Der Kommentar von Chefredakteur Marc Oliver Pick
Erst vor kurzem haben die Ärzte auf dem Deutschen Ärztetag der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens ein verheerend schlechtes Zeugnis ausgestellt. Zu teuer, zu langsam, zu wenig Nutzen stiftend, zu wenig praxiserprobt,umständlich und hinter den aktuellen Möglichkeiten zurückbleibend – kurzum: Die Telematikinfrastruktur sei das perfekte Spiegelbild der Digitalisierung Deutschlands insgesamt.
Leider wahr, so schade es für das Vorankommen der Digitalisierung Deutschlands im Ganzen und des Gesundheitssystems im Speziellen ist. Vor allem mit Blick auf die Kostenseite, die beständiger Anlass für Sorgenfalten auf der Stirn nicht nur von Gesundheitspolitikern ist. Denn eines ist klar: Die (erfolgreiche) Digitalisierung des Gesundheitswesens – und dazu gehört noch deutlich mehr als eine endlich funktionierende Telematikinfrastruktur – birgt gewaltige Potenziale.
Versorgungsqualität schnell und weiter steigern
Und zwar in gleich mehrfacher Hinsicht. Durch kluge, niedrigschwellige und vor allem mobile Gesundheitsdienstleistungsangebote ließe sich die Versorgungsqualität schnell und weiter steigern. Gut gemacht könnten digitale Services aber auch gewaltige Chancen bieten, die Kostenseite im Griff zu behalten, wenn nicht gar zu senken. Dies würde auch nicht ausschließlich der Medizin, sondern in gewissem Umfang auch der Zahnmedizin zu Gute kommen.
In einer Studie hat McKinsey untersucht, wo die größten Potenziale der Digitalisierung im Gesundheitswesen liegen, und 26 verfügbare digitale Gesundheitstechnologien in Deutschland betrachtet. Ergebnis der Studie, die das Potenzial nach 2018 erneut untersucht hat: „Wir reden von einer 42-Milliarden-Euro-Chance, von der alle im Gesundheitswesen profitieren könnten.“ 42 Milliarden Euro, die immerhin 12 Prozent der gesamten jährlichen Gesundheits- und Versorgungskosten von zuletzt 343 Milliarden Euro ausmachen könnten.
Flächendeckende Einführung der ePA
Das größte Potenzial böten dabei die elektronische Patientenakte (ePA) deren flächendeckende Einführung und Nutzung allein einen Nutzen in Höhe von sieben Milliarden Euro bringen könnte, aber auch Online-Interaktionen und -Terminvereinbarungen zwischen Arzt und Patient sowie die Fernüberwachung und -unterstützung chronisch Erkrankter. Ernüchternder side fact: In den vergangenen Jahren wurden von den potenziellen 42 Milliarden Euro nur rund 1,4 Milliarden Euro an Einsparungen realisiert.
Ein Instrument, dass durchaus auch für Zahnärztinnen und Zahnärzte interessant sein dürfte, ist etwa die Videosprechstunde. Deren Nutzung, darauf weist der Fachanwalt für Medizinrecht Jens Pätzold in seinem Beitrag hin, liegt allerdings nicht in der Abrechenbarkeit dieser Telemedizin-Leistung, sondern auf einer anderen Ebene.
Patienten wollen mehr Informationen
Die Patienten jedenfalls, so die Bertelsmann Stiftung, sind nicht nur reif für erweiterte digitale Möglichkeiten eines digitalisierten Gesundheitssystems, sondern verlangen geradezu mehr Informationen, um Gesundheitsdienstleitungen zielgerichteter nachfragen und abrufen zu können. Es sei deshalb wünschenswert, patientenrelevante Informationen genau dort bereitzustellen, wo sie im Versorgungsalltag auch wirklich benötigt werden. Dies am besten im Kontext eines digitalen Informations- und Leitsystems für Patientinnen und Patienten, das seriöse Transparenzangebote bündelt und sie als festen Bestandteil in Behandlungsabläufe integriert.
So gesehen eigentlich schade, dass wir in Deutschland noch diskutieren, wer für die Kosten der schon bald veralteten TI-Technik aufkommen muss. Dass sich die Begeisterung trotz all der Möglichkeiten der TI so sehr in Grenzen hält, ist da leider mehr als nachvollziehbar.