Kurz und klar
- Diabetes Typ 2 und Parodontitis sind über das Mikrobiom, die Immunantwort und den Stoffwechsel miteinander verbunden.
- Metabolische Veränderungen bei Diabetes beeinflussen das Mikrobiom in parodontalen Taschen in eine pathogene Richtung (Dysbiose).
- Die Immunantwort im parodontalen Gewebe kann in der Folge „entgleisen“.
- Dies führt zu verstärktem entzündlichen Gewebeverlust.
- Immunologisch oder metabolisch wirksame Substanzen könnten zur Behandlung sowohl von Diabetes, als auch Parodontitis einsetzbar sein.
Vonseiten der oralen Medizin wurde Parodontitis 1993 als therapiebedürftige „Diabetes-Komplikation“ bezeichnet [1]. Eine aktuelle Literaturauswertung bestätigt, dass erfolgreiche parodontale Therapie den Glukosewert (HbA1c) nach sechs Monaten „klinisch relevant“ verbessert. Daten sprechen zudem dafür, dass Parodontitis umgekehrt das Risiko für neue Diabetes-Erkrankungen erhöht [2]. Damit scheint ein kausaler Zusammenhang zwischen den chronisch-entzündlichen Erkrankungen in beide Richtungen gesichert [3]. Entsprechend werden verstärkt Wirkstoffe erforscht, mit der sich die Therapie auch für „doppelt“ erkrankte Patienten in einem Schritt medikamentös unterstützen lässt.
Diabetes verändert Taschen-Mikrobiom
Mikroorganismen aus dem dysbiotischen oralen Biofilm sind bei Parodontitis eine wichtige Schnittstelle im Krankheitsgeschehen [4]. Gemeinsam mit Botenstoffen aus dem entzündeten oralen Gewebe beeinflussen sie über den Blutweg systemische Erkrankungen, darunter Diabetes Typ 2, rheumatoide Arthritis und Herz-Kreislauf-Erkrankungen [5]. Eine zentrale Rolle spielt hier – über Vorgänge im Knochenmark – die erworbene (adaptive) Immunantwort. Diese trägt dazu bei, dass sowohl Parodontitis, als auch systemische Erkrankungen einschließlich Diabetes chronisch werden [6].
Entzündung systemisch und lokal
Auch der gestörte Stoffwechsel bei Typ-2-Diabetes trägt dazu bei, das orale Mikrobiom in Richtung Dysbiose zu verändern. Damit kann das Parodontitisrisiko erhöht oder eine vorhandene Parodontitis verstärkt werden. Eine aktuelle klinische Studie zeigt umgekehrt, wie Mikroorganismen die systemische Entzündung und dadurch auch die Insulinresistenz diabetischer Patienten fördern [7]. Ein therapeutischer Ansatzpunkt könnte der Sukzinat-G-Protein-gekoppelte Rezeptor (SUCNR1) sein. Da der Sukzinatspiegel bei beiden Erkrankungen erhöht ist, könnten auf diesen Rezeptor zielende Medikamente sowohl gegen Parodontitis als auch Typ-2-Diabetes wirksam sein [8, 9].
Schließlich hat Diabetes auch Einfluss auf die lokale Immunantwort im Gewebe. Über Botenstoffe unter anderem aus lokalen Immunzellen (Neutrophilen) werden Knochen- und Weichgewebszellen in Richtung Zelltod programmiert, sodass der Knochenabbau verstärkt wird [10]. Hier könnten Substanzen entwickelt werden, die diesen Vorgängen entgegenwirken [7].
