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Der unerhörte finanzielle Einfluss auf das Herz-Kreislauf-Risiko

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die Stat-Up-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Im Juni ist dabei das „Gesundes-Herz-Gesetz“ in den Fokus gerückt, erklärt das Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in einer Pressemitteilung.

Denn laut dem Referentenentwurf für ein „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG) werden „bis zu 70 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ihrer kardiometabolischen Risikoerkrankungen durch modifizierbare lebensstilbezogene Risikofaktoren wie ungesunde Ernährung, Bewegungsarmut, Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum verursacht“. Dass es sich nicht in allen Fällen um kausal begründbare Zusammenhänge handelt, haben die Autoren in der „Unstatistik des Monats“ bereits öfter erklärt.

Maßnahmen ohne ausreichende Evidenz?

Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem neue Beratungsangebote, Screenings (Massenuntersuchungen zur Früherkennung) und die präventive Gabe von Statinen (Medikamenten zur Senkung von Cholesterin) vor. Dass solche Maßnahmen nicht ausschließlich nützen und man Nutzen und Risiken gut gegeneinander abwägen muss, insbesondere wenn es zu Fehldiagnosen kommt, wurde bereits ebenfalls in mehreren Unstatistiken ausgeführt.

Speziell zu Statinen kläre eine Faktenbox des Harding-Zentrums darüber auf, dass diese Medikamente bei Personen mit erhöhtem Risiko zwar die Anzahl an Herz-Kreislauf-Vorfällen (Schlaganfall, Herzinfarkt) senken konnten. Die Anzahl an tödlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Todesfällen insgesamt konnten sie demnach aber nicht reduzieren. Während die erwünschte Wirkung von Statinen gut belegt ist, gelte das noch nicht für mögliche Schäden. Dazu komme, dass über die (potenziell negativen) Auswirkungen einer Einnahme von Statinen bei Patienten mit weniger oder nicht erhöhtem Risiko noch weniger bekannt sei.

Zusammenhang zwischen Herzgesundheit und Armut fehlt

Der GHG-Entwurf beginnt wie folgt: „Deutschland gibt so viel wie kein anderes Land in der Europäischen Union (EU) im Bereich Gesundheit aus: knapp 5.000 Euro pro Einwohner und Jahr, das sind 52,9 Prozent mehr als der EU-Durchschnitt (3.159 Euro, OECD). Trotzdem liegt die Lebenserwartung in Deutschland mit 80,8 Jahren nur knapp über dem EU-Durchschnitt (80,1 Jahre).“ Auch hier liegt ein Denkfehler vor, den die Unstatistik mehrfach kritisiert hat: Erstens sind Todesursachen-Statistiken längst nicht so präzise, wie sie oft scheinen, da häufig ungenaue Todesursachen (sogenannte nichtinformative Codes) angegeben werden. Zweitens spielt allein die Tatsache, dass wir alt genug werden, um an bestimmten Leiden zu erkranken, eine wichtige Rolle dafür, dass wir auch an (oder mit) diesen Leiden sterben.

Was in den plakativen Statistiken des BMG fehlt, bemängeln die Autoren, sind Zahlen zur Armut. Laut Statistischem Bundesamt sind 14,4 Prozent der Deutschen arm. Bei Alleinlebenden bedeutet das, dass ihnen monatlich weniger als 1313,75 Euro zur Verfügung stehen.

Armut als wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen werde in den Ausführungen des BMG mit keinem Wort erwähnt. Wer arm ist, leidet statistisch gesehen häufiger an Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Übergewicht. Möglicherweise liegt das an geringeren Kenntnissen über eine gesunde Lebensweise oder daran, dass schlicht die finanziellen Mittel dafür fehlen. Kinder aus sozial schwachen Familien sind häufiger übergewichtig, „weil es an einem ausgewogenen Essen fehlt“, schrieb das Magazin des Medizinischen Dienstes erst im Januar 2024. Auch werden Kontrolluntersuchungen von ihren Eltern seltener wahrgenommen.

Herz-Kreislauf-Risiko steigt mit sinkendem Einkommen

Vor 15 Jahren wies das Robert-Koch-Institut (RKI) darauf hin, dass das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen mit niedrigem Einkommen mindestens doppelt so hoch ist wie bei Menschen mit hohem. Leider gibt das RKI keine absolute Risikoveränderung an. Allerdings zeige der RKI-Bericht, dass einer von zehn 30–45-jährigen Männern, die mindestens 50 Prozent mehr verdienten als der Median, krankheitsbedingte Einschränkungen im Alltag hatte. Bei denjenigen, die höchstens 60 Prozent des Medianeinkommens verdienten, waren es fast vier von zehn. Schon 1999 habe das „Ärzteblatt“ über ähnliche Erkenntnisse berichtet.

„Die Gesundheitspolitik ignoriert die spezifische Krankheitsbelastung armer Menschen (…) und orientiert strukturelle Entscheidungen immer noch an Versicherten, die sich in einer stabilen ökonomischen Situation befinden“, schrieb das „Ärzteblatt“. Besonders beschämend daran sei, dass zwar Jahr für Jahr ein Aufschrei erfolge, weil sich die Armutsquote in Deutschland kaum ändere. Wenn es aber ums politische Tun geht, hätten arme Menschen in Deutschland keine Lobby; es ist teuer und wenig glamourös, sich für ihre Belange einzusetzen. Gesunde Herzen sind also in erster Linie eine Frage eines gesunden Geldbeutels – und werden es wohl noch lange bleiben, so die Ansicht der Autoren.

Alle Unstatistiken sowie dieser Text können nachgelesen werden unter Quelle: www.unstatistik.de

Titelbild: ChanelBot/Peopleimages - AI - stock.adobe.com