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Plaque per se ist nicht kariogen

Dr. Lutz Laurisch

Am 28. und 29. Oktober findet in Marburg der 2. Deutsche Präventionskongress der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM ) statt. Dr. Lutz Laurisch gibt exklusiv Einblicke zu seinem Vortrag über Speicheldiagnostik in der zahnärztlichen Praxis.

Herr Dr. Laurisch, Speicheldiagnostik in der Zahnarztpraxis wird in vielen Praxen routinemäßig angewendet. Wann besteht hierfür eine Indikation?

Laurisch: Heute weiß man, dass nicht die Plaque per se für das Kariesrisiko bestimmend ist, sondern ihre Zusammensetzung und ihr Gehalt an säurebildenden Keimen. Die alleinige Entfernung der Plaque durch professionelle Reinigungsmaßnahmen wird der Komplexität der Plaque-Genese nicht gerecht.

Aber haben Langzeituntersuchungen zum Beispiel von dem kürzlich verstorbenen P. Axelsson nicht gezeigt, dass solche Reinigungsmaßnahmen vollständig ausreichen können?

Laurisch: Bei der Beantwortung dieser Frage sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dieser Zeit zu berücksichtigen. Im Jahr 1960 setzte sich die Überzeugung durch, dass grundsätzlich die bakterielle Plaque die Hauptursache für die Entstehung von Karies und Parodontitis darstellt. Die sich hieraus ergebene therapeutische Konsequenz bestand dann logischerweise in der regelmäßigen Entfernung dieser Plaque.

Dies gelang Axelsson dadurch, dass in den ersten zwei Jahren die Patienten alle zwei Monate, vom dritten bis sechsten Jahr alle drei Monate und danach in bedarfsorientierten Intervallen von drei bis zwölf Monaten zur professionellen Zahnreinigung einbestellt wurden. Dies konnte natürlich nur gelingen durch eine hohe Patientenbindung an dieses Prophylaxeprogramm.

Es ist klar, dass diese Intensität der präventiven Betreuung in der Zahnarztpraxis nicht umsetzbar ist, deshalb wies schon Axelsson darauf hin, dass eine Risikobestimmung notwendig ist, um bedarfsorientiert und wirtschaftlich behandeln zu können.

Wo sehen Sie genau den Ansatzpunkt für die Speicheldiagnostik?

Laurisch: Speicheldiagnostik – also Bestimmung der SM- und LB-Zahlen, gibt orientierende Hinweise darauf, wie wir die individuelle Zahngesundheit des Patienten einschätzen können. Hierbei machen wir uns zunutze, dass der Gehalt an SM und LB im Speichel mit der Menge an SM und LB in der Plaque korreliert.

Oft finden sich – aus unterschiedlichen Gründen – in solchen Fällen auch ungünstige funktionelle Speichelparameter: also ein verminderter pH Wert des Speichels, eine verminderte Sekretionsrate und eine schlechte Pufferkapazität. Bei der Verwendung des KariesScreenTest + P können sowohl die bakteriellen als auch die funktionellen Risikoparameter bestimmt werden.

Anstelle der von Hannig und Rupf geforderten „individuellen Beurteilung des oralen Mikrobioms in Kombination mit klinischen Parametern zur Früherkennung von Individuen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko“ reduziert man sonst ohne genauere Diagnostik die Prävention zu einer rein mechanistisch-lokalistischen Maßnahme.

Was bedeutet dann diese veränderte Sichtweise für ein präventives Behandlungskonzept?

Laurisch: Die heute allgemein gültige erweiterte ökologische Plaquehypothese besagt, dass sich durch kontinuierliche regelmäßige Zuckerzufuhr die Zusammensetzung der Plaque verändert. Neben den bekannten Leitkeimen Streptococcus mutans und Laktobazillen gibt es noch weiter in der Plaque vorhandene Keime, die Säure – wenn auch in geringerer Menge – produzieren können. Diese sind aber in einem homöostatischen Zustand der Plaque zahlenmäßig nur gering vertreten. Durch erhöhte Zuckerzufuhr kommt es zu einer Vermehrung dieser Keime. Dadurch wird sukzessive das pH Niveau in der Plaque abgesenkt und so ein Milieu geschaffen, welches Mutansstreptokokken und Laktobazillen ideale Bedingungen für ihre eigene Vermehrung bildet. Sie nehmen zahlenmäßig stark zu – wie Conrad es einmal ausdrückte: Sie überwuchern das System.

Was bedeutet das in der Konsequenz?

Laurisch: Der Nachweis von hohen Keimzahlen von Streptokokkus mutans und Laktobazillen weist darauf hin, dass in der Plaque ein dysbiotischer Zustand vorliegt. Hier ist zu berücksichtigen, dass viele in der Plaque vorhandene potentielle Säurebildner durch kontinuierliche Absenkung des pH Wertes erst die Rahmenbedingungen für diese hohen Keimzahlen geschaffen haben. Liegt dieser Zustand erst einmal vor, wird die wichtigste Eigenschaft von SM, nämlich die Produktion von extrazellulären Polysacchariden, ein „big player“ bei der weiteren Entwicklung der individuellen Kariesaktivität.

Welche Unterschiede ergeben sich in der präventiven Betreuung unter Berücksichtigung von Ergebnissen der Speicheldiagnostik?

Laurisch: Der wichtigste Unterschied ist der, dass eine klare Diagnose vorliegt, die weit über die bisherige Diagnose – es ist Plaque vorhanden – hinausgeht. Aufgrund der ermittelten Befunde etabliert sich so eine Diagnose-basierte Individualprophylaxe (DIP). Die ermittelten zusätzlichen Befunde sind klinisch unsichtbar. Sie formen aber die Grundlage für weitergehende präventive Maßnahmen, die jetzt diagnosebasiert durchgeführt werden können - wie die Ernährungsberatung zur verbesserten Ernährungssorgfalt, Maßnahmen zur Sekretionssteigerung, Beeinflussung der Pufferkapazität, antibakterielle Maßnahmen häuslich oder professionell usw.

Erneute Speicheldiagnostik gestattet es weiterhin, die Veränderungen des Befundes zu dokumentieren. Wir haben damit ein Instrument, sowohl die Patienten-Compliance als auch die Wirksamkeit unserer professionell durchgeführten Maßnahmen zu kontrollieren.

Nicht zuletzt ist es wichtig sich klarzumachen, dass es für die erfolgreiche präventive Betreuung nicht ausreicht, alle genannten Risikoparameter zu erheben: Viel wichtiger ist es zu verstehen und nachzuvollziehen, warum diese Risikofaktoren präsent sind. Allein dieses Verständnis hilft, individuelle präventive Konzepte zu erarbeiten, gemeinsam mit dem Patienten umzusetzen und entsprechend in ihrer langfristigen Wirksamkeit zu überprüfen. Und gerade hierzu ist eine Speicheldiagnostik, die sowohl bakterielle und funktionelle Speichelparameter ermittelt, eine wertvolle Hilfe, die es uns zugleich ermöglicht, den Gesundheits- oder Krankheitszustand eines Patienten besser einordnen zu können.

Vielen Dank für das Gespräch