Phase-3-Studie läuft
Bereits in der pharmakologisch-klinischen Erprobung (Phase 3) befindet sich ein immunmodulatorischer Wirkstoff, der bei Parodontitis in die entzündete Tasche appliziert wird [11]. AMY-101 inaktiviert C3-Komplement, einen Baustein des angeborenen Immunsystems, und hemmt die Synthese von Entzündungsmediatoren. Bereits länger bekannt sind lokal oder systemisch gegen parodontale Entzündung eingesetzte Wirkstoffe aus der Gruppe der Statine. Diese reduzieren die Aktivität von Makrophagen und werden bisher systemisch zur Senkung des Cholesterinspiegels eingesetzt [12, 13]. Lokale Statine erhielten jedoch in der aktuellen Leitlinie zur Behandlung von Parodontitis der Stadien I-III keine klinische Empfehlung [14]. Die intensive Forschung im Bereich entzündungshemmende Wirkstoffe und Produkte könnte sich jedoch in näherer Zukunft auch in Leitlinien niederschlagen.
Kurzkommentar:
Interdisziplinär funktioniert nur auf Augenhöhe
Obwohl weiterer Forschungsbedarf besteht, empfehlen deutsche und internationale Organisationen aus der oralen, allgemeinen und internistischen Medizin, Parodontitis als Risikofaktor für Diabetes konsequent zu therapieren [15, 16]. Gefordert wird zudem eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen, mit entsprechender Aufklärung und Beratung betroffener Patienten. Leider ist die aktuelle Struktur im deutschen Gesundheitswesen ungeeignet, um die Forderungen angemessen umzusetzen.
So erlaubt die gesetzliche Krankenversicherung keine wechselseitigen Überweisungen zwischen oralen (Zahn-) und „richtigen“ Medizinern. Interdisziplinäre Zusammenarbeit funktioniert zudem nur auf Augenhöhe. Notwendig ist daher eine gemeinsame Aus-, Fort- und Weiterbildung und damit eine umfassende Integration der oralen in die übrige Medizin. Schließlich ist das Honorar für eine angemessene Patientenaufklärung unzureichend und lässt sich nur über aufwendige private Abdingung kostendeckend gestalten. Im Interesse der vielen Millionen betroffenen Patienten bleibt also viel zu tun.
Dr. Jan H. Koch
Interessenkonflikt und KI: Der Autor erklärt, dass er im Zusammenhang mit diesem Beitrag keinen Interessenskonflikt und keine KI-Hilfsmittel genutzt hat.
Hinweis: Beiträge in der Rubrik Oralmedizin kompakt können nicht die klinische Einschätzung der Leser ersetzen. Sie sollen lediglich – auf der Basis aktueller Literatur und/oder von Experten-Empfehlungen – die eigenverantwortliche Entscheidungsfindung unterstützen.
Dr. Jan H. Koch
Dr. med. dent. Jan H. Koch ist approbierter Zahnarzt mit mehreren Jahren Berufserfahrung in Praxis und Hochschule. Seit dem Jahr 2000 ist er als freier Fachjournalist und Berater tätig. Arbeitsschwerpunkte sind Falldarstellungen, Veranstaltungsberichte und Pressetexte, für Dentalindustrie, Medien und Verbände. Seit 2013 schreibt Dr. Koch als fester freier Mitarbeiter für die dzw und ihre Fachmagazine, unter anderem die Kolumne Oralmedizin kompakt.
