Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der KZBV: „Mit der neuen PAR-Richtlinie wird die parodontologische Versorgung ab dem 1. Juli 2021 auf eine neue Grundlage gestellt.
PAR-Richtlinie zeigt, dass Selbstverwaltung funktionieren kann
Wir Zahnärzte bekommen dann endlich in den Praxen die notwendigen Instrumente an die Hand, um den jahrelangen Stillstand in der Parodontitistherapie zu beenden. Unsere Vorstellungen einer zeitgemäßen Versorgung auf diesem Gebiet haben wir als Zahnärzteschaft gemeinsam mit der Wissenschaft bereits vor Jahren klar formuliert: Wir brauchen die sprechende Zahnmedizin, um Patientinnen und Patienten in der Therapie ‚mitzunehmen‘ und um die Mundgesundheitskompetenz zu stärken. Wir müssen die Ergebnisse der Therapie evaluieren können. Ebenso müssen wir den Behandlungserfolg durch eine unterstützende Parodontitistherapie nachhaltig sichern.
Die zahnmedizinische Wissenschaft hat zuletzt große Fortschritte sowohl in der Erforschung als auch in einer effektiven, nachhaltigen Behandlung der Volkskrankheit Parodontitis gemacht. Parodontale Erkrankungen sind nach wie vor die Hauptgründe für den Verlust von Zähnen bei Erwachsenen. Nach aktuellen Berechnungen sind allein in Deutschland fast 12 Millionen Erwachsene von einer schweren parodontalen Erkrankung betroffen. Die Zusammenhänge von Parodontitis mit zahlreichen Erkrankungen des Gesamtorganismus wie Diabetes mellitus, koronaren Herzerkrankungen, Schlaganfall und rheumatoider Arthritis zeigen, dass es sich keineswegs um eine Bagatellerkrankung handelt.
In der gesetzlichen Krankenversicherung ist die systematische Behandlung von Parodontitis jedoch seit Jahrzehnten unverändert geblieben. Die bisherige Behandlungs-Richtlinie war völlig veraltet und die Lücke zwischen einer „state of the art“-Versorgung und den GKV-Leistungen klaffte immer weiter auseinander.
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung hat sich daher bereits seit Jahren dafür eingesetzt, dass gesetzlich Versicherte eine Parodontitistherapie bekommen, die dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse entspricht.
Nach langen, intensiven und oft harten Verhandlungen im Gemeinsamen Bundesausschuss haben wir mit der Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen diese Lücke in der Versorgung endlich geschlossen. Gelungen ist uns das mit einer klaren Zielvorstellung, zäher Verhandlungstaktik und dem bereits erwähnten, engen Schulterschluss mit der Wissenschaft. Bei all unseren Bemühungen standen die Patienten immer im Mittelpunkt und damit die Frage, wie ihre Versorgung nachhaltig verbessert werden kann.
Die neue Behandlungsstrecke
Die Inhalte der neuen Richtlinie setzen auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der neuen Klassifikation parodontaler Erkrankungen der Fachgesellschaften auf. Die Erkrankung kann auf dieser Grundlage künftig mit umfassenden, am individuellen Bedarf der Patienten ausgerichteten Maßnahmen bekämpft werden. Sie erhalten im Zusammenhang mit der eigentlichen antiinfektiösen Therapie künftig eine individuelle Mundhygieneunterweisung, die in einem eigenen Therapieschritt um ein parodontologisches Aufklärungs- und Therapiegespräch ergänzt wird. Das schafft ein Verständnis für die Auswirkungen der Erkrankung und stärkt zugleich die Mitwirkung der Versicherten. Die ‚sprechende Zahnmedizin‘ in der Parodontitistherapie findet damit erstmals Eingang in die GKV-Versorgung. Die Maßnahmen dienen dazu, die Mundhygienefähigkeit und Gesundheitskompetenz zu erhöhen und Patienten aktiv in die Therapie einzubinden.
Neben dem verbesserten therapeutischen Ansatz haben wir auch der Früherkennung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Wir haben den Parodontalen Screening Index als echtes Screeninginstrument ausgestaltet und an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst. So bekommen Zahnärzte nunmehr ein wirksames Instrument der Früherkennung an die Hand.
Die unterstützende Parodontitistherapie, kurz UPT hat einen zentralen Stellenwert – nicht zuletzt im Hinblick auf die nachhaltige Sicherung des Behandlungserfolgs. Sie ist ein wesentlicher Therapieschritt, um die Ergebnisse der antiinfektiösen und gegebenenfalls chirurgischen Therapie zu sichern, die Patientenmotivation und die Aufrechterhaltung der Mundhygiene zu fördern, zu erhalten und nicht befallenes Gewebe gesund zu halten. Neu- und Reinfektionen in behandelten Bereichen können erkannt und bestehende Erkrankungen eingedämmt werden.
