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Parallelität versus Interdisziplinarität

Der Kommentar von Chefredakteur Marc Oliver Pick

Medizin und Zahnmedizin bewegen sich in großen Schritten in kaum gekanntem Ausmaß weiter. Mit neuen Erkenntnissen der medizinischen wie zahnmedizinischen Fächer und offensichtlicher werdenden ­Berührungspunkten und Überschneidungen. In Zukunft wird es nicht ausreichen, weiter zu kommen, sondern gemeinsam weiter zu kommen. Der parallel und isoliert verlaufende Gewinn medizinischer Erkenntnisse wird dem zunehmend ganzheitlichen Verständnis von Ursache und Wirkung von Erkrankungen kaum gerecht – ob sie in der Mundhöhle ihren Anfang nehmen oder dort offenbar werden.

Viele Einzelkompetenzen, selten geballte Kompetenz

Der menschliche Organismus ist komplex, auch heute noch sind viele Mechanismen und Wechselwirkungen rätselhaft, und doch gelingt es immer häufiger, Zusammenhänge aufzudecken und daraus abgeleitet neue Therapieformen zu entwickeln. Die Komplexität des Gesamtsystems Mensch macht es naturgemäß erforderlich, das bislang angesammelte Wissen um Gesundheit und Krankheit auf Spezialisten und Fachgebiete aufzuteilen. So ist fast jede Körperregion, jeder Organkomplex etc. spezialisierten Fachärzten und Fachzahnärzten zugeordnet. Viele Einzelkompetenzen, aber selten geballte Kompetenz.

Dieses etablierte System wandelt sich jedoch, langsam, aber stetig. Wo jahrzehntelang der Fokus mehr oder weniger eng begrenzt auf speziellen Fachgebieten lag, öffnet sich heute der Blick auf das große Ganze. Das Zauberwort unserer Zeit heißt Interdisziplinarität. Längst besteht Konsens darüber, dass jede Spezialisierung irgendwann ein natürliches Ende findet. Spätestens dann, wenn Ursache oder Wirkung einer Erkrankung innerhalb des Organismus weit auseinanderliegen und somit gleich mehrere Fachgebiete berührt werden. ­Beispiel menschlicher Verdauungstrakt: Zahnärzte sind in erster Linie mit der Mundhöhle als oberstem Teil des Verdauungssystems beschäftigt. Der HNO-Spezialist widmet sich dem ­folgenden Abschnitt. Dann kommt der ­Internist ins Spiel, um schließlich an ­seinen Kollegen aus der Proktologie zu übergeben. Letztlich wird jeder Abschnitt – Mundhöhle, Rachen, Speiseröhre, Magen und Darm – von jeweils spezialisierten Facharztgruppen behandelt.

Oberes Viertel der Zahnmedizin

Physiologisch gesehen hat aber jeder einzelne funktionelle Abschnitt des ­Verdauungssystems indirekte oder direkte Auswirkungen auf einen anderen ­Abschnitt oder sogar auf mehrere ­Abschnitte – nicht nur abwärts oder aufwärts, sondern auf das Gesamtsystem Mensch. Das obere Viertel ist die Domäne der Zahnmedizin, die restlichen drei Viertel sind die ­Domäne der Medizin.

Ist eine solche Aufteilung sinnvoll? Ja, weil selbst „benachbarte“ Disziplinen heute trotz vorhandener Überschneidungen einfach zu viel spezielles Wissen benötigen und nutzen müssen, um erfolgreich therapieren zu können.

Fachübergreifende Versorgung verbessern

Trotzdem muss es auf fachlich-interdisziplinärer Ebene noch stärker als bisher möglich werden, nicht nur über den ­Tellerrand zu schauen, sondern fachliche Schnittstellen auch gemeinsam, fachübergreifend zu betreuen – gegebenenfalls über mehrere Fachgrenzen hinweg. Die Zeiten fachlicher Spezialisierungen sind keineswegs vorbei, aber es müssen Wege gefunden werden, fachliche Grenzen zu überwinden und die jeweilige Expertise im Sinne des Patienten synergetisch zu nutzen.

Wie Dr. Jan H. Koch in seinem Beitrag konstatiert, ist das Gesundheitswesen in Deutschland für diesen notwendigen Schritt noch nicht ­bereit. Das kann und muss sich ändern, ­indem auf politischem Wege passendere Strukturen auf den Weg gebracht werden. Vermutlich schneller und leichter könnte dies im Bereich Fortbildung umgesetzt werden. 

Gesundheit ist nicht teilbar

Interdisziplinarität entsteht nicht nebeneinander und fachspezifisch in getrennten Fortbildungsformaten, sondern gemeinsam in fachübergreifenden Veranstaltungen. Gesundheit ist nicht teilbar, das Wissen darum schon.