behandlung fallen auf konservierende und chirurgische Maßnahmen und Zahnersatz.

In der gerade veröffentlichten Aufschlüsselung der Ausgaben für zahnärztliche Behandlung von BZÄK und KZBV machen konservierende und chirurgische Behandlung sowie Zahnersatz 80 Prozent aus. Die Individualprophylaxe liegt bei 4 Prozent. Da fällt es schwer bei der Frage „Von der Kuration zur Prävention“ mit einem Ausrufezeichen zu enden, wenn kurative Maßnahmen derart dominieren. Oder wie es Allroggen formulierte: „Zahnersatz ist für mich als Zahnarzt schon immer die Resignation, weil wir ja eigentlich die Zähne gesund erhalten – möglichst ein Leben lang.“

Warum nicht mehr Ausrufezeichen?

Dafür müssten die Präventionsangebote neben den existierenden für die über 20-Jährigen ausgeweitet werden und sich auch für die Praxen lohnen.

Bei der Frage, wie mehr Menschen mit Präventionsangeboten erreicht werden können, drehen sich die Beteiligten ein wenig im Kreis ihrer eigenen kleinen Welt. Die Zahnarztpraxen können nur diejenigen erreichen, die ja eh schon in die Praxis kommen. Die Kassen ducken sich hinter ihren Apps mit digitalem Zahnbonusheft weg. Und der Öffentliche Gesundheitsdienst? „Trotz gelungener beispielhafter Ansätze wird der ÖGD in der Breite dem Potenzial als Träger der Gesundheitsförderung im kommunalen Kontext jedoch nicht gerecht, nicht zuletzt aufgrund langjährigen Personalabbaus und der Konzentration auf hoheitliche Überwachungsaufgaben“, sagt nicht irgendwer, sondern die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Wie schlecht BZgA und Gesundheitsämter aufgestellt sind und waren, hatte die Corona-Pandemie ja mehr als peinlich deutlich gemacht. Da können die Kammer ihrer Aufgabe, den ÖGD bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen, auch kaum gerecht werden.

Und da wo Prävention gerade gut angelaufen war in der Bekämpfung der Parodontitis, schiebt nun der Gesetzgeber der Prävention aus kurzfristigen finanziellen Erwägungen einen Riegel vor. Das wird Zähne kosten und die Krankenkassen mehr Geld. „Mir macht die Betreuung der Parodontitis tatsächlich Sorgen – vor dem Hintergrund der jüngeren Gesetzgebung. Denn hier gilt es nicht nur, die Parodontitis zu behandeln, sondern auch andere Risikofaktoren für allgemein internistische Erkrankungen zumindest abzumildern“, klagt Allroggen.

Viele offene Fragen

Und wie sieht es bei der immer größer werdenden Gruppe der Menschen mit Pflegegrad aus? Hier gibt es Präventionsangebote im Regelleistungskatalog der GKV, auch sind sie von der Budgetierung der PAR-Richtlinie ausgenommen. „Die Realisierung gleichwohl fällt schwer“, sagt Allroggen. Wo gerade schon im ländlichen Bereich die Versorgung in den Praxen personell an ihre Grenzen kommt, fehlt es für diese Präventionsbemühungen schlicht an Men- und Womenpower. Und was trotz aller Fortschritten mit den Kooperationsverträgen für die Pflegeeinrichtungen gilt, betrifft um ein Vielfaches Menschen in häuslicher Pflege.

Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht entscheidend verbessern, ist es noch ein weiter Weg von der Kuration zu Prävention.