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Planet und Patienten retten – mit Prävention

Der Kommentar von Dr. Jan H. Koch

„Zahnis“ wissen, wie sie ihren Mund gesund halten können. Regelmäßige und gründliche Reinigung und Fluoridierung reicht für sie meist aus – in Verbindung mit vernünftiger Ernährung und Lebensweise. Weniger gut informierte Menschen benötigen dagegen echte Prophylaxe-Sitzungen, mit Aufklärung über oral- und allgemeinmedizinische Zusammenhänge und mit Risiko-adaptierten Recalls. Aus vielschichtigen Gründen können davon sehr viele in Deutschland nur träumen und das sollte sich dringend ändern: Weil fachgerechte Prävention dem medizinischen Standard entspricht, weil damit das Gesundheitssystem bezahlbar bleiben könnte – und weil sie auch ökologisch sinnvoll ist.

Medizinisch und ethisch angezeigt

Dass parodontaler Attachmentverlust und kariöse Defekte primär von Mundhygienequalität und Biofilm-Menge abhängen, ist nach aktuellem Forschungsstand zweifelhaft. Ursächlich scheint vielmehr ein komplexes Zusammenwirken mikrobiologischer, immunologischer, genetischer, psychischer und „Lebensstil“-bezogener Faktoren. Folge eines dysbiotischen Milieus können nicht nur Parodontitis und Karies, sondern zum Beispiel Plattenepithel-Karzinome oder tödliche Pneumonien bei systemisch beeinträchtigten Patienten sein. Um dies zu vermeiden, ist häufig ein umfassender Prophylaxe-Ansatz indiziert, der über technisch korrektes Biofilm-Management weit hinausgeht.

Prävention im Sinne eines weit gefassten Dysbiose-Managements ist also medizinisch angezeigt. Wer nur Reparatur anbietet, handelt demnach ethisch fragwürdig und im Zweifel nicht nach ärztlichen Prinzipien. Auf der Basis einer viel beachteten Analyse ist Prävention aber auch ökonomisch sinnvoll. Demnach lassen sich mit „Gingivitis-Management“ Milliarden an Gesundheitskosten sparen und schwerwiegende systemische Erkrankungen vermeiden [1]. In der Schweiz wurde gezeigt, dass eine frühzeitig begonnene Parodontitis-Therapie pro Patient im Lebensverlauf knapp 1.800 Euro einspart [2].

Bei der Umsetzung von Prävention hakt es jedoch an vielen Stellen, zum Beispiel bei den Leistungssystemen: Nachdem eine „Bema-PZR für alle“ im Jahr 1998 von der rotgrünen Koalition zugunsten eines stabilen ZE-Zuschusses gekippt wurde, präsentierten die zahnärztlichen Organisationen im Jahr 2006 einen Vorschlag für eine neue, diagnostik- und präventionsorientierte GOZ. Das ambitionierte Konzept scheiterte nach Darstellung von BZÄK und KZBV daran, dass Gesundheitsministerium und PKV es auf Bema-Basis definieren wollten – mit mutmaßlichen finanziellen Nachteilen für die Zahnärzteschaft.

Umverteilung für Prävention

Budget-bezogene Bedenken verhinderten danach lange Zeit die Einführung einer fachgerechten PAR-Therapie „auf Kasse" und es ist zu befürchten, dass auch die weitere Umsetzung des in vieler Hinsicht wegweisenden PAR-Konzepts durch Berliner Spargebote und Budget-Verteilungskämpfe ausgebremst wird. Zugleich ist primäre Prophylaxe für Erwachsene – unabhängig von individuellem Risiko und sozialen Faktoren – nach wie vor eine Privatleistung. Diese können sich viele nicht leisten oder sie wird aufgrund struktureller Probleme (Ausbildungsdefizite, Personalmangel, fehlende Delegationsmöglichkeiten) nicht oder nicht in angezeigter Qualität angeboten.

Ob wir uns eine solche Exklusiv-Prävention noch lange leisten können, ist fraglich. Das GKV-Stabilisierungsgesetz lässt grüßen und wirft seine Schatten auf eine neue Qualität der Verteilungskämpfe auch in der oralen Medizin. In Schweden können Patienten mit regelmäßigen Prophylaxe-Terminen (allerdings ohne Zahnreinigung!) Versicherungsbeiträge sparen – auf Kosten von Zuschüssen für restaurative Maßnahmen (Frisktandvård). Das Angebot wird nach einer persönlichen Mitteilung bisher vor allem von jüngeren Patienten wahrgenommen. Als mögliches Vorbild für Deutschland wären gesundheitlicher Nutzen und Einsparpotenzial eher mittelfristig angelegt – aber bitte mit Biofilm-Management für Risikopatienten.

Nachhaltigkeit und Parodontitis

Einen Verzicht auf Prävention können wir uns aus vielen Gründen nicht mehr leisten. So hat der reparativ ausgerichtete Gesundheitssektor einen gigantischen CO2-Fußabdruck. Die Professoren Moritz Kebschull und Meike Stiesch weisen darauf hin, dass der Klimawandel zum Beispiel entzündliche Vorgänge im Körper und damit auch die Schwere parodontaler Erkrankungen verstärken könnte [3]. Um die effektivsten präventiven Methoden zu ermitteln, sollte daher – parallel zu einem Umdenken und -lenken in der medizinischen Versorgung – die Forschung massiv gefördert werden – einschließlich verhältnisbezogener Ansätze (Public Health, Institution für Mundgesundheit). Die Zahnärzteschaft hat bereits eine Reihe wichtiger präventiver Ansätze auf den Weg gebracht. Entscheidende Schritte zu einer präventionsorientierten Medizin stehen aber bis heute aus.

Quellen

[1] The Economist Intelligence Unit. 2021.

[2] Ramseier CA, et al.; Swiss Dent J 2022. 132 (11): 764-779.

[3] Kebschull M, Stiesch M. Zahnmedizin. In: Planetary Health - Klima, Umwelt Gesundheit im Anthropozän. MWV 2021.