Die UPT besteht aus einer Mundhygienekontrolle, wenn erforderlich einer erneuten Mundhygieneunterweisung, der vollständigen Reinigung aller Zähne von Biofilmen und Belägen, je nach Grading erneuten Messungen von Sondierungstiefen der Zahnfleischtaschen und Sondierungsbluten sowie gegebenenfalls erneuter subgingivaler Instrumentierung an den betroffenen Zähnen und – ab dem zweiten Jahr – einer jährlichen Untersuchung des Parodontalzustands. Diese Maßnahmen sollen für einen Zeitraum von zwei Jahren regelmäßig erbracht werden. Die Häufigkeit richtet sich dabei nach dem festgestellten Grading im Rahmen der Ersterhebung zu Beginn der Therapie und liegt zwischen ein- und dreimal pro Jahr. Es besteht auch die Möglichkeit einer Verlängerung der UPT. Voraussetzung ist die Genehmigung der Kasse.
Versicherte haben mit der UPT künftig also in einem Zeitraum von zwei Jahren nach Abschluss der aktiven Behandlungsphase einen verbindlichen Anspruch auf eine strukturierte Nachsorge, die bedarfsgerecht an das individuelle Patientenrisiko angepasst wird. Ihr geht dabei erstmals auch eine zielgerichtete Evaluation der Ergebnisse der aktiven Behandlungsphase voraus.
Unterstützung für vulnerable Gruppen
Auch besonders vulnerable Gruppen sollen künftig einen gleichberechtigten und barrierearmen Zugang zur Parodontitistherapie im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung erhalten. Auf Grundlage einer entsprechenden Behandlungsrichtlinie soll für diese Versicherten ab Juli die Möglichkeit einer bedarfsgerecht modifizierten Behandlungstrecke zur Behandlung von Parodontitis außerhalb der systematischen PAR-Behandlung bestehen. Diese niedrigschwellige Option richtet sich vor allem an ältere, pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit einer Beeinträchtigung, bei denen die systematische Behandlung gemäß PAR-Richtlinie nicht in vollem Umfang durchgeführt werden kann. Dazu zählen Patienten, bei denen die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Mundhygiene nicht oder nur eingeschränkt gegeben ist, die einer Behandlung in Allgemeinnarkose bedürfen, oder bei denen die Kooperationsfähigkeit nicht oder nur eingeschränkt gegeben ist. Der Zugang zu den neuen Leistungen ist dabei unbürokratisch niedrigschwellig im Rahmen der Anzeigepflicht bei den Kassen ausgestaltet.
Beide Richtlinien zusammen schaffen die Voraussetzungen dafür, um der Volkskrankheit Parodontitis endlich erfolgreich begegnen und die hohe Krankheitslast in Deutschland senken zu können.
Angemessene Honorierung der neuen Leistungen
Neben der fachlichen Ausgestaltung spielt auch immer die Frage der Vergütung der behandelnden Zahnärztinnen und Zahnärzten eine zentrale Rolle. Eine zeitgemäße Therapie kann nur dann effektiv in der Versorgung umgesetzt werden, wenn die Leistungen angemessen honoriert werden. Auch hier können wir sagen: Wir haben dieses Ziel erreicht! Wir haben uns mit den Kassen nach langwierigen Verhandlungen einvernehmlich auf ein umfängliches Vergütungspaket geeinigt. Die Bewertungen, die wir erzielt haben, orientieren sich vollständig am Aufwand. Wir haben damit die Grundlage geschaffen, dass die Parodontitistherapie in Zukunft wieder betriebswirtschaftlich tragfähig erbracht werden kann. Damit revidieren wir die Folgen der schweren politischen Fehlentscheidungen, die mit der zwangsweisen Abwertung der PAR-Leistungen in den Jahren 2003 und 2004 einhergingen. Insbesondere die ‚neuen‘ Leistungen, wie die unterstützende Parodontitistherapie, die Evaluation und die Gesprächsleistungen werden angemessen honoriert. Die gesamte Behandlungsstrecke wird in der Praxis so eine deutliche Aufwertung erfahren.
Neben der Bewertung wurden Leistungsbeschreibungen und Abrechnungsbestimmungen festgelegt, also die Gebührennummern des Bewertungsmaßstabes zahnärztlicher Leistungen zur Abrechnung der entsprechenden vertragszahnärztlichen Leistungen, die künftig in vertragszahnärztlichen Praxen herangezogen werden können. Die neuen Leistungen sollen Patienten fristgerecht ab 1. Juli zur Verfügung stehen.
Dass beide Richtlinien, ein umfangreicher Leistungskatalog und die Leistungsbewertungen im Konsens erarbeitet wurden, ist ein versorgungspolitischer Meilenstein und zeigt erneut die hohe Leistungsfähigkeit der gemeinsamen Selbstverwaltung. Als Zahnärzteschaft sind wir jetzt gefordert, Prävention, Früherkennung und Therapie voranzubringen, um die Mundgesundheit unserer Patienten weiter zu verbessern. Kausale Bezüge von Parodontalerkrankungen mit systemischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder rheumatoider Arthritis werden wir künftig verstärkt in den Blick nehmen müssen.
Gemeinsam mit der Wissenschaft und Kolleginnen und Kollegen anderer ärztlicher Fachrichtungen werden wir neue Formen der interdisziplinären Kooperation schaffen. Nach den erzielten Erfolgen sind wir uns als Berufsstand aber sicher, dass uns auch das im Sinne einer kontinuierlich verbesserten Versorgung gelingen wird.“