Alles könnte so schön sein – wie im Ländle. Die KZV Baden-Württemberg stellt derzeit die Ergebnisse ihrer Versichertenbefragung vor, und die können sich wirklich sehen lassen. „98 Prozent der Versicherten sind zufrieden bis äußerst zufrieden mit ihrem Zahnarzt“, heißt es da. Oder: „87 Prozent der Versicherten ist es wichtig, immer vom selben Zahnarzt betreut zu werden“ und „neun von zehn der Versicherten im ländlichen Raum sind zufrieden mit der wohnortnahen Zahnarztversorgung.“ Die baden-württembergische KZV-Vorstandsvorsitzende Dr. Ute Maier ist sichtlich zufrieden und betont: „Unser Bericht belegt, dass die Situation landesweit überwiegend gut bis sehr gut ist.“ Es steht gut um Baden-Württemberg. Um ganz Baden-Württemberg?
Z-MVZ als drohende Gefahr
Frau Maier ist eine besonnene Person und sieht dräuende Wolken am zahnärztlichen Horizont. In einem offenen Brief an ihren Landesminister warnt sie vor der Ausbreitung der zahnärztlichen MVZ (Z-MVZ): „Es wäre für die Versorgung der Bevölkerung in Baden-Württemberg abträglich, wenn Investoren durch das Land ziehen und eine ‚Zahnarzt-Fabrik‘ nach der anderen in den wirtschaftsstarken Ballungsräumen eröffnen und die Versorgungssituation in eher strukturschwachen Gebieten verschärfen. Diese ungebremste Entwicklung bringt ein gut austariertes System, das seit Jahrzehnten eine exzellente Versorgung sicherstellt, ins Wanken.“
Krachiger kommen da die Kollegen der KZV Westfalen Lippe rüber, schließlich sind sie dort auch Experten für den ländlichen Raum. In ihrem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister und Münsterländer Jens Spahn warnen sie, mit den Z-MVZ käme es zu einer „Zeitenwende“. Sie orakeln: „Die bewährten bestehenden Praxen versucht man aufzukaufen – unter dem Deckmantel einer Netzwerkbildung. So sollen Großstrukturen bisher unbekannten Ausmaßes gegründet werden, die die selbstständigen, freiberuflichen und eigenverantwortlich tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzte vom Markt drängen werden. Kommerzialisierung ersetzt Eigenverantwortung der selbstständigen freiberuflichen Zahnärzteschaft, unsere Patienten werden zur Einnahmequelle dieser Großinvestoren.“ Mit den Worten „Deckmantel“, „unbekannten Ausmaßes“ und „Großstrukturen“ wird die Z-MVZ-Problematik sprachlich fast schon im kriminellen Milieu situiert.
Der Vorsitzende des Vorstands der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer, äußert sich selbstredend auch dazu: „Wer jedoch den Ausverkauf zahnmedizinischer Versorgung an renditeorientierte Finanzjongleure und Spekulanten nicht stoppt, ist dafür verantwortlich, dass die mehr als 60 Jahre durch KZBV und Kassenzahnärztliche Vereinigungen sichergestellte flächendeckende, wohnortnahe und qualitätsgesicherte Versorgung unwiderruflich ruiniert wird. Es kann nicht sein, dass Großinvestoren und Private Equity-Fonds über den Erwerb von zumeist maroden Krankenhäusern, die keinerlei fachlichen oder räumlichen Bezug zur zahnmedizinischen Versorgung aufweisen, in großem Stil und ungehindert Zahnarzt-MVZ aufkaufen oder gründen können. Die ausgezeichnete Versorgung in Deutschland darf nicht einfach irgendwelchen Renditegelüsten geopfert werden.“ Auch hier ist die sprachliche Einordnung spannend. Investoren werden zu „Finanzjongleuren“ mit „Renditegelüsten“ – also skrupellosen und amoralischen Wesen, denen jedwede Fürsorge abgeht.
Der Bundesgesundheitsminister antwortet der KZV WL: „Ihre Ausführungen zu Fremdkapitalgebern und Finanzinvestoren [...] werden hier sehr ernst genommen. Vor diesem Hintergrund erarbeitet die Fachabteilung des BMG Vorschläge für die Weiterentwicklung der Regelungen zu den MVZ.“
Wessen Interessen werden eigentlich vertreten?
Treten wir zurück und atmen eine Brise frischer Landluft und beschauen uns einmal die Situation von außen.
