Im Juni 2017 wurde das Pflegeberufegesetz beschlossen. Es regelt die Zusammenführung von Kranken- und Altenpflege und soll für eine hochwertige Pflegeausbildung sorgen. BMG und BMFSFJ hat dazu eine ehrenamtliche Fachkommision eingesetzt, die die Rahmenlehr- und Rahmenausbildungspläne erarbeiten soll. Die neue Pflegeausbildung wird dann 2020 beginnen. Welche Rolle die Mundgesundheit und -hygiene darin spielen soll, darüber sprach Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, mit dzw-Redakteur Dr. Helge David.
Welchen Stellenwert hat die Mundgesundheit in den Pflegewissenschaften? Welchen Stellenwert wird sie künftig in der Pflegeausbildung spielen?
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich: Mit den Pflegewissenschaften sind wir in gutem Kontakt. Die Pflegewissenschaften haben längst erkannt, dass das Thema Mundgesundheit die zentrale Bedeutung hat, wie wir es aus Sicht der Zahnärzteschaft dargestellt haben. Gleichzeitig haben wir mit den Pflegeberufen Best-Practice-Modelle installiert mit Schulungs- und Informationsangeboten. Die Pflegewissenschaften haben an unseren Koordinierungskonferenzen teilgenommen, an denen Referenten aus dem Bereich Seniorenzahnmedizin und Prävention über die speziellen mundgesundheitlichen Bedarfe von Pflegebedürftigen berichtet haben. Hier wurde ganz klar, dass es im Bereich Pflege Änderungen geben muss. Mit der novellierten Pflegeausbildung mussten wir vermehrt die Bedeutung von Mundgesundheit für die Lehrinhalte in vielen Gesprächen betonen. Mit der DGAZ haben wir von der BZÄK dann gemeinsam einen curricularen Baustein zur Mundhygiene in der Pflegeausbildung entwickelt. In der jetzigen Situation kann man wirklich nur hoffen, dass das Thema entsprechend adressiert wird – nicht nur in der Ausbildung, sondern auch im Rahmen von Fortbildungen.
Bis zum 1. Juli 2019 legt die Fachkommission Rahmenlehr- und Rahmenausbildungspläne für die Pflegeberufe beim BMG und dem BMFSFJ vor. Sind da die von DGAZ und BZÄK entwickelten curricularen Bausteine zur „Mundhygiene in der Pflegeausbildung“ enthalten?
Oesterreich: Wenn wir das wüssten, wären wir schon einen großen Schritt weiter. Wir haben natürlich bei beiden zuständigen Ministerien nachgefragt, aber zurzeit haben wir noch keine konkreten Kenntnisse. Wir gehen davon aus, dass die Bundeszahnärztekammer aber in diesem Prozess noch einmal gehört wird. Wir werden natürlich unsere Kontakte im BMG nutzen, um noch einmal deutlich zu machen, dass das Thema Mundhygiene in der Pflegeausbildung eine Rolle spielen muss.
Was beinhalten die Bausteine konkret?
Oesterreich: Die Bausteine enthalten natürlich erst einmal Grundwissen zum Thema Mundgesundheit, das ist wichtig für die Pflegeberufe. Wesentliche Erkrankungen der Mundhöhle und auch der Umgang mit Zahnersatz sollten bekannt sein. Sie müssen ja nicht diagnostiziert werden, wir wollen ja nicht den kleinen Zahnarzt, aber die Pflegekräfte müssen die Gefahren erkennen, die für die Pflegebedürftigen durch Erkrankungen in der Mundhöhle entstehen können, und dann auch den Zahnarzt einbinden. Über diese Grundkenntnisse hinaus werden die Pflegeberufe informiert, wie Mundhygiene unter den speziellen Bedingungen der Pflege effektiv und systematisch durchgeführt werden kann. Das kann entscheidend dazu beitragen, dass die Mundgesundheit verbessert wird.
Die von DGAZ und BZÄK entwickelten curricularen Bausteine zu „Mundhygiene in der Pflegeausbildung“ umfassen lediglich neun Schulstunden für das erste Ausbildungsjahr. Reicht das? Warum so wenig?
Oesterreich: Man wünscht sich immer mehr (lacht). Die Pflegeausbildung ist äußerst komplex. In unseren Gesprächen haben wir ein Verständnis dafür entwickelt, dass wir uns erst einmal auf die wesentlichen Aspekte konzentrieren sollten. Es ist wichtig, Grundlagen und die notwendige Sensibilität zu entwickeln. Viel mehr wird bei der derzeitigen Zusammensetzung der Pflegeausbildung auch nicht möglich sein. Wir wünschen uns immer mehr, aber ob das dann auch durchsetzbar wäre, da bin ich skeptisch. Wichtig ist, dass die Mundhygiene Bestandteil der Ausbildung ist und die wesentlichen Schwerpunkte vermittelt werden. Darauf aufbauend können Pflegekräfte im Rahmen von Fortbildungen weitere Kenntnisse erwerben, und dafür stehen auch die Zahnärzte zur Verfügung.
Die BZÄK bietet verschiedene Publikationen und zwölf Schulungsvideos an zur Zahnpflege bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung. Wie wird das Angebot angenommen?
Oesterreich: Die Schulungsvideos werden nicht nur von den Pflegekräften genutzt, sondern auch von den pflegenden Angehörigen. Unser Pflegekalender ist in überarbeiteter Form neu aufgelegt. Er wird bei Schulungen von den Landeszahnärztekammern durch die zuständigen Referenten an die Pflegekräfte weitergegeben. Ziel ist es, dass die Pflegekräfte etwas Praktisches an die Hand bekommen mit Anleitungen, was im Pflegealltag einfach und schnell umzusetzen ist. Keine andere Publikation der BZÄK war bislang so erfolgreich und nachgefragt wie unser Pflegekalender.
Wie lässt sich Mundhygiene im Pflegealltag etablieren und institutionalisieren, gerade hinsichtlich der starken Pflegepersonalfluktuation?
Oesterreich: Man muss bei der Ausbildung anfangen. Es muss eine Sensibilität entstehen, dass Mundhygiene auch im Pflegealltag eine wesentliche Rolle spielt. Das kann in der Ausbildung sehr gut adressiert werden. Dazu kommt, dass man im Rahmen des Ablaufs im Pflegealltag die Mundhygiene nicht nur mit Zeiten hinterlegt. Die Pflegekräfte stehen, das sehen wir, in ihrer Arbeit sehr stark unter zeitlichem Druck und haben zudem auch viele bürokratische Aufgaben. Die Zielsetzung ist aber natürlich, die Lebensqualität der Pflegebedürftigen zu erhalten, und die ist elementar mit ihrer Mundgesundheit verbunden. Zahnärzte arbeiten ja auch schon in nennenswertem Umfang über Kooperationsverträge mit Pflegeeinrichtungen zusammen. Man sollte diese Zusammenarbeit nutzen, um schnell, einfach und konkret bei jedem Patienten die Mundhygiene auch umzusetzen. Auch durch die frühe Kontaktaufnahme der Zahnärzteschaft mit den Pflegewissenschaften sind Zahnärzte bei Entwicklung der Expertenstandards beteiligt. Das ist ein deutliches Zeichen, dass seitens der Pflegeberufe, seitens der Pflegewissenschaften dem Thema Mundhygiene eine besondere Bedeutung beigemessen wird. Diese Expertenstandards sind nicht nur Hilfe und Unterstützung, um Mundhygiene in der Pflege effektiv umzusetzen, sondern sie sind auch Teil der Qualitätssicherung in der Pflege und haben damit einen Verbindlichkeitscharakter.