Anzeige

Premium Article

Premium Article
0

Advertorial

Advertorial
0

MIH-Kinder haben kein zusätzliches Kariesrisiko

Aktuelle Zahlen zu MIH in Deutschland lieferte unlängst eine epidemiologische Querschnittsstudie der Justus-Liebig Universität Gießen und der Ludwig Maximilians Universität München in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesarbeitsgemeinschaft Zahngesundheit e. V. (LAGZ). Die repräsentative Erhebung erfasst Karies und MIH beziehungsweise Schmelzhypomineralisation in Bayern [1]. Beide Erkrankungen wurden in Verhältnis zueinander gesetzt. Untersucht wurden 5.418 Kinder von 8 bis 10 Jahren (Durchschnitt: 9,8 Jahre). Die Studienergebnisse erläutert Prof. Dr. Jan Kühnisch, der die Studie mitkonzipierte und in Südbayern durchführte.

Herr Professor Kühnisch, Sie haben in Ihrer Studie ein sehr breites Spektrum an Phänotypen der Hypomineralisation erfasst. Weshalb haben Sie das getan?

Prof. Dr. Jan Kühnisch: Wir haben verschiedene Definitionen einbe­zogen, darunter MIH (Molar-Incisor-Hypomineralisation) und EH (Enamel Hypomineralisation). MIH wird nach aktueller Definition nur diagnostiziert, wenn mindestens ein erster ­bleibender Molar betroffen ist. Allerdings können auch nur Frontzähne betroffen sein, was dann nicht mehr als MIH zählt. In der Gruppe der ­Hypomineralisationen wurden alle erfasst, die mindestens ­einen mindermineralisierten Zahn haben. Das ist auch die Definition, die bei der DMS V verwendet wurde, und die eine Verbreitung von 28,7 Prozent ergab [2].

Mit dem breiteren Fokus wollten wir eine umfassendere Datenbasis schaffen, um Vergleiche mit anderen Studien zu ermöglichen. Die Prävalenz hängt von der Definition ab, die zugrunde liegt, und davon, welche Zähne einbezogen werden. So haben wir in dieser Studie ein Ergebnis für Hypomineralisationen (EH), das bei 26,2 Prozent liegt, also nahe dem Ergebnis der DMS V, während die Erhebung eine Häufigkeit von 17,5 Prozent für MIH bei den untersuchten bayerischen Schulkindern ergab. 

Frühere Erhebungen für Regionen in Deutschland zeigten vergleichbare oder niedrigere Prävalenzen für MIH. Und sie ergaben, dass 90 Prozent aller MIH-Zähne leichte und moderate ästhetische Einschränkungen haben; schwere Fälle also vergleichsweise selten vorkamen. 

Wie hoch war der Prozentsatz schwerer MIH-Fälle bei Ihrer Erhebung? 
Kühnisch: Die Definition für „severe cases“, also schwere Fälle, variiert. Wir haben den Prozentsatz der Kinder mit mindestens einem 6-Jahres-Molaren mit Schmelzeinbruch erfasst – das waren 8,3 Prozent.

Hat sich die Verbreitung von MIH verändert?

Kühnisch: Die Zahlen fügen sich in die bestehende Datenlage ein. Es gibt keine belastbaren Hinweise darauf, dass MIH häufiger geworden ist. Methodische Unterschiede zwischen Studien erschweren solche Aussagen. Auch international zeigt sich eine relativ konstante Prävalenz. Was sich verändert hat, ist das gestiegene Interesse am Thema, was zu mehr Studien und einer gesteigerten Wahrnehmung führt. 

Warum haben Sie die Assoziation von Karies und Hypomineralisationen untersucht?

Kühnisch: Das war ein zentrales Anliegen, da wir im Behandlungsalltag oft sehen, dass MIH bei kariesfreien Kindern auftritt. Das heißt, in der Regel gibt es bei diesen Kindern kein erhöhtes Kariesrisiko oder keine erhöhte Kariesaktivität und damit meistens auch fast gar keine Karies.
Die internationale Literatur hingegen geht konstant von einem erhöhten Kariesrisiko bei MIH-Betroffenen aus und berichtet regelmäßig über höhere Kariesraten. Wir wollten diese von uns wahrgenommene Diskrepanz klären und gleichfalls frühere Beobachtungen aus den Münchner Geburtskohorten – in welchen ebenfalls ein niedriger Kariesbefall bei MIH-Betroffenen aufgefunden wurde, überprüfen. Insofern zeigen unsere aktuellen Daten eine Konsistenz zu früheren Erhebungen und stehen jedoch im Widerspruch zu der internationalen Positionierung. 

Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch in der Forschung?

Kühnisch: Karies und MIH wurden in unserer Erhebung separat erfasst, an allen Zahnflächen der gesamten Dentition. Das haben aus meiner Sicht relativ wenige Studien bislang getan. Wenn man hierbei nicht sorgfältig vorgeht, kann es zu Verwechslungen kommen. Denn es kommt vor, dass bei MIH auch weiches Dentin anzutreffen ist, was einfach Teil der Strukturstörung ist. Dieser methodische Ansatz macht unsere Ergebnisse besonders zuverlässig. 

Was ist die klinische Relevanz Ihrer Ergebnisse?

Kühnisch: MIH-Kinder zeigen zumeist kein erhöhtes Kariesrisiko.

Welche Erkrankung verursacht mehr Behandlungsbedarf – Karies oder MIH?

Kühnisch: Das hängt vom Alter ab. Im Wechselgebiss haben MIH-Betroffene aktuell einen höheren Behandlungsbedarf, da Karies in diesem Alter noch weniger ausgeprägt ist. Obwohl aktuelle epidemiologische Erhebungen reduzierte karies-bedingte Behandlungsbedarfe nahelegen, ist Karies trotzdem noch präsent. Dieser Kariesbefall wird dann im späteren Lebensverlauf offensichtlich und nimmt proportional zu den MIH-Befunden zu. Damit treten MIH-Bedarfe ab dem zweiten Lebensjahrzehnt wieder in den Hintergrund.

Jan Kuehnisch am Rednerpult auf dem Podium des AMIT-Kongresses mit 2 anderen Herren sitzend im Hintergrund

Prof. Dr. Jan Kühnisch auf dem zweiten AMIT-Kongress in Berlin