Zum einen sind da Zahnarztpraxen im ländlichen Raum, die keinen Nachfolger finden. Also, was tun? Rumpelstilzchenhaft auf den Boden stampfen, bis doch ein Nachfolger kommt? Oder vielleicht doch an einen Investor verkaufen? Das Online-Portal „B4B-Schwaben“ berichtet von der Ulmer Z-MVZ Opus DC, das vom Zahnärzteehepaar Drs. Weiß geführt wird und Zahnarztpraxen auf dem Land erwirbt. „Die Praxen auf dem Land bleiben den Patienten erhalten, nur Management und Verwaltung wandern nach Ulm“, erklärt Dr. Michael Weiß. Zahnärzte können ihre Praxis verkaufen und weiterhin als angestellte Zahnärzte tätig bleiben, bis sie in den Ruhestand gehen. Ein Modell, das für viele ländliche Regionen passt. Zum anderen sind da die jungen Zahnärzte, die das Risiko der Investitionen, den hohen Verwaltungsaufwand und die zeitliche Belastung scheuen, sich niederzulassen. Viele wollen als angestellte Zahnärzte beschäftigt sein und treffen ihre eigene Lebensentscheidung. Sie wollen keine Praxis übernehmen.
Derzeit gibt es rund 550 Z-MVZ. Ulrich Sommer, Vorstandsvorsitzender der ApoBank, analysiert in der „ZM“ vom 16. August 2018 die Situation sachlich und aus ökonomischer Perspektive als Schritte auf dem Weg in eine „quasi-industrielle Leistungserbringung im zahnärztlichen Bereich. Aus den herkömmlichen Praxisformen entstehen zahnmedizinische Unternehmen, die in zunehmend differenzierten, arbeitsteiligen Strukturen in formal durchgestalteten Prozessen industriell Gesundheitsleistungen erbringen“. Sommer plädiert dafür, neue Lösungsansätze zu entwickeln, „dann können wir den Wandel mitgestalten und in die richtige Richtung lenken“.
Prof. Dr. Fouad Khoury hat jüngst seine Privatklinik Schloss Schellenstein an einen Finanzinvestor mit Sitz in Bahrein verkauft. Im DZW-Interview (DZW 34–35/2018, S. 16) zieht er eine positive erste Bilanz der Zusammenarbeit: „Investcorp ist ein solides Unternehmen mit sehr guten Referenzen. Sie hat über drei Jahrzehnte vielen erfolgreichen Unternehmen zu Wachstum verholfen, und ihr deutsches Team hat über zwei Jahre eine umfangreiche Analyse des medizinischen und zahnmedizinischen Markts durchgeführt, und daraus ist Acura entstanden, also eine Win-win-Situation: Das Ziel ist nicht nur, sehr gute Praxen zu kaufen, sondern auch die Praxisinhaber aktiv in die Konzepte der Firma mit einzubinden. Sie möchten den Kollegen in ihren Praxen helfen, noch bessere Qualität liefern zu können. Durch Abnahme der Verwaltungs- und Bürokratiearbeit kann sich der Zahnarzt wieder auf seinen Beruf konzentrieren – und so bei gleichem Zeitaufwand mehr Patienten optimal versorgen.“ Die angeblichen Blutsauger und Heuschrecken sind vielleicht auch an Qualität und langfristigen Investitionen interessiert, denn das Geld im Gesundheitssektor fließt stetig, auch wenn die übrige Konjunktur schwächelt.
Standesvertretung als Gründungsberechtigte?
Die KBV entwirft in ihrer Stellungnahme zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ein weiteres Modell: „Die entworfenen Regelungen im Bereich des MVZ begründen in Teilbereichen erhebliche Sorgen der KBV. Zu befürchten ist, dass Netze mit dieser Regelung Gegenstand unternehmerischer Strategien werden, die die Versorgung ganzer Gebiete unter Kontrolle bekommen wollen. Insofern ist die Gründung von Einrichtungen von Netzen im Einklang mit der KV gemäß Paragraf 105 Absatz 5 SGB V der geeignetere Weg, um die Versorgung in unterversorgten Gebieten zu stärken. Zielführender wäre insofern, die KVen selbst in den Kreis der Gründungsberechtigten aufzunehmen, die dadurch den Weg junger Ärzte in die Selbstständigkeit begleiten könnten.“ Liegen solche Pläne vielleicht auch bei der KZBV in der Schublade?