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Wer viel gibt, erwartet viel

Streit_im_Team

Boni und Teamevents sind kein Garant für gute Stimmung. Gewitterwolken können trotzdem aufziehen.

Alles richtig gemacht, denkt sich Linnea. In diesem Jahr hat sie die Weihnachtsfeier nicht selbst geplant und war dann frustriert von den nahezu gleichgültigen Gesichtern ihrer Mitarbeiter.

In diesem Jahr hat sie die Mitarbeiter über die Weihnachtsfeier entscheiden lassen. Es wurden gemeinsame Ideen entwickelt, diskutiert und das Team hat sich auf einen richtig schönen Ausflug mit Überraschungen geeinigt. Alle waren motiviert und engagiert, und schon die Vorbereitung war ein großer Spaß. Linnea hat sogar tief in die Tasche gegriffen, damit es unvergessliche Tage werden.

Eine unvergessliche Weihnachtsfeier?

Herausgekommen ist eine Fahrt nach München zum Weihnachtsmarkt. Die Überraschung war, dass jeder zwei Stunden an diesem Wochenende für die anderen gestaltet – als kleines Weihnachtsgeschenk für das Team. Deswegen waren alle sehr erwartungsvoll. Zum einen, weil sie der Freude der anderen zu ihrer eigenen Idee entgegensahen, und weil sie natürlich gespannt darauf waren, was sich die Kolleginnen ausgedacht haben. Nur Linnea war in die Pläne eingeweiht, um Doppelungen zu verhindern. Die Stimmung war gleichermaßen betriebsam wie geheimnistuerisch, es gab lediglich eine Abstimmung zu den Entfernungen, damit alle kleinen Programmpunkte gut erreichbar sind. Ein schöner Plan, der normalerweise auch zu einem sehr guten Ergebnis führt: Eine unvergessliche Weihnachtsfeier.

Freitagvormittag, kurz vor der Abreise, gab es dann in der Praxis noch eine Auseinandersetzung zwischen Linnea und einer Mitarbeiterin – eine Kleinigkeit. Damit wollte sich Linnea aber nicht mehr belasten, denn München stand vor der Tür und alle freuten sich, endlich in den Zug einsteigen zu können und die gemeinsame Zeit zu genießen – und natürlich die Früchte ihres Engagements zu pflücken.

Linnea genoss die Fahrt, freute sich an dem guten Miteinander und bemerkte vielleicht zu spät, dass sich diese eine Kollegin absonderte. Gefangen in den Gesprächen und der guten Stimmung der anderen, entging es ihr, dass diese Mitarbeiterin nach und nach die anderen in ihrer Stimmung nach unten zog. Und im Lauf des Wochenendes in München wurde trotz guter Planung und vieler lustiger Ideen die Stimmung immer schlechter. Sehr schade.

Wieder zu Hause dachte Linnea: Nie wieder fahre ich mit diesem Team weg. Da will ich ihnen etwas Besonderes bieten, ich nehme Kosten und Mühen in Kauf, wir bereiten alles wunderbar vor, und dann gelingt es einer Person, die Stimmung negativ zu beeinflussen. Nicht nur, dass wir ihr genervtes Gesicht ertragen mussten, tatsächlich verschlechterte sich nach und nach auch bei den anderen die Laune.

Erwartungen und Wunschdenken

Linnea ist enttäuscht. Sie hatte sich einen Motivationsschub erhofft. Sie hat daran geglaubt, dass ein Teamevent allen gut tut. Und sie ist sehr traurig, dass nicht die erhoffte Freude aufgekommen ist. Und das geht nicht nur Linnea so. Viele Praxisinhaber versuchen sehr viel für ihre Mitarbeiter zu tun. Sie planen kleine, manchmal auch größere Reisen, sie kochen zusammen, sie geben großzügig frei, wenn in den Familien eine Notsituation eintritt, sie gewähren Zuschüsse, Vorschüsse, Prämien, sie tun alles dafür, dass ihr Team zufrieden ist und der Praxisablauf reibungslos funktioniert.

