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Bei Prävention sparen wird teuer

Alle freuen sich. Der Bundesrat hat dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz bei seiner Plenarsitzung am 16. September eine frontale Absage erteilt. „Dort, wo man näher an den Menschen ist, wird erkannt, welche dramatischen Folgen für die Versorgung ein solcher Schritt hätte“, sagte der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt – nebenamtlich bekanntermaßen Bundesärztekammerpräsident.

GKV-Finanzstabilisierungsgesetz: Bundesrat fordert weitgehende Änderungen

„Das Votum des Bundesrats für eine Beibehaltung der Neupatientenregelung zeigt, dass das große und gemeinsame Engagement der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, der Berufsverbände und der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) erste Früchte getragen hat“, so der naturbescheidene Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen.

Ein Bild, das fünf Stühle in leichter Untersicht zeigt, Das bild ist in schwarz-weiß, nur der mittlere Stuhl ist knallig rot.

Der Bundesrat fordert weitgehende Änderungen beim GKV-Finanzstabilisierungsgesetz: Präventive Maßnahmen sollten nicht dem politischen Rotstift zum Opfer fallen.

Gut gebrüllt?

Der Vorsitzende des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Dr. Wolfgang Eßer ist von der eigenen Wirkmächtigkeit auch sichtlich begeistert: „Gemeinsam mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen haben wir unsere Vorschläge zur Verbesserung des Gesetzes an die Länder adressiert, um eine präventionsorientierte Parodontitis-Therapie weiterhin zu ermöglichen und im Sinne des Patientenwohls Leistungskürzungen zu vermeiden. Dass der Bundesrat jetzt Änderungen am GKV-FinStG empfiehlt, ist ein richtiges und wichtiges Signal für das weitere Gesetzgebungsverfahren.“ Bei so viel Begeisterung kann ja nichts mehr schief gehen. Oder?

Oder eben doch. Auf 30 Seiten schmettert der Bundesrat den 61-seitigen Kabinettsentwurf eines „Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ ab. Kann er gut machen. Zwei offene Ohren für die Lobbyisten aller Lager. Ein Goodie für die Ärzte. Klar Neupatientenregelung. Erhöhung des Apothekenabschlags? Pfui Spinne. Budgetierung der PAR-Therapie? „Die Kappung der notwendigen Finanzmittel führten zu einer unsachgemäßen Reduzierung der neuen PAR-Versorgungsstrecke und damit zu einer Rationierung des Leistungsangebots. Dies gilt es durch die Bevorzugung der PAR-Leistungen zu verhindern“, heißt es dazu in der Stellungnahme des Bundesrats. Da bleibt nicht viel übrig vom Kabinettsentwurf. Aber: Who cares? Der Bundesrat kann hier gut das Rumpelstilzchen spielen. Er ist bei diesem Gesetz nicht zustimmungspflichtig. Hier ist es so wie im richtigen Leben: Wer es nicht bezahlen muss, verteilt gerne großzügig „Geschenke“ und macht sich viele „gute Freunde“.

Recht und billig

Was bei Dr. Eßer nach einem (Fast-)Durchbruch im Ringen um die PAR-Richtlinie klingt, taucht in den öffentlichen Bekundungen des Bundesrates zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz gar nicht auf. Wer das lesen möchte, muss auf der Seite des Bundesrates die Drucksache 366/22(B) finden und lesen. Hier heißt es: „Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Leistungen nach den Paragrafen 22, 22a, 26 Absatz 1 Satz 5, Paragraf 28 Absatz 2 Satz 1 und Paragraf 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 in Verbindung mit der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen (PAR- Richtlinie).“ Aha, sagen jetzt vielleicht einige Leser und Leserinnnen. Die im Kabinettsentwurf genannten Ausnahmen bei der Budgetierung zahnärztlicher Leistungen betreffen bislang lediglich die Individualprophylaxe für Kinder und Jugendlichen sowie für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen. Der Bundesrat erweitert mit seiner Formulierung die Ausnahmen um die allermeisten zahnärztlichen Behandlungen und nennt expressis verbis aber nur die PAR-Richtlinie.

Gar nicht mal schlecht gedacht. In der zahnärztlichen Tätigkeit ist die Prävention eines der Hauptaugenmerke und verhindert weit höhere Ausgaben der GKV wegen schwerwiegenderen Folgeerkrankungen und dient damit nicht nur ganz nebenbei dem Wohl der Menschen, die so nicht dauerhaft zu Patienten werden. Hier springt nämlich der Kabinettsentwurf entschieden zu kurz. Das bei den Zahnärzten gewitterte Einsparvolumen 2023/24 von 460 Millionen Euro, das andernorts mit beiden Händen zum Fenster hinausgeworfen wird – Stichwort Gematik –, darf die GKV in den Folgejahren für die Folgeschäden ausgelassener Prävention in mit Faktor x multiplizierter Höhe aufwenden. Da hat Lauterbachs Ministerium lauter gemacht als gedacht.

Zählen Argumente?

Wie viel Wirkmacht der Beschluss des Bundesrates zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf die entscheidenden Lesungen im Bundestag haben wird, bleibt spannend. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 19. September folgt jedenfalls ganz dem Kabinettsentwurf. Die völlig sinnfreie Budgetierung der PAR-Richtlinie bleibt ebenso Bestand wie die geplante Streichung der Neupatientenregelung. Auch die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates steht noch aus. Auch hier wird die Regierung Farbe bekennen müssen, warum sie aufgrund kurzfristiger Einsparpotenziale die neue, präventionsorientierte Parodontitis-Behandlungsstrecke auf Kosten des Patientenwohls budgetiert.