Seit dem Deutschen Implantologentag, der Ende November 2021 stattfand, ist Prof. Dr. Florian Beuer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI). Die dzw orale Implantologie Edition gratuliert dem Professor für zahnärztliche Prothetik, Altersmedizin und Funktionslehre der Charité Berlin und sprach mit ihm über den aktuellen Status quo der Implantologie und seine Pläne für die kommenden drei Jahre seiner Präsidentschaft.
Herr Professor Beuer, Sie haben den Vorsitz der größten wissenschaftlichen implantologischen Gesellschaft in Europa übernommen. Wie ist die DGI durch die Pandemie gekommen und welche Pläne und Ziele verfolgen Sie während Ihrer Präsidentschaft?
Prof. Dr. Florian Beuer: Die DGI ist die größte Plattform für Implantologie im deutschsprachigen Raum, sie befindet sich in einem sehr guten Zustand und ist leistungsstark. Allerdings hat die Pandemie gezeigt, dass wir uns auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen dürfen.
Doch bevor es um die Zukunft der DGI geht, zunächst eine Vorbemerkung: Ich bin zwar Prothetiker, aber ich liebe es, selbst zu implantieren. Die Implantologie ist eine urprothetische Disziplin, weil es dabei um den Ersatz des ganzen Zahns geht, nicht nur um die Krone, sondern eben auch um die Wurzel. Professor Hubert Spiekermann, einer der Gründungsväter und zweiter Präsident der DGI, war Prothetiker. Nach ihm wurde die Fachgesellschaft ausschließlich von Chirurgen geführt. Dies liegt – meiner Meinung nach – an der starken Entwicklung der Chirurgie und ihren Techniken in den letzten 20 Jahren, die Entwicklung der DGI spiegelt die Entwicklung der Implantologie.
Doch inzwischen kann auch der restaurative Part der Implantologie einen starken Entwicklungsschub vorweisen. Und obwohl ich gerne implantiere, stehe ich in erster Linie für diesen restaurativen Part. Dieser ist mein wissenschaftlicher und praktischer Schwerpunkt und ich möchte – das ist der erste von drei Punkten meiner Agenda – dass dieser Bereich während meiner Präsidentschaft gestärkt wird, und zwar sowohl auf Seiten der Zahnmedizin als auch der Zahntechnik. Und da nicht alle zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen Implantate inserieren, aber fast jeder von ihnen Implantate versorgt, halte ich es für äußerst wichtig, das Wissen darüber in die Breite zu tragen, auch zu jenen, die selten Fortbildungen besuchen. Kurz: Ich möchte mich dafür stark machen, dass die modernen restaurativen Konzepte besser von den Communities der Zahnmedizin und Zahntechnik wahrgenommen werden. Diesen Teilbereich zu stärken, ist mein oberstes Ziel.
Also ein Fokus liegt auf der Wissensweitergabe im Bereich Prothetik. Welche sind die beiden anderen Punkte auf Ihrer Agenda?
Beuer: Der zweite Punkt, der mir am Herzen liegt, ist die Einführung einer Patienten-App. Mit diesem digitalen Werkzeug könnten Patienten und Behandlern alle relevanten Informationen über das eingesetzte Implantat zur Verfügung stehen. Inzwischen haben die meisten Menschen ein Smartphone. Es wäre praktisch, wenn darüber auch alle Informationen über das Implantat abrufbar wären. Dazu gehören grundlegende Dinge wie Typ, Insertionszeitpunkt, aber auch Recall-Termine etcetera.
Wir haben bei der DGI ein Portal, an das Kolleginnen und Kollegen Bilder mit Fragestellungen zu einzelnen Implantaten schicken können. Diese Fragen zu beantworten ist oft schwierig.
Das unzureichende Wissen über die vielen im Markt befindlichen Implantate ist dabei allerdings nur ein Teil des Problems. In wissenschaftlichen Publikationen präsentieren wir immer unglaublich hohe Erfolgsraten aus universitären Studien. Es ist aber fraglich, ob diese die wirkliche implantologische Realität abbilden, denn natürlich spiegeln die Studien nur einen geringen Bruchteil der Implantate wider, die wirklich in Patientenmündern stecken. Die App böte die Chance, ein viel größeres Kollektiv zu überblicken, Real-World-Daten, die wir wissenschaftlich auswerten könnten.
