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Antibiotika und Tests bei Parodontitis

Das von Prof. Arweiler vorgestellte Konzept umfasst – neben klinischen Befunden – bei hohem Anteil an Actinomyces actinomycetemcomitans (A. a.) den Einsatz des „Winkelhoff-Cocktails“.

Das von Prof. Arweiler vorgestellte Konzept umfasst – neben klinischen Befunden – bei hohem Anteil an Actinomyces actinomycetemcomitans (A. a.) den Einsatz des „Winkelhoff-Cocktails“.

Sorgfältige parodontale Belagentfernung – und vor allem eine gute Mundhygiene – sind die Basis jeder erfolgreichen Therapie. Laut Prof. Dr. Nicole Arweiler beim Präventions-Forum in der Haranni Academie (Herne) greift bei einer großen Patientenmehrheit und in den meisten entzündeten Taschen ein konservatives Konzept. Dieses beginnt am Universitätsklinikum Gießen-Marburg nach der Vorbehandlung mit zügig angewendetem Ultraschall und guter Spülung mit Wasser. Anschließend werden Handinstrumente eingesetzt, um mit der besseren taktilen Kontrolle verbleibende Konkremente „aufzuspüren“. Die abschließende Glättung der Wurzeloberflächen erfolgt mit „wenigen Zügen“. Soweit nicht viel Neues.

Um Rezessionen, empfindliche Wurzeloberflächen und Zahnsubstanzverluste zu vermeiden, werden tiefe oder andere schwierig zugängliche Bereiche bei ausbleibendem Erfolg nicht mehr intensiv instrumentiert. Hintergrund sei, dass pathogene Bakterien tief in Dentin und Wurzelzement einwandern und mit Oberflächenbearbeitung nicht erreichbar sind. Daher setzen Arweiler und Mitarbeiter in der Regel auf antibakteriell wirkende Begleittherapien.

Bei einzelnen Resttaschen ist in Marburg ein lokales antibiotisches Depotpräparat erste Wahl (Ligosan Slow Release). Wie der Name sagt, setzt das gelartige Trägermaterial den Wirkstoff Doxycyclin über einen längeren Zeitraum frei (mehr als 24 Stunden). Blutungen und Taschentiefen lassen sich so vor allem in der Nachsorge (UPT) gezielt reduzieren. Die Empfehlung wird in aktuellen Leitlinien grundsätzlich bestätigt [1, 2]. Zusätzlich spülen Patienten zu Hause mit Chlorhexidin (0,2 Prozent) oder Lösungen auf der Basis von ätherischen Ölen (zum Beispiel Listerine) oder Zinnfluorid (zum Beispiel Meridol). Im Gegensatz zu den Leitlinien bewertet Arweiler auch die photodynamische Therapie positiv.

Systemische Antibiose – Timing und Dosierung

Während lokale Antibiotika primär in der Nachsorge eingesetzt werden, kommen systemische Präparate, wenn erforderlich, möglichst frühzeitig im Rahmen der Initialtherapie als „adjuvante Maßnahme“ zum Einsatz [1, 2]. Entsprechend der deutschen Leitlinie zum Thema ist die Indikation von Alter und klinischem Bild abhängig [1]. Eine systemische Antibiose ist demnach bei Patienten unter 35 Jahren mit „aggressiver Parodontitis“ angezeigt (moderate Evidenz), nicht jedoch über 56 Jahren und weniger als einem Drittel Taschenanteil über 5 mm [1]. Die im Juli dieses Jahres vorgestellte europäische Leitlinie empfiehlt dagegen eine adjuvante systemische Antibiose nur für „junge“ Erwachsene mit generalisierter Parodontitis (Progressionsgrad III) [2]. Von einer routinemäßigen Anwendung wird wegen des individuellen Risikos und schwerwiegender Folgen für die öffentliche Gesundheit (Resistenzen) ausdrücklich abgeraten.

Das von Arweiler in Herne vorgestellte Konzept umfasst – neben klinischen Befunden – bei hohem Anteil an Actinomyces actinomycetemcomitans (A. a.) den Einsatz des „Winkelhoff-Cocktails“ aus Amoxicillin und Metronidazol, dreimal täglich über einen Zeitraum von sieben Tagen (bei Rauchern zehn Tage). Die Dosierung sollte dabei individuell abgestuft je nach Empfindlichkeit und Anzahl der Keime, dem Schweregrad der Infektion und dem Körpergewicht des Patienten erfolgen. Als Ergebnis könnten um 1 bis 2 Millimeter (mm) reduzierten Taschentiefen und weniger Taschen über 4 mm erwartet werden.

Widersprüchliches zu mikrobiologischen Tests

Die als Kriterium für eine systemische Antibiose genannte hohe Keimzahl ist laut Arweiler klinisch nicht immer sichtbar. Daher werden in Marburg mikrobiologische Tests „als Entscheidungshilfe“ eingesetzt, trotz Nicht-Empfehlung in der deutschen Leitlinie („keine therapeutische Konsequenz ableitbar“) [1]. Sie seien zwar keine primären Diagnostika. Wenn eine Therapie keine Wirkung gezeigt habe, könnten sie jedoch eine erneute Infektion nachweisen und die Indikation für eine systemische Antibiose unterstützen. In der Diskussion ergänzte Arweiler, dass die Tests zudem als „Motivationsmittel“ gegenüber dem Patienten dienen könnten.

Arweilers Sichtweise wurde in Herne von weiteren Referenten im Prinzip bestätigt. In Deutschland verwenden nach einer anonymen Online- Umfrage immerhin 28 Prozent der Teilnehmer einen mikrobiologischen Test [3]. Der Anteil parodontologisch spezialisierter Zahnmediziner war in der Umfrage überrepräsentiert.

Dr. Jan H. Koch, Freising