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Feigenblatt statt nachhaltiger Prävention – ein Armutszeugnis

Der Kommentar von Chefredakteur Marc Oliver Pick

Im Nachhinein wirkt er mehr als großspurig, der Titel, der vorgab, die Richtung des Koalitionsvertrags vorwegzunehmen: „Mehr Fortschritt wagen“. Was davon in Sachen Gesundheit und Prävention übrig bleibt, ist im jüngst beschlossenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetz nachzulesen.

Seit Juli 2021 bestand Hoffnung für die rund 30 Millionen Patienten in Deutschland mit einer behandlungsbedürftigen parodontalen Erkrankungen, Hoffnung vor allem auch für die 12 Millionen Patienten mit schweren Formen der Parodontitis. Damit ist jetzt für weite Teile der Patienten erst einmal Schluss. Es bleibt bei dem am vergangenen Donnerstag im Bundestag beschlossenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Damit treten die alten Verhältnisse (fast) wieder ein, wir sind (fast) wieder da, wo wir im Juli 2021 schon einmal waren. Ausnahme ist immerhin die Gruppe der vulnerablen Patienten, die auch weiterhin nach der PAR-Richtlinie betreut und behandelt werden können – gut, aber nicht mehr als ein Feigenblatt.

Bekämpfung der „Volkskrankheit“ Parodontitis

Oft ist im vergangenen Jahr zu Recht von einem „Meilenstein“ in der Prävention gesprochen worden. Von der besonderen Tragweite dieser langwierig verhandelten, aber wissenschaftlich gut begründeten Behandlungsrichtlinie. Von einer schließlich in dieser Form noch nicht dagewesenen umfassenden und nachhaltig gestal­teten Behandlungsstrecke zur nachhaltigen Bekämpfung der „Volkskrankheit“ Parodontitis.

Heute mutet es wie Hohn an, dass die als „Langstreckenlauf“ apostrophierte Paro-Behandlungsstrecke schon für beendet erklärt wird, bevor die erste Meile überhaupt erfolgreich zurückgelegt werden konnte. Um im Bild zu bleiben: Glücklich, weil bestens versorgt und betreut, wird kaum ein Patient die Ziellinie erreichen können.

PAR-Richtlinie als vorbildliches Konzept gelobt

Noch auf der Europerio 10 im Frühsommer in Kopenhagen wurde „unsere“ PAR-Richtlinie als vorbildliches Konzept gelobt. Jetzt wurde sie nach etwas mehr als einem Jahr ihrer Umsetzung durch einen zu kurz gedachten Sparzwang in eine Karikatur ihrer selbst verwandelt. Blindes Sparen im Bereich Prävention bedeutet eigentlich, Geld mit vollen Händen zum Fenster rauszuwerfen – zumindest dann, wenn man über den Tellerrand der nächsten Jahre hinausblickt.

Denn eines ist klar: Auf Dauer wird das Gesetz gewordene kurzfristige Spardiktat das Gesundheitssystem noch richtig Geld kosten, Geld zur Behandlung all der mit Parodontitis assoziierten Allgemeinerkrankungen wie Dia­betes, cardiovaskulären und demenziellen Erkrankungen bis hin zum – möglicherweise sehr kurzfristig zu beobachtenden – Effekt einer verminderten Immunantwort auf eine immer noch sehr wahrscheinliche Corona-Infektion – mit kurzfristig unangenehm hohen Kosten und drohenden Kapazitätsengpässen.

Hohen Kosten und drohende Kapazitätsengpässe

Auch so richtig nachhaltig ist das frisch beschlossene Gesetz wahrlich nicht, denn es ist wenig bis gar nicht geeignet, die finanziellen Probleme des Gesundheitssystems in den Griff zu bekommen, von den strukturellen Problemen ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass die Oppositionsparteien erwartungsgemäß griffige Formeln für die das GKV-FinStG verantwortende Ampelkoalition fanden: „Flickschusterei ohne nachhaltigen Effekt“, „gesundheitspolitische Wüste“ und „deutsches Gesundheitssystem auf der Intensivsta­tion“ – dem ist nicht viel hinzuzufügen.

Mehr Fortschritt wagen, das war gestern. Die einen wittern Kosten, wo andere Investitionen sehen. Fortschritt im Gesundheitswesen bedeutet aber, Geld in die Hand zu nehmen und in die Zukunft zu investieren – oder wenigstens in die Gesundheit. Das GKV-FinStG steht leider für das genaue Gegenteil.

So gesehen ist die vergangene Woche mit der im GKV-Finanzstabiliserungsgesetz beschlossene Budgetierung der Parodontitis-Therapie versorgungspolitisch ein schwarzer Tag für die Prävention und die Patientengesundheit in Deutschland.