Das wäre ein Gewinn für alle Patientinnen und Patienten und böte auch den Behandlern einen enormen Wissenszuwachs. Hier wäre ein Schatz an Informationen zu heben. Es treibt mich in meinem Alltag um, dass wir zwar unheimlich viele Daten erheben, aber noch zu wenige Schlüsse daraus ziehen. Da ist die Medizin schon deutlich weiter. Wir sollten die Daten, die wir in der Zahnmedizin erheben, smarter nutzen, etwa mit Hilfe der KI. Dafür kann die Patienten-App ein bedeutsames Vehikel sein. Natürlich muss garantiert sein, dass der Patient die Hoheit über seine Daten behält.
Und der dritte Punkt?
Beuer: Weiterhin ist mir die internationale Vernetzung wichtig. Ich habe selbst in den USA gearbeitet, der amerikanische Dentalmarkt ist mir darum sehr nah. Internationale Vernetzung macht nur Sinn, wenn man die gleichen Werte teilt und sich wirklich austauscht. Wenn die Zusammenarbeit im einseitigen Wissenstransfer besteht, ist das uninteressant und eine Einbahnstraße, selbst wenn dafür Geld bezahlt wird.
Ein erster Aufschlag für den weiteren Ausbau der Internationalisierung der DGI war sicherlich die Teilnahme der Präsidentin der amerikanischen Academy of Osseointegration, Prof. Tara L. Aghaloo, am Deutschen Implantologentag 2021.
Hinzu kommt, dass die DGI sehr viel Geld in die Entwicklung von Leitlinien investiert, wir damit aber nur national sichtbar sind. Eigentlich hätten die Leitlinien es verdient, auf ein internationales Niveau gehoben zu werden. Hier macht sich leider der fehlende europäische Überbau bei den nationalen Fachgesellschaften bemerkbar. Auch deshalb müssen wir die internationale Vernetzung vorantreiben. Da ist Europa wichtig, wo man die gleichen Werte teilt, ebenso Nordamerika, weil es wissenschaftlich stark und ein großer Markt ist, aber natürlich auch unsere Partner in Japan, mit denen wir schon seit vielen Jahren engstens verbunden sind.
Sie sprechen von der wichtigen internationalen Zusammenarbeit. Wann wird denn die deutsche Implantologie mit einer Stimme sprechen?
Beuer: Wenn Sie mich vor fünf Jahren gefragt hätten, wäre das sicher ein Ziel meiner Präsidentschaft gewesen. Heute sehe ich das etwas differenzierter. Ohne überheblich sein zu wollen, gibt es in Deutschland nur eine implantologische Fachgesellschaft, die das Gebiet wesentlich prägt und – dies vor allem – es auf wissenschaftlicher Basis vorantreibt: das ist die DGI.
Mir scheint die Zeit nicht reif dafür zu sein, alle Gesellschaften und Organisationen im Bereich der Implantologie unter ein Dach zu holen, dafür sind sie auch zu verschieden. Ich würde dies zwar grundsätzlich begrüßen, aber solche Prozesse erfordern Geduld, mitunter auch einen deutlichen Generationenwechsel, und sie lassen sich nicht erzwingen. Mit dem Konzept des Deutschen Implantologentags im vergangenen Jahr haben wir erste Schritte auf einem sicherlich langen Weg unternommen. Wenn wir nächstes Jahr unsere Tagung mit der European Association for Osseointegration (EAO) gemeinsam organisieren, dann ist das auch unsere Jahrestagung.
Ich bin aber davon überzeugt, dass sich in zehn Jahren zwei Dinge verändert haben werden. Erstens werden weniger Menschen bereit sein, so viel Zeit in eine ehrenamtliche Tätigkeit von Fachgesellschaften zu investieren. Man erhält dadurch zwar eine gewisse Sichtbarkeit, aber die Frage ist, ob die Sichtbarkeit den Aufwand aufwiegt. Ich verbringe einen Tag pro Woche mit Aufgaben für die DGI. Das muss man sich leisten können und ich vermute, dass in der nächsten Generation die Bereitschaft dafür nicht mehr so groß sein wird. Zweitens gehe ich davon aus, dass die Industrie ihre Mittel gezielter einsetzen wird. Kongresse mit weniger als hundert Leuten werden nur noch schwerlich Sponsoren finden. Das wird zu einer Zentralisierung beitragen, davon bin ich überzeugt. Diese Entwicklung ist heute schon zu beobachten.
Ich möchte gerne nochmals auf den Wissenstransfer in die Breite zurückkommen. Gibt es schon konkrete Ideen, wie das gelingen kann?
Beuer: Es gibt konkrete Ideen, die sich aber noch im Projektstadium befinden. Eine Idee ist die Durchführung der Veranstaltung „Implantologie für Nichtimplantologen“. Dabei soll es sich um ein niederschwelliges Angebot handeln, ähnlich wie bei dem Kongress für Zahntechniker „Einfach nur Zahntechnik“. Die Teilnahmegebühr entsprach damals dem Honorar für eine Kassenverblendung.
Weiterhin arbeiten wir auch daran, Wissensbausteine, „Knowledge Nuggets“ zu produzieren, also kurze Videos, über die einfach und schnell Informationen und Wissen in die Breite kommuniziert werden können. Das ist sicher nicht alles, aber das sind relativ konkrete Sachen, die wir jetzt bereits anbieten oder planen.
Welche Rolle spielen digitale Technologien in der Klinik und in der Aus- und Fortbildung und wie werden sie das Fachgebiet verändern?
Beuer: Bedauerlicherweise wurde die Implantologie in der neuen Approbationsordnung, die vor einem Semester in Kraft getreten ist, ausgeblendet und man hat dieses wichtige Ausbildungsthema mitsamt den digitalen Möglichkeiten erneut komplett in den postgradualen Bereich verschoben. Wir haben immer noch den Fachzahnarzt für Kieferorthopädie, Oralchirurgie und Parodontologie, aber keinen Fachzahnarzt für Implantologie. Es muss daher mehr Angebote für Postgraduierte geben, auch im Hinblick auf Masterprogramme, denn der Durst nach implantologischer Ausbildung ist ja nach wie vor da und will gestillt werden.
Das implantologische Curriculum der DGI ist sicher ein Erfolgsmodell, aber aus meiner Sicht ist da noch mehr möglich. Das Wissen wächst so schnell, dass es zunehmend schwerer wird, es in Wochenendkursen komplett abzubilden. Ich wünsche mir für die Zukunft eine wirkliche Facharztausbildung von zwei oder drei Jahren, wie ich sie selbst in den USA durchlaufen habe. Die angloamerikanischen Staaten sind mit ihren Kursen äußerst erfolgreich, sodass sich die Frage auftut, warum wir ihnen da nicht stärker nacheifern.
Die Zahnmedizin in der Spitze ist bei uns nicht schlechter als in diesen Ländern, es findet aber eine deutlich strukturiertere Wissensvermittlung im postgradualen Bereich statt. Fortbildung ist bei uns klassischerweise oft noch Kammersache, also nicht universitär angebunden. In Italien zum Beispiel haben alle Zahnärzte in meinem Alter und mit einem gewissen Anspruch ein Postgraduiertenprogramm in den USA absolviert. Das ist bei uns noch selten. Ich plane daher, hier an der Charité ein Dreijahresprogramm mit den Inhalten Prothetik, Implantologie und vielleicht noch Parodontologie und anderen Teilaspekten zu etablieren.
Volkswirtschaftlich gesehen sind die drei Jahre Zusatzausbildung vertretbar. Ich habe selbst erlebt, dass man durch die postgraduale Ausbildung nochmals einen anderen Blick auf die Zahnmedizin bekommt. Das Studium vermittelt nur die Grundlagen, der tiefere Einstieg gelingt nur über ein zeitintensives postgraduales Programm. Die Implantologie hätte aber auch in die untergraduierte Lehre gehört. Damit nicht genug, wurden prothetische Inhalte im Studium dramatisch reduziert. Und wenn wir diese Entwicklung mit der Situation in der Zahntechnik verknüpfen, in der die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen erschreckend gering ist, steht zu befürchten, dass das restaurative Wissen in der nächsten Generation kaum mehr vorhanden sein wird.
Würden Sie so weit gehen, zu sagen, wir brauchen einen Implantat-Führerschein?
Beuer: Nein, das würde ich nicht sagen. Dadurch die Approbation einzuschränken ist weder sinnvoll noch vermittelbar. Wo sollte man da die Grenze ziehen? Es ist schon gut, dass die Approbation so breit ist, wie sie heute ist.
Vielen Dank für das Gespräch
Prof. Dr. Florian Beuer ist Professor für zahnärztliche Prothetik, Altersmedizin und Funktionslehre der Charité Berlin und seit November 2021 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI). Seine Ausbildung absolvierte er an der Ludwigs-Maximilians-Universität München, wo auch seine berufliche und wissenschaftliche Karriere begann und er 2009 habilitiert wurde. Von 2008 bis 2009 war als Visiting Professor am Pacific Dental Institute in Portland, Oregon tätig. Seit 2015 ist er Lehrstuhlinhaber für Zahnärztliche Prothetik an der Charité. Prof. Beuer ist auch engagiert in der DGÄZ, der DGPro und der AG Keramik.