Mit ihrer Großzügigkeit schaffen sie neben guten Erlebnissen auch zwei Dinge, die oft aus dem Sichtfeld verschwinden: Sie gewöhnen Mitarbeiter an Leistungen und Unterstützung, die außergewöhnlich sind, und so zu Selbstverständlichkeiten werden. Und sie schaffen sehr hohe Erwartungen. Bei den Mitarbeitern genauso wie bei sich selbst. Und dieses Gewöhnen an einen Top-Zustand und die hohen Erwartungen fallen ihnen dann manchmal auf die Füße.

Mit dem, was man investiert, steigen die Erwartungen, die dann womöglich nicht mehr erfüllbar sind. Wer also mit dem Team reist, damit dieses im Anschluss fehlerfrei arbeitet, wird enttäuscht werden. Denn der Schluss: Wenn ich so großzügig bin und investiere, werden sich die Mitarbeiter mehr anstrengen, gelingt nicht immer. Und vielleicht liegt es gar nicht am guten Willen oder Motivation, sondern schlichtweg an der Kompetenz oder an der Komplexität der Aufgabe, die den einen oder anderen überfordert. Da würde auch ein Ausflug nach Hawaii nichts nützen. Wer also mit dem Team reist, sollte es deswegen tun, weil er Lust dazu hat und gerne mit den Personen Zeit verbringt, um sie auch ein Stückchen besser kennenzulernen. Abgeleitete Erwartungen für den Praxisalltag sind Wunschdenken.

Linnea jedenfalls musste feststellen, dass sie selbst am Freitag vor Abfahrt der Mitarbeiterin gegenüber nicht aufmerksam war und ihr ein Feedback gegeben hat, das diese nicht verkraftet hat. Anstatt die Missstimmung, die vor Reiseantritt bestand, aus der Welt zu schaffen, war sie so fokussiert auf das Gelingen der Reise, dass sie die Traurigkeit der Mitarbeiterin übersehen hat. Und vermutlich hat sie nicht damit gerechnet, dass sich diese das ganze Wochenende hält und alle anderen ansteckt. Sie hat einfach erwartet, dass alles schön wird und in den Alltag hinein wirkt.

Schön ist das natürlich nicht, und man könnte auch die Haltung haben „Warum lässt die Mitarbeiterin sich so gehen und verdirbt allen das Wochenende?“. Ja, und damit hat man nicht ganz unrecht. Denn wenn man so viel investiert, kann man zumindest ein friedfertiges Mitmachen erwarten. Allein für die anderen Teammitglieder hätte sie sich zusammenreißen müssen. Und da ist sie schon wieder, die Erwartung. Man kann auf eine gute Stimmung hoffen und sich wünschen, dass diese in den zukünftigen Arbeitsalltag ausstrahlt. Aber kann man das wirklich erwarten?
Unterstellen wir mal, dass es sich hier eher um Unvermögen als um eine negative Absicht handelt, dann lernt man als Praxisinhaber daraus, dass es Menschen im Team gibt, die ihre Gefühle nicht gut steuern können und deswegen Unterstützung benötigen.

Erwartungen aufgrund von energetischen oder finanziellen Investitionen reichen hier nicht aus. Es geht vielmehr darum, etwas miteinander zu gestalten – einfach deswegen, weil es Freude macht. Einen aufmerksamen Umgang ersetzt eine Investition nicht. Und das ist eindeutig Aufgabe der Chefin.


Zur Person

Dr. Susanne Klein ist Psycholinguistin und berät und coacht seit 1993 Führungskräfte. Seit 15 Jahren bildet sie international zertifizierte Führungscoachs aus, ist Keynote-Speakerin und Autorin. Dr. Susanne Klein ist Kooperationspartnerin und Referentin in der Pluradent-Akademie für das Thema „Praxisführung“ und führt Coachings von Praxisinhabern und Teams durch. Susanne Klein ist als Beraterin beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausführkontrolle (Bafa) gelistet. Das Bafa fördert ihre Beratungen. Kontakt: info@susanne-klein.net