Mitglied seit
7 Jahre 2 Monatedzw.de/oralmedizin-kompakt-event-bericht-afg
dzw.de/kann-ein-parodontal-pathogenes-mikrobiom-dick-machen
dzw.de/wechselwirkung-von-parodontitis-und-diabetes
Literatur
[1] Loe H. Periodontal disease. The sixth complication of diabetes mellitus. Diabetes Care. 1993;16(1):329-34. Epub 1993/01/01. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8422804
[2] Genco RJ, Graziani F, Hasturk H. Effects of periodontal disease on glycemic control, complications, and incidence of diabetes mellitus. Periodontol 2000. 2020;83(1):59-65. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/32385875
[3] Stohr J, Barbaresko J, Neuenschwander M, et al. Bidirectional association between periodontal disease and diabetes mellitus: a systematic review and meta-analysis of cohort studies. Sci Rep. 2021;11(1):13686. Epub 20210701. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/34211029
[4] Zhang P, Sahingur SE, Culshaw S. „Regulation of Metabolism and Inflammation: Links with Oral and Systemic Health“: Part I Host-Microbial Interactions. Mol Oral Microbiol. 2024;39(2):27-8. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/38454314
[5] Joseph P, Prabhakar P, Holtfreter B, et al. Systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials evaluating the efficacy of non-surgical periodontal treatment in patients with concurrent systemic conditions. Clin Oral Investig. 2023;28(1):21. Epub 20231226. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/38147183
[6] Chavakis T, Wielockx B, Hajishengallis G. Inflammatory Modulation of Hematopoiesis: Linking Trained Immunity and Clonal Hematopoiesis with Chronic Disorders. Annu Rev Physiol. 2022;84:183-207. Epub 20211006. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/34614373
[7] Favale N, Farina R, Carrieri A, et al. Functional profile of oral plaque microbiome: Further insight into the bidirectional relationship between type 2 diabetes and periodontitis. Mol Oral Microbiol. 2024;39(2):62-79. Epub 20230531. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/37257865
[8] Guo Y, Xu F, Thomas SC, et al. Targeting the succinate receptor effectively inhibits periodontitis. Cell Rep. 2022;40(12):111389. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/36130514
[9] Thomas SC, Guo Y, Xu F, et al. A novel SUCNR1 inhibitor alleviates dysbiosis through inhibition of host responses without direct interaction with host microbiota. Mol Oral Microbiol. 2024;39(2):80-90. Epub 20230916. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/37715517
[10] Pan S, Hu B, Sun J, et al. Identification of cross-talk pathways and ferroptosis-related genes in periodontitis and type 2 diabetes mellitus by bioinformatics analysis and experimental validation. Front Immunol. 2022;13:1015491. Epub 20220929. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/36248844
[11] Hasturk H, Hajishengallis G, Forsyth Institute Center for C, et al. Phase IIa clinical trial of complement C3 inhibitor AMY-101 in adults with periodontal inflammation. J Clin Invest. 2021;131(23). https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/34618684
[12] Cecoro G, Piccirillo A, Martuscelli G, et al. Efficacy of locally delivered statins as an adjunct to scaling and root planning in the treatment of periodontitis: a systematic review and meta-analysis. Eur Rev Med Pharmacol Sci. 2021;25(18):5737-54. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/34604965
[13] Kabra S, Thosar NR, Malviya NS. Exploring the Synergistic Effect of Simvastatin in Oral Health Applications: A Literature Review. Cureus. 2023;15(8):e44411. Epub 20230830. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/37791218
[14] DG PARO Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e. V., DGZMK Deutsche Gesellschaft für Zahn- M-uK. Die Behandlung von Parodontitis Stadium I bis IIIDie deutsche Implementierung der S3-Leitlinie „Treatment of Stage I–III Periodontitis“der European Federation of Periodontology (EFP). AWMF-Registernummer: 083-043. Stand: Dezember 2020. Gültig bis: November 2025 https://register.awmf.org/assets/guidelines/083-043l_S3_Behandlung-von-Parodontitis-Stadium-I-III_2021-02_2.pdf . 2021.
[15] Herrera D, Sanz M, Shapira L, et al. Association between periodontal diseases and cardiovascular diseases, diabetes and respiratory diseases: Consensus report of the Joint Workshop by the European Federation of Periodontology (EFP) and the European arm of the World Organization of Family Doctors (WONCA Europe). J Clin Periodontol. 2023;50(6):819-41. Epub 20230322. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/36935200
[16] Bengs N. BZÄK und BNK teilen mit: Parodontitis kann Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöhen: https://www.zm-online.de/news/detail/parodontitis-kann-risiko-fuer-kardiovaskulaeren-erkrankungen-erhoehen zm-online.de